Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 28
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ОглавлениеDie Liebe ließ Gaby Lenz so lange im Himmel schweben, bis Elvira Sarkos sie von dort brutal herunterholte. „Ich war nicht immer die Tierecken-Tante vom Dienst“, sagte sie in der Redaktion zu Gaby. „Ich habe auch mal richtige Journalistenarbeit gemacht, und ich habe das noch nicht verlernt. Es macht mir immer noch großen Spaß, zu recherchieren, zu schnüffeln, meine Nase in die verborgensten Löcher zu stecken und Dinge an die Oberfläche zu ziehen, die andere lieber auf ewig verbergen möchten.“
„Du hast dich mal wieder journalistisch betätigt?“, fragte Gaby über den Schreibtisch hinüber.
„Journalistisch werde ich es nicht verwerten können.“ Elvira, deren Großeltern in einer ungarischen Stadt mit schwer zu behaltendem Namen lebten, schob sich eine Rum-Kokoskugel in den Mund. Das Ding beulte ihre linke Wange aus.
„Was hat die ganze Mühe dann für einen Sinn?“, fragte Gaby Lenz.
„Ich kann’s privat gebrauchen“, erklärte Elvira Sarkos. „Es muss nicht alles in die Zeitung, was ein Journalist in Erfahrung bringt. Einige unserer großen Kollegen, nicht hier bei ‘Täglich Neues’, aber anderswo, leben nicht von dem, was sie schreiben, sondern von dem, was sie nicht schreiben.“
Gaby beugte sich vor. „Du machst mich neugierig. Worauf bist du gestoßen?“
Elvira rümpfte die Nase. „Es wird dir nicht gefallen.“
„Es wird mir nicht gefallen?“ Gaby staunte. „Die Sache hat mit mir zu tun?“
„Nicht direkt mit dir, aber doch. Irgendwie.“
„Komm schon, jetzt spuck’s aber aus!“, verlangte Gaby Lenz ungeduldig.
„Mir kam etwas zu Ohren ...“
„Was?“
„... und ich sagte mir: Es kann nicht schaden, wenn du dieser Angelegenheit mal nachgehst, Elvira. Ist nichts dahinter, hältst du den Mund, ist etwas dran, darfst du es auf keinen Fall für dich behalten. Und nun steht zweifelsfrei fest, dass etwas dran ist, dass das, was mir zu Ohren kam, der Wahrheit entspricht. Arme Gaby, du tust mir leid. Ich war eine Zeitlang ... Nun ja, sagen wir, ich war nicht besonders gut auf dich zu sprechen, doch nun tust du mir leid.“
„Warum, um alles in der Welt, tue ich dir leid?“ Gaby wurde langsam nervös.
„Du schlägst mich nicht, wenn ich es dir sage?“
„Warum sollte ich dich schlagen?“
„Du kratzt, beißt, bespuckst mich nicht, nein?“
„Was soll der Blödsinn, Elvira?“
„In der Antike wurde der Überbringer einer schlechten Botschaft umgebracht.“
Gaby schmunzelte. „Heute übermitteln wir Journalisten die schlechten Nachrichten, und keiner tut uns etwas. Im Gegenteil, man reißt uns unsere Zeitung sogar begierig aus den Händen. Die Zeiten haben sich geändert, wie du siehst.“
Elvira seufzte. „Es ist eine schlechte Nachricht, die ich für dich habe, Gaby. Eine verdammt schlechte Nachricht sogar. Du wurdest getäuscht, hinters Licht geführt, betrogen ...“
„Von wem?“
„Na, von wem schon? Um wen kreisen denn deine Gedanken von früh bis spät?“
„Um CD. Du sprichst von CD? Bist du verrückt? Wie kannst du behaupten, er hätte mich getäuscht, hinters Licht geführt und betrogen?“
„Weil es wahr ist.“
„Man sollte die Sitten und Gebräuche der Antike wieder einführen“, fauchte die junge Frau.
„Ich wusste, es würde dir nicht gefallen, was ich in Erfahrung gebracht habe.“
„Erzähle es mir!“, verlangte Gaby. „Lass es mich wissen. Lass es mich endlich wissen. Und wenn es nicht stimmt, dann, dann gnade dir Gott!“
„Es stimmt. Ich habe Beweise. Du kannst alles nachprüfen. Ich würde niemals eine haltlose Behauptung aufstellen, das weißt du. Schon gar nicht, wenn es um eine so ernste Sache geht.“
„Mein Gott, nun sag doch schon endlich ...“
„CD ist nicht frei.“
„Was heißt das?“, fragte Gaby. Sie schien ihre Kollegin nicht verstehen zu wollen. „Was heißt, CD ist nicht frei? Was möchtest du damit sagen?“
„Dass er nicht frei ist. Dass er gebunden ist. Dass er verheiratet ist. Dass er eine Frau hat ...“ Elvira Sarkos unterbrach sich. „Geht es dir nicht gut, Gaby?“, fragte sie besorgt. „Du bist auf einmal so entsetzlich blass. Möchtest du ein Glas Wasser haben? Oder eine Rum-Kokoskugel?“
„CD ist verheiratet.“ Die Welt stürzte für Gaby Lenz ein.
Elvira Sarkos nickte. „Seit drei Jahren. Bettina heißt seine Frau. Betti nennen sie alle, langes blondes Haar, lange Beine, fantastische Figur, ungeheuer sexy ... Hat er dir niemals von ihr erzählt?“'
Gaby schüttelte betroffen den Kopf. „Nein.“ Ihr war, als hätte Elvira ihr den Boden unter dem Sessel weggezogen und sie fiel und fiel und fiel ...
„Das sieht ihm ähnlich“, sagte Elvira verächtlich. „Alle Männer sind Verbrecher.“
„Hast du sie gesehen?“
„Wen? Betti Forstner?“
„Ja.“
„Ich habe sogar mit ihr gesprochen.“
„Über ihren Mann?“, fragte Gaby heiser.
„Nicht über CD. Ich habe sie auf der Straße angesprochen, hab’ sie nach dem Weg gefragt, nur um zu hören, wie sie spricht. Sie war sehr freundlich. Ich habe sie heimlich fotografiert. Willst du die Bilder sehen?“ Elvira Sarkos schob ein gelbes Kuvert über die Tische.
Gaby öffnete es mit zitternden Fingern, und dann sah sie Betti Forstner, die bildschöne, aufregend gebaute, alle Männerblicke auf sich ziehende Betti Forstner zum ersten Mal.
Sie sprang auf, als wäre ein Stromstoß durch ihren Sessel gerast.
„Wo willst du hin?“, fragte Elvira. „Dreimal darfst du raten.“
„Ich bitte dich, lass dich zu keiner Unbesonnenheit hinreißen.“
„Dieser Mistkerl hat mich getäuscht, hinters Licht geführt und betrogen, und ich soll mich zu keiner Unbesonnenheit hinreißen lassen?“
„Du setzt damit deinen Job aufs Spiel.“
„Ich pfeife auf meinen Job. Denkst du, ich möchte auch nur einen Tag, eine Stunde länger mit diesem Drecksack zusammenarbeiten? Ich kündige.“
„Nein, Gaby.“
„Ich bin schon weg.“
„Gaby, ich bitte dich ...“
„Ich bin schon nicht mehr hier!“, fauchte Gaby, raffte die Fotos zusammen und stürmte wütend durch die Redaktion. CD, dieser Lump, hatte alles unglaublich clever eingefädelt, das wurde ihr in diesem Augenblick klar.
Er hatte sie zum Starnberger See geschickt, um Kai Kloiber zu interviewen. Das war bereits Teil seines raffinierten Plans gewesen. Was in der Villa seines Onkels geschehen war, hatte er alles genau geplant gehabt.
Was mit diesem wunderbaren Kuss begonnen hatte, hatte zu einem ganz ausgeklügelten, hundsgemeinen Spiel gehört. Wunderbar war dieser Kuss gewesen? Verflucht, nein. Im Nachhinein betrachtet hätte es nie dazu kommen dürfen.
O Gott, sie hätte ihn so furchtbar gern vergessen, ihn ungeschehen gemacht.
Wie sollte sie nach dieser Gemeinheit, die CD ihr angetan hatte, jemals wieder an die Liebe glauben?
Ihre Kollegen bekamen die dicke Luft mit. Sollten sie, es störte Gaby nicht!
Ihr war alles egal. Sie wollte nur noch eines: CD sagen, dass er keinen Platz mehr in ihrem Herzen habe, dass er sich zum Teufel scheren solle, dass er für sie gestorben sei.
Was für ein Tag. Was für ein furchtbarer Tag. Der Vater in der Seeberg Klinik, kurz vor der Operation am Herzen ... keine Kleinigkeit. Und jetzt stürzte auch noch ihre Liebe, die sie für so stabil und solide gehalten hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Gaby Lenz stieß die Tür auf, ohne anzuklopfen. Warum sollte sie höflich sein?
Auf wen sollte sie Rücksicht nehmen? Auf CD? Niemals! Hatte er denn auf sie Rücksicht genommen?
Hereingelegt hatte er sie, und er hatte es noch dazu sehr lange und sehr gründlich geplant.
Das war keine spontane Sache gewesen. Er war nicht jäh von wunderbaren Gefühlen übermannt worden, hatte nicht urplötzlich den Verstand verloren.
Er war die ganze Zeit bei klarem Verstand gewesen, und das machte die Geschichte noch schlimmer, noch unerträglicher und unverzeihlicher.
Die Tür schwang zur Seite und krachte gegen die Wand. Gaby schloss sie nicht. Sie wollte mit CD nicht allein sein, nie mehr. Es war aus, vorbei.
Sie knallte die Fotos vor ihm auf den Schreibtisch, gab ihm eine schallende Ohrfeige und zischte: „Ich kündige!“
Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Die Bilder machten selbst dem Dümmsten unmissverständlich begreiflich, weshalb Gaby so stinksauer war.
Es ist wunderbar, zu lieben, und es ist grauenvoll, wenn eine Liebe zerbricht.
CD starrte fassungslos auf die Poster. „Gaby?“
„Zur Hölle mit dir, CD Forstner!“, schrie sie, schon wieder fast draußen aus seinem Büro.
Wut, Hass und Enttäuschung funkelten in ihren Augen, und sie hatte große Mühe, nicht zu weinen.