Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 41

7

Оглавление

Hardy Evers schleppte sich zu Karina zurück. Seine Füße waren schwer wie Blei, die Schuhsohlen schleiften über den Holzboden. Ihm taten der Kopf, der Nacken und der Rücken weh, doch viel schlimmer war Karina dran. Sie lag in ihrem weißen Traumkleid verdreht am unteren Ende der Treppe und ließ kein Lebenszeichen erkennen. Hardy konnte nicht einmal sehen, ob sie atmete, und das versetzte ihn in Panik.

„Grundgütiger, was habe ich getan?“, schluchzte er. Der Schock hatte die Wirkung des Alkohols neutralisiert. Hardy war in diesem grauenvollen Moment stocknüchtern. Leichenblass sank er neben Karina auf die Knie.

Seine Augen schwammen in Tränen. „Was habe ich getan?“, wiederholte er.

Es fiel ihm schwer, sich an Dr. Kaysers Weisung zu halten und Karina nicht anzufassen. Übermut tut selten gut, dachte er. Wie wahr. Wie entsetzlich wahr. Warum habe ich dich nicht nur über die Schwelle getragen und dich abgestellt, als du es verlangtest, Liebes? Warum musste ich so dumm sein, dich auch noch die verdammte Treppe hinaufzutragen? Ich habe das Schicksal leichtfertig herausgefordert, und nun ... Großer Gott, mach endlich die Augen auf, Karina. Komm zu dir. Sieh mich an. Sag mir, dass nichts passiert ist. Beweise es mir, indem du aufstehst ...

Vor dem Haus hielt ein Wagen. „Das ist Dr. Kayser“, sagte Hardy, obwohl Karina es nicht hörte. „Dr. Kayser wird dir helfen.“ Er erhob sich, eilte zur Haustür und risse sie auf.

Der Grünwalder Arzt trat ein. „Ist sie inzwischen zu sich gekommen?“, fragte er.

„Sie ist noch immer bewusstlos“, antwortete der junge Mann verzweifelt. „Ich mache mir ganz schreckliche Sorgen, Herr Doktor.“

„Haben Sie ihren Puls gefühlt?“

„Sie sagten, ich dürfe sie nicht anfassen.“

Dr. Kayser erreichte die bewusstlose Braut und stellte seine Bereitschaftstasche ab.

„Mein Gott, wenn sie tot ist, weiß ich nicht, was ich tue!“, schluchzte Hardy Evers.

Dr. Kayser begann die Ohnmächtige ganz vorsichtig zu untersuchen. „Sie ist nicht tot“, informierte er den jungen Mann.

„Dem Himmel sei Dank.“

Der Arzt streifte den Bräutigam mit einem raschen Blick. „Haben Sie sich beim Sturz keine Verletzung zugezogen?“

„Ich bin in Ordnung.“

Karina kam zu sich. Sie öffnete die Augen. „Herr Dr. Kayser, was ...“ Sie sah ihn verwirrt an.

„Nicht bewegen“, sagte Sven.

„Was ist passiert?“, wollte Karina wissen.

„Sie sind mit Ihrem Ehemann die Treppe runtergefallen.“

„Ich erinnere mich nicht.“

„Es tut mir ja so leid, Liebes“, jammerte Hardy neben Dr. Kayser.

Karina wies keinerlei äußere Verletzungen auf. Dennoch war Dr. Kayser in größter Sorge, weil sie kein Gefühl mehr in den Beinen hatte.

Das sah nach einer Querschnittslähmung aus. Der Grünwalder Arzt behielt seinen schrecklichen Verdacht vorläufig für sich. Er sagte noch einmal zu Karina, sie dürfe sich nicht bewegen, sah dann Hardy an und fragte: „Wo ist das Telefon?“

„Dort drüben“, antwortete der junge Mann. „Was ist mit Karina, Herr Doktor? Warum darf sie sich nicht bewegen? Was haben Sie festgestellt?“

„Sie muss ins Krankenhaus, sofort.“

„Hat Karina sich irgendetwas gebrochen?“

Dr. Kayser eilte zum Telefon und rief einen Krankenwagen, ohne diese Fragen zu beantworten.

Hardy Evers hörte den Doktor von einer Vakuummatratze sprechen. „Vakuummatratze?“, fragte er schrill. „Was ist das? Wofür braucht man die?“

„Vakuummatratzen sind Gummi- oder Plastikbehälter in Matratzenform, die winzige Kunststoffkugeln enthalten“, erklärte Sven Kayser. „Legt man einen Patienten darauf und zieht die Luft heraus, lagern sich die Kugeln formschlüssig und unverschiebbar gegen die Hautoberfläche. Die Matratze wirkt wie ein gut anmodelliertes Gipsbett.“

„Und wozu muss Karina auf so etwas liegen?“

,,Damit ihrer Wirbelsäule größtmögliche Schonung widerfährt.“

„Wirbelsäule?“ Hardys Stimme überschlug sich vor Entsetzen. „Ist etwa die Wirbelsäule meiner Frau verletzt?“

„Das kann ich leider nicht auszuschließen.“ Dr. Kayser kehrte zu der Patientin zurück.

„Was bedeutet das für Karina ...?“, wollte Hardy Evers krächzend wissen.

„Ohne Röntgenaufnahmen kann ich keine Prognose stellen“, erwiderte der praktische Arzt ausweichend.

Ihm krampfte es beim Anblick dieser wunderschönen Braut das Herz zusammen. Würde sie nie mehr gehen können? Würde sie für den Rest ihres Lebens an einen Rollstuhl gefesselt sein? Oder war der Schaden, den ihre Wirbelsäule vermutlich erlitten hatte, zu reparieren?

Es war ungemein wichtig, dass Karina Evers so rasch wie möglich in die Seeberg-Klinik gebracht wurde, denn wenn eine Ernährungsstörung eines Rückenmarkteils durch Verletzung eines wichtigen Blutgefäßes vorlag, musste diese unverzüglich operativ behoben werden, weil das Rückenmark nicht abschnittsweise von der Rückenmarksflüssigkeit ernährt wird, sondern von Schlag- und Blutadern, und wenn wichtige Gefäßäste blockiert werden, kann der betroffene Abschnitt sehr schnell absterben. Das Rückenmark ist nämlich gegen Sauerstoffmangel ähnlich empfindlich wie das Gehirn ...

Der Notarztwagen traf ein. Karina wurde ganz vorsichtig auf die Vakuummatratze gelegt.

„Es wird alles gut“, stieß Hardy Evers heiser hervor. Er wollte damit nicht nur Karina trösten, sondern auch sich selbst. „Es wird alles wieder gut, Liebes. Mach dir keine Sorgen. Mach dir keine Sorgen. Ich bin bei dir. Wir stehen das gemeinsam durch.“

Die Braut wurde aus dem Haus getragen. Der Bräutigam und Dr. Kayser folgten ihr.

In der Seeberg-Klinik wurde zunächst auf der röntgenstrahlendurchlässigen Vakuummatratze unter ständiger Kontrolle der Nervenfunktionen eine Orientierungsaufnahme von Karina Evers’ Wirbelsäule gemacht.

Dr. Kayser hoffte für die junge Frau, dass kein Wirbel gebrochen, sondern lediglich verrenkt war. Dr. Ulrich Seeberg wurde gerufen.

Dr. Sven Kayser erzählte dem Klinikleiter, mit dem er seit vielen Jahren eng befreundet war, wie es zu dem folgenschweren Unglück gekommen war. Da die Orientierungsaufnahme nicht präzise genug erkennen ließ, wie schwer die Patientin verletzt war, wurde sie an der Matratze festgeschnallt, mit dieser gedreht und von allen Seiten geröntgt, und dann stand die bittere Wahrheit unumstößlich fest ...

„Mein Gott, das arme Ding, Sven“, sagte Dr. Seeberg betroffen, als er die Röntgenaufnahmen am Lichtkasten betrachtete. „So jung.“ Er atmete schwer aus. „Ganz frisch verheiratet.“ Er schüttelte den Kopf. „Am schönsten Tag ihres Lebens dieser tragische Unfall.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Manche Menschen trifft das Schicksal schon verdammt hart.“

Dr. Kayser begab sich zu Hardy Evers. Blass und gespannt starrte der junge Mann ihn an. „Was ist mit ihr, Herr Doktor?“, fragte er mit belegter Stimme. „Wie geht es Karina? Was haben Sie festgestellt. Sie wurde geröntgt, ja?“

„Ja, sie wurde geröntgt.“

„Sie sagten, ohne Röntgenaufnahmen können Sie keine Prognose stellen. Nun liegen die Aufnahmen vor. Wie steht es um Karina? Wie schwer ist sie verletzt?“

„Herr Evers ...“, begann Dr. Kayser zaghaft. Er suchte nach den richtigen Worten, wollte Hardy Evers so schonend wie möglich beibringen, was die Untersuchung ergeben hatte.

„Sagen Sie es mir“, bedrängte Hardy ihn. „Sie müssen es mir sagen. Ich bin ihr Mann.“

„Ihre Frau ist ...“

„Gelähmt?“, platzte Hardy Evers dem Grünwalder Arzt ins Wort. „Ist sie gelähmt? Querschnittsgelähmt? Ist es das, was Sie nicht herausbringen?“ Dr. Kayser nickte ernst. „Es tut mir leid, Herr Evers.“

„Querschnittsgelähmt“, stieß Hardy verstört hervor. „Und ich bin schuld daran.“ Er legte die Hände auf sein Gesicht. „O mein Gott.“ Er schluchzte markerschütternd. „O Gott, warum hast du uns verlassen?“

Er wollte zu Karina, doch Dr. Kayser schüttelte den Kopf. „Das würde sie zu sehr aufregen. Sie braucht jetzt Ruhe, braucht Zeit, sich über ihre schlimme Situation klar zu werden.“

„Es wird nicht leicht für sie sein, die Tragweite ihrer Verletzung in vollem Umfang abzuschätzen, sich darauf einzustellen und sich damit abzufinden.“

Dr. Kayser nickte. „Das wird in der Tat sehr schwer für sie sein.“

„Ich muss ihr dabei helfen.“

„Sie werden ihr dabei helfen“, sagte Dr. Kayser, „aber nicht heute. Heute ist es dafür noch zu früh.“

„Wann darf ich sie sehen?“

„Morgen“, antwortete Sven Kayser. „Kommen Sie morgen wieder, Herr Evers.“

Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane

Подняться наверх