Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 39
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ОглавлениеEinen Tag, bevor Karina mit Hardy vor den Traualtar trat, wurde Tante Dolly mit dem Brautkleid fertig. Es passte wie angegossen, und Karina sah in dem weißen Traum aus Seide, Tüll und Spitze einfach himmlisch aus.
Hardy durfte sie darin noch nicht sehen, darüber wachte ihre abergläubische Mutter mit Argusaugen. Den letzten Abend „in Freiheit“ verbrachten Karina und Hardy getrennt.
Während Hardys Polterabend in Schwabing über die Bühne ging, polterte Karina mit ihrer Schwester und einigen Freundinnen in Bogenhausen.
Weder er noch sie übertrieben es damit, schließlich wollten sie am Hochzeitstag fit sein. Als der große Tag dann anbrach, war Karina wieder einmal ganz schrecklich aufgeregt.
Das Haus verwandelte sich allmählich in einen Bienenstock. Verwandte und Freunde ließen es aus allen Nähten platzen, und jeder wollte seine Glückwünsche und viele gute Ratschläge bei den jungen Leuten loswerden.
Karina rauchte der Kopf. Sie schloss sich mit ihrer Mutter und mit Tante Dolly ins Schlafzimmer ein, nachdem sie Hardy gebeten hatte, sich so gut es ging um die vielen Gäste zu kümmern, und dann schlüpfte sie in ihr feenhaftes Brautkleid.
„Ich bin neugierig, was Hardy dazu sagt.“ Karina betrachtete sich von allen Seiten im Spiegelschrank. Tante Dolly war tatsächlich eine Künstlerin mit Zwirn und Nadel.
Lotte Marmann lächelte. „Dein Anblick wird ihn umwerfen.“
„Er darf dich erst in der Kirche sehen“, sagte die alte Tante Dolly, eine kleine weißhaarige Frau mit freundlichen Zügen. „Wenn der Bräutigam die Braut vorher schon im Brautkleid zu Gesicht bekommt, bringt das Unglück.“
Karina lachte. „He, Tante Dolly, du bist ja genauso abergläubisch wie Mutti.“
Als es Zeit war, zur Kirche zu fahren, leerte sich das Haus. Die Braut verließ das Schlafzimmer erst, nachdem der Bräutigam nicht mehr da war.
Vor der Kirche warteten eine Menge Menschen. Verwandte, Freunde, Bekannte, Kollegen, Schaulustige, die zufällig vorbeigekommen waren.
Karina badete in bewundernden Blicken. Glückstrahlend betrat sie am Arm ihres Vaters die Kirche.
Vor dem Altar wartete Hardy auf sie, und es war für sie das schönste Kompliment, zu sehen, wie sehr ihr Anblick ihren Liebsten beeindruckte und faszinierte. Es hatte sich gelohnt, so lange auf Tante Dollys Meisterwerk zu warten, das begriff Karina in diesem glückvollen Augenblick.
„Du bist unbeschreiblich schön“, flüsterte Hardy, und sie lächelte ihn dankbar an.
Sie erlebte die Trauung wie in Trance, die Worte des Pfarrers, das Anstecken der Eheringe, das „Sie dürfen die Braut jetzt küssen“, das Ave-Maria, Mutters Tränen und die vielen gerührten Gesichter, wohin sie blickte.
Als Hardys Ehefrau verließ sie an seinem Arm glücklich die Kirche. Auf dem Kirchplatz waren sie im Nu von Gratulanten umringt. Einer von ihnen war Dr. Sven Kayser. Darüber freute Karina sich ganz besonders.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte der Grünwalder Arzt.
„Danke“, gab Karina bewegt zurück. „Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben.“
Der Allgemeinmediziner lächelte. „Ich werde in einer halben Stunde in der Seeberg-Klinik erwartet, aber das hier konnte ich mir nicht entgehen lassen.“ Sven wandte sich an den frischgebackenen Ehemann, drückte ihm die Hand und sagte: „Gratuliere, Sie haben ein Juwel geheiratet.“ Hardy Evers nickte zustimmend. Er warf seiner Frau einen verliebten Blick zu und sagte dann zu Dr. Kayser: „Ich weiß, was ich an Karina habe, und ich werde sie lieben und ehren, solange ich lebe. Und noch etwas, Herr Doktor ...“ Er senkte die Stimme, damit nur Sven es hören konnte. „Sollte sich ein Baby ankündigen, möchten meine Frau und ich, dass Sie es auf die Welt bringen.“
„Jederzeit“, sagte Dr. Kayser, der nicht nur praktischer Arzt, sondern auch Geburtshelfer war. Er ging weiter, machte Platz für die nächsten Gratulanten, wechselte noch ein paar Worte mit Karinas Eltern, dann war es Zeit für ihn, sich zu verabschieden. Die Pflicht rief.
Im Restaurant stieg wenig später das große Hochzeitsfest. Der Brautvater hielt, weil es so üblich war, eine kurze Ansprache, dann wurde das Essen serviert, die dreistöckige Hochzeitstorte wurde vom Brautpaar gemeinsam angeschnitten und verteilt, und nachdem alle satt waren, spielte das Trio „Charly & Freunde“, den Brautwalzer, den Karina zuerst mit Hardy und dann mit ihrem Vater tanzte.
Bald danach war die Tanzfläche so voll, dass man sich kaum noch umdrehen konnte. Hardys Onkel Edi war zwischen Nina Marmann und Tante Dolly bestens untergebracht.
Die beiden unterhielten sich großartig mit ihm. Nina, nicht ganz so hübsch wie ihre jüngere Schwester, aber auch sehr attraktiv, wurde immer wieder zum Tanz aufgefordert, und auch Tante Dolly und Onkel Edi schwangen übermütig wie schon lange nicht das Tanzbein.
Nina freute sich mit Karina und Hardy, und sie freute sich für sie, denn wenn es zwei Menschen gab, die für die Ehe prädestiniert waren, dann waren es ihrer Ansicht nach diese beiden.
„Vielleicht wirst du eines Tages deines Single-Daseins doch noch überdrüssig“, sagte Hardy schmunzelnd.
„Das glaube ich nicht, lieber Schwager“, erwiderte Nina. „Ich liebe mein Leben so, wie es ist. Und ich hasse Veränderungen.“
„Die wirst du liebend gern in Kauf nehmen, wenn dir der Richtige begegnet“, prophezeite Karina.
„Ich bin ja nun schon ein Weilchen auf der Welt, Schwesterherz, und habe mich eifrig umgesehen“, versetzte Nina Marmann, „und ich glaube, auf Grund meiner gesammelten Erfahrungen sagen zu dürfen, dass der Mann, der für mich der Richtige wäre, noch nicht geboren ist.“
„Es gibt zu jedem Topf den passenden Deckel“, behauptete Hardy.
Seine Schwägerin schüttelte lachend den Kopf. „Nicht für mich. Und ich bin darüber überhaupt nicht traurig.“ Zu vorgerückter Stunde umarmte Tante Dolly ergriffen die Braut und sagte: „Das ist die schönste Hochzeitsfeier, an der ich je teilgenommen habe.“
„Und ich trage, dank dir, das schönste Brautkleid, das ich je gesehen habe“, gab Karina glücklich zurück.
Kurz vor Mitternacht sprach Hardy schon mit schwerer Zunge, und ein trauriger Ausdruck erschien in seinen Augen.
„Was hast du?“, fragte Karina sogleich besorgt. „Ist dir schlecht? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
Er schüttelte den Kopf. „Es ist alles in bester Ordnung. Ich habe nur gerade gedacht, dass es schade ist, dass meine Eltern den heutigen Tag nicht miterleben durften.“
„Sie müssen sehr nett gewesen sein. Ich hätte sie gerne kennengelernt.“
„Sie hätten dich sofort in ihr Herz geschlossen.“ Hardy Evers’ Eltern waren auf der regennassen Autobahn kurz vor Frankfurt tödlich verunglückt. Aquaplaning. Der Wagen war ins Schleudern geraten, hatte sich mehrmals überschlagen und war in Flammen aufgegangen ...
Um Mitternacht mussten sich alle ledigen Frauen und Mädchen hinter der Braut versammeln. Karina Evers warf den Brautstrauß schwungvoll hinter sich, und Nina fing ihn auf.
Hardy lachte vergnügt. „Du weißt, was das bedeutet, Schwägerin: Dass du die nächste bist, die heiraten wird.“ Nina schüttelte den Kopf. „Der Zauber wirkt bei mir nicht.“
Hardy griente. „Na, wir werden sehen.“ Es ging auf ein Uhr zu, als das Brautpaar sich verabschiedete. „Ich möchte noch ein bisschen was von der Hochzeitsnacht haben“, kicherte der Bräutigam übermütig. Er war angeheitert, aber nicht betrunken.
„Wann geht es denn in die Karibik?“, wollte einer der Hochzeitsgäste wissen.
„Morgen“, antwortete Hardy. „Um sechzehn Uhr startet unser Flieger.“
„Wenn nichts dazwischenkommt“, sagte Eduard Brandl.
Hardy lachte fröhlich. „Was sollte jetzt noch dazwischenkommen, Onkel Edi?“
Eduard Brandl winkte ab. „Ach, hör nicht auf das Geschwätz eines alten Mannes, mein Junge. Ich wünsche euch ganz tolle Flitterwochen.“
„Danke, Onkel Edi. Wir schicken dir auch ganz bestimmt eine Karte“, versprach der frischgebackene Ehemann, und mit erhobener Stimme rief er: „Wir schicken euch allen eine Karte.“
Ein Taxi brachte das Brautpaar nach Hause. Hardy stocherte so lange mit dem Schlüssel um das Türschloss herum, bis Karina kichernd sagte: „Lass mich mal.“
Sobald die Tür zur Seite schwang, wollte Karina eintreten, doch Hardy verwehrte es ihr. „Halt!“
Karina sah ihn irritiert an. „Was ist?“
„Ich muss die Braut über die Schwelle tragen.“
„Ach was, das ist doch albern. Ich wohne schon seit einer kleinen Ewigkeit in diesem Haus.“
„Aber du bist erst seit heute meine Frau und es ist die Pflicht des Bräutigams, sein ihm frisch angetrautes Weib über die Schwelle zu tragen. Also komm her.“
„Bist du dazu überhaupt noch imstande?“
Hardy grinste breit. „Warte, bis wir im Schlafzimmer sind, dann wirst du erleben, was ich sonst noch alles kann.“ Er nahm sie schwungvoll auf die Arme, trat ein und kickte die Tür mit der Ferse zu.
„Prima“, sagte Karina belustigt. „Gut ist es gegangen. Nichts ist geschehen. Der Bräutigam hat die Braut nach alter Tradition über die Schwelle getragen. Der Bräutigam darf die Braut nun abstellen.“
„Abstellen? Wie einen Mülleimer? Kommt nicht in Frage. Ich werde dich auch weiter auf Händen tragen mein ganzes Leben.“
„Lasse mich runter, ich bin dir doch zu schwer.“
„Zu schwer?“ Hardy lachte meckernd. „Du Fliegengewicht? Machst du Witze? Ich trage dich zehnmal die Treppe rauf und runter, ohne dabei außer Atem zu kommen.“
„Ich wusste nicht, dass ich Superman geehelicht habe.“
Er trug sie zur Treppe.
„Willst du mich nicht doch runterlassen?“, fragte Karina.
„Nein.“
„Du wirst deine Kräfte im Schlafzimmer noch brauchen.“
„Keine Sorge, ich verausgabe mich schon nicht zu sehr“, beruhigte er sie und machte sich stampfend an den Aufstieg. Sie war schlank und leicht.
Sie war ihm wirklich nicht zu schwer. „Mach dich auf was gefasst, Kleines“, flüsterte er. „Sobald wir im Schlafzimmer sind, werfe ich dich aufs Bett, und dann ...“
„Und dann?“
„Dann falle ich wie ein Tier über dich her. Arrrggghhh!“ Er biss sie leicht in den Hals.
Sie schrie auf. „Hör auf, das kitzelt.“
„Arrrggghhh!“ Er biss noch einmal zu. Sie schrie wieder und wehrte ihn lachend ab. Er erreichte mit ihr die vorletzte Stufe. „Arrrggghhh!“
Sie bog sich weit zurück, damit er ihren Hals nicht erreichte. Dadurch verlor er das Gleichgewicht und verfehlte die letzte Stufe.
Erschrocken versuchte er die Balance wiederzufinden. Es gelang ihm nicht. Als er stürzte, schrie Karina wieder auf, diesmal verstört und entsetzt, und dann kugelten sie beide, sich immer wieder überschlagend, die harten Stufen hinunter.