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7 Rechtfertigender Notstand

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Die Befugnis zur Offenbarung von Patientengeheimnissen besteht darüber hinaus zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter.113 Diese Fallkonstellation wird mit dem Begriff des so genannten rechtfertigenden Notstands bezeichnet und ist in § 34 StGB gesetzlich verankert. Nach dieser Vorschrift handelt nicht rechtswidrig,

»wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen […] das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.«

Eine solche Notstandssituation zeichnet sich dadurch aus, dass eine unmittelbar drohende Gefahr nicht anders als durch den Bruch der Schweigepflicht abwendbar ist. Darüber hinaus muss bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen das gefährdete Rechtsgut wesentlich schwerer wiegen als das Interesse des Patienten an der Geheimhaltung seiner Daten.114 Dies ist im Einzelfall anhand aller relevanten Umstände sorgfältig abzuwägen. Typische Fallgruppen, in denen die Nichtbeachtung der ärztlichen Schweigepflicht aufgrund eines rechtfertigenden Notstandes für zulässig gehalten wird, sind:

• Kindesmisshandlung

In Fällen des Verdachts auf Kindesmisshandlung besteht eine gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit und gegebenenfalls sogar das Leben des betroffenen Kindes, da es sich bei Misshandlungen in der Regel nicht um Einzelfälle handelt, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach eine akute Wiederholungsgefahr besteht. Das Kind kann durch eine Anzeige des Verdachts der Misshandlung beim Jugendamt oder der Polizei vor weiteren drohenden Verletzungen geschützt werden. Nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen geht der Schutz des Kindes vor weiteren Misshandlungen der ärztlichen Schweigepflicht vor. Eine Anzeige ist somit als angemessene Maßnahme zum Schutz des Kindes anzusehen.115 Bei der Frage der Angemessenheit der ergriffenen Maßnahmen zum Schutz des Kindes könnte allenfalls überlegt werden, ob es im Einzelfall möglich ist, als »milderes Mittel« anstatt der Polizei zunächst das Jugendamt zu informieren. Die Abwägung, ob das Jugendamt oder die Polizei informiert wird, ist im Einzelfall anhand des jeweiligen Gefährdungsgrades zu treffen (je akuter die Gefahr, desto mehr spricht für ein sofortiges Einschalten der Polizei). Das Jugendamt hat gemäß § 8a Abs. 3 SGB VIII116 seinerseits die Polizei einzuschalten, sofern deren sofortiges Tätigwerden zur Abwendung einer Gefährdung erforderlich ist.117

• Teilnahme am Straßenverkehr trotz Fahruntauglichkeit

Lässt sich ein Patient, der infolge seiner Behandlung oder Erkrankung (z. B. Sehschwäche) fahruntauglich ist, nicht vom Gebrauch seines Kraftfahrzeuges abhalten, kann der Arzt hierüber die Polizei oder die zuständige Straßenverkehrsbehörde informieren, um eine Gefahr von anderen Verkehrsteilnehmern abzuwenden.118 Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen ist das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs höher zu bewerten als die Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht. Die Anzeige der Fahruntüchtigkeit bei der Polizei oder der Straßenverkehrsbehörde ist als angemessenes Mittel zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer anzusehen. Wichtig ist aber, dass dabei der Umfang der Information auf das unbedingt Notwendige beschränkt wird. Bei einer Meldung an die zuständige Straßenverkehrsbehörde reicht es beispielsweise, unter Bezeichnung der Diagnose mitzuteilen, dass Zweifel an der Kraftfahrtauglichkeit bestehen. Nicht erforderlich ist es hingegen, der Behörde den gesamten Entlassungsbericht zu übermitteln. Dadurch wird der Umfang der Offenbarungsbefugnis überschritten.119

• Drohende Ansteckung mit einer schweren Erkrankung

Die Offenbarung von Patientengeheimnissen kann auch bei einer drohenden Ansteckung von Angehörigen oder Kontaktpersonen mit einer übertragbaren schweren Krankheit des Patienten gerechtfertigt sein, wenn sich der Patient uneinsichtig zeigt und nicht selbst für die notwendige Aufklärung sorgt.120 Die drohende Ansteckungsgefahr kann durch eine Information der betroffenen Kontaktpersonen abgewendet werden. Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen steht beispielsweise bei einer Aids-Erkrankung der Schutz der Gesundheit und des Lebens der Kontaktpersonen über der Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht.121 Der Arzt muss jedoch vorher alles versucht haben, den erkrankten Patienten dazu zu bewegen, seine Angehörigen oder seinen (Ehe-) Partner selbst über seine Erkrankung aufzuklären.122

Neben den hier aufgezählten sind weitere Fallgestaltungen denkbar.

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