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Zwei Weisen, die Bibel auszulegen

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Es hatten sich in diesem Zusammenhang zwei Weisen der Auslegung der Bibel und der theologischen Lehre herausgebildet, wobei mit dem Begriff „Schule“ eine eigene Lehrmethode und Erklärung der Bibel umschrieben wurde155. Die später sogenannte „antiochenische Schule“156 war bei ihrer Christologie mehr an den drei Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas orientiert und hielt bei der Auslegung von Bibeltexten mehr am Literalsinn fest: Wichtig waren die Beobachtung des Wortlautes, der Zusammenhang und die Einbeziehung philologischer und historischer Erkenntnisse. Ihre Lehrer waren weniger an naturhaft-ontologischen Spekulationen als vielmehr dem aramäischen Denken gemäß an der geschichtlichen Wirkung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus interessiert. Hier bewahrte „die antiochenische Schule“ das Erbe der oben beschriebenen „judenchristlichen“ Grundhaltung. Der antiochenischen Theologie lag vor allem an der Unversehrtheit und Vollkommenheit der menschlichen Natur, die durch die göttliche nicht ersetzt werden sollte. Ihre Gefahr lag darin, die volle Einheit von Gottheit und Menschheit in Christus nicht wirklich durch ihre Formulierungen, dass beide Naturen nebeneinander sind, verständlich machen zu können. So stand sie bei ihren Gegnern unter dem Verdacht des Adoptianismus. In ihrem Selbstverständnis wollte die syrische Theologie das vollständige Menschsein Jesu betonen, damit es nicht durch die Göttlichkeit unkenntlich werde – ohne dabei allerdings die göttliche Natur selbst zu leugnen. Dieses Anliegen wurde in Chalcedon durch die Formulierung „zwei Naturen in Christus unvermischt und unverwandelt“ aufgegriffen.

Die später sogenannte „alexandrinische Schule“ war in der Bibelauslegung mehr am Johannesevangelium orientiert und bevorzugte eine allegorische Auslegung, d.h. sie suchte in den Texten nach einem verborgenen Sinn. Sie war sehr stark geprägt vom hellenistischen Denken und seiner naturhaft-ontologischen Spekulation. Ihre Lehrer (wie z.B. Kyrill von Alexandrien157) gehen davon aus, dass der „ewige Logos“ (das „ewige Wort“, der Geist Gottes) die Prägung der Person Christi übernimmt, weil es aufgrund der dahinter stehenden neuplatonischen Lehre nur ein geistiges Gestaltungsprinzip in einem Körper geben könne. Die von Apollinarius stammende und von Kyrill übernommene Formel lautete: „Eine Natur – mia physis (!) – des göttlichen Logos, welche Fleisch geworden ist“. Kyrill hatte diese Formel im Glauben übernommen, sie sei von Athanasius. Diese sogenannte „apollinarische Fälschung“ stand in der Gefahr, die Unversehrtheit und Vollkommenheit der menschlichen Natur Christi zu verkürzen – gerade weil der irdische Jesus unter diesen Voraussetzungen oft nur als die leibliche Hülle dieses Logos verstanden wurde, wie die Gegner kritisierten. Der Akzent lag eindeutig auf der göttlichen Natur Jesu Christi, die die Alexandriner auf keinen Fall von der menschlichen Seite Jesu trennen wollten. Dieses Anliegen wurde in Chalcedon durch die Formulierung „zwei Naturen ungetrennt und ungesondert“ aufgegriffen.

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