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Christentum auf der arabischen Halbinsel …
ОглавлениеNeben den Synagogen sind auch viele Klöster und Kirchen in der Region nachzuweisen. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Orte keinen Einfluss auf das Leben in Syrien und auf der arabischen Halbinsel gehabt hatten. Der „Wert“ eines Klosters zeigte sich in seiner spirituellen Ausstrahlungskraft und an seiner Gelehrsamkeit, d.h. an der Größe seiner Bibliothek. Synagogen, jüdische Lehrhäuser, Kirchen und Klöster waren Orte großer Gelehrsamkeit, an denen wie selbstverständlich verschiedene Sprachen gesprochen wurden: Aramäisch, Arabisch, Griechisch. Dass solche Orte (neben den kulturellen Einflüssen durch die Städte) auch das Leben der Nomaden und Halbnomaden religiös geprägt haben, dürfte sofort einleuchten. So ist nachgewiesen, wie bedeutsam die Mönche für die Weitergabe des christlichen Glaubens waren142.
Auch wenn die Quellenlage zur Christianisierung arabischer Stämme nicht ganz gesichert ist, kann man doch davon ausgehen, dass bereits im 5. und 6. Jahrhundert eine Reihe von halbsesshaften Arabern vor allem durch die ostsyrische Kirche christianisiert worden sind143. Auch die Tatsache, dass auf der arabischen Halbinsel selbst z.B. noch in islamischer Zeit im 9. Jahrhundert die arabischen Stämme von Oman und Baḥrain christlich geblieben waren, belegt, dass eine Reihe arabischer Stämme christlich waren144. Zentrale Stämme Syriens, Mesopotamiens und im Norden der arabischen Halbinsel waren christianisiert (u.a. die Laḫmiden, die Ġassaniden145, Yuḏham, Kalb146, al-Kinda147, Taġlib148, Tanuḫ, Baḥrain149, sogar Stämme im Ḥiğâz150, in Nağrân im äußersten Südwesten151 und in Mekka152). Zahlreich sind die Zeugnisse für die Anwesenheit von Christen, aber es gibt wenig genaue Angaben über die Bedeutung und Organisation der Gemeinden153. Dass unter den christianisierten Stämmen so bedeutende Gemeinschaften wie al-Kinda, die Tanuḫ und die Taġlib waren, war für die Mission und die weitere Ausbreitung des Monotheismus auf der arabischen Halbinsel sehr förderlich. Die Taġlib, die zunächst im Raum Edessa lebten und dann zu großen Teilen auf der arabischen Halbinsel, siedelten später im heutigen „Dreiländereck Türkei, Syrien, Irak. Sie standen aufgrund der Handelswege in engem Kontakt zu al-Ḥîra am Euphrat154.
Gesichert ist, dass der gesamte nordöstliche Bereich sowie der Süden der arabischen Halbinsel christlich geprägt waren. Dokumentiert sind z.B. arabische Bischöfe in al-Ḥîra, Nağrân und in Baḥrain155. Sie alle feierten trotz ihrer teilweise arabischen Umgangssprache eine syro-aramäische Liturgie. Viele Klöster und Kirchen liegen dort noch unter dem Sand verborgen. Diesen Hinweis verdanke ich Erika Huter, die in der englischen „School of Oriental and African Studies“ (SUAS) gearbeitet hat und während ihrer Forschungstätigkeit zum syrischen Christentum an archäologischen Exkursionen speziell im Irak teilnehmen konnte. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen konnte sie u.a. im südlichen Irak an der Grenze zu Saudi-Arabien zahlreiche archäologisch bedeutsame Orte finden, deren weitere Erforschung allerdings aufgrund der politischen Lage nicht möglich war. Zudem verweigern die anderen arabischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, solche archäologischen Touren und geben keine Möglichkeit zu weiteren Ausgrabungen, um die vorhandenen Informationen zu überprüfen bzw. neues archäologisches Material zu entdecken. Man kann davon ausgehen, dass es noch Vieles zu entdecken gibt156. Bis sich an dieser Politik etwas ändert, bleiben die Deutungen über die durchaus nicht unbeträchtlichen Kenntnisse über Arabien und die Araber noch vorläufig.
Auch wenn es die Einflüsse gnostischer, manichäischer oder jüdischer Ideen gab: Das Christentum dominierte Ende des 6., Anfang des 7. Jahrhunderts das mittelöstliche religiöse „Patchwork“ im Großraum Syrien, was eben zu entsprechenden Einflüssen auch auf der arabischen Halbinsel führte. Die „Monophysiten“ waren nur im Westen und im Süden zu finden157, besonders in Nağrân, einer Stadt im heutigen Yemen, die neben al-Ḥîra eines der Hauptzentren des arabischen Christentums darstellte158. Regelmäßig gab es Pilgerreisen zur christlichen Ka‛ba, d.h. zum christlichen Haus Gottes von Nağrân159. Ausgezeichnet waren die Handelsverbindungen über das Rote Meer nach Äthiopien im Nordosten Afrikas. So hatte durch den Einfluss der Äthiopischen Kirche160 der Südwesten der arabischen Halbinsel eine strikt antichalcedonensische Position eingenommen. Die Annahme des Bekenntnisses von Chalcedon galt als Abfall vom eigentlichen Glauben.
Die im Nordwesten der arabischen Halbinsel im Ḥiğâz lebenden Stämme wurden dagegen vom dort vordringenden „monophysitischen“ und auch „melkitischen“ (chalcedonensischen) Verständnis des Christentums, welches in wenigen Klöstern entlang der Handelsrouten zu finden war, kaum erreicht. Eher fremd war den Arabern ein aus hellenistischer Tradition kommendes Christentum mit seiner statisch-naturhaften Ontologie161. Im Ḥiğâz kam der „monophysitische“ Einfluss vor allen über den arabischen Stamm der Ġassaniden zum Tragen162, der als Verbündeter des römisch-byzantinischen Reiches diese Art des Christentums angenommen hatte163.
Im 3. Teil wird gezeigt, wie sich demgegenüber über den arabischen Stamm der Laḫmiden und den Stadtstaat al-Ḥîra in der Mitte, im Norden und im Osten der arabischen Halbinsel das ostsyrische Christentum und ihr Verständnis von Christus ausgebreitet hat. In anderen Gegenden lebten ostsyrisch geprägte arabische Christen nur als kleine Minderheit wie z.B. im Yemen, eher in den Städten und besonders in den Häfen, weniger auf dem Land164.