Читать книгу Religion fällt nicht vom Himmel - Andreas Goetze - Страница 50
Nestorius und die Synode von Ephesus: Alles für die volle Menschwerdung
ОглавлениеDer Mönch Nestorius (ca. 381–451) wurde 428 als Bischof von Konstantinopel von Kaiser Theodosius II. eingesetzt48. Er hatte sich schon zuvor als begnadeter Prediger in Antiochien einen Namen gemacht. Für Nestorius ebenso wie für das ostsyrische Christentum hing alles an dem wirklichen Menschsein Jesu. Um zu verhindern, dass der Geist Gottes, der Logos, die menschliche Seele in Jesus wie bei Apollinarius ersetzt, betonte Nestorius, dass Jesus einer sei in (!) zwei Naturen und nicht einer aus (!) zwei Naturen. Denn würde sich Christus aus der göttlichen und menschlichen Natur zusammensetzen, würde in diesem Fall aufgrund der Überlegenheit des göttliche Logos die menschliche Seele durch diesen ersetzt werden. Das vollständige Menschsein Jesu wäre damit unmöglich gemacht. Doch gerade die ungeschmälerte menschliche Natur Christi war Nestorius wichtig, so dass er betonte, dass ein „kompletter Mensch“ mit dem Logos, dem Geist Gottes, verbunden wird. Maria war für ihn daher nicht „Gottesgebärerin“, sondern „Christusgebärerin“. Er redete möglichst wenig vom „Logos“, sondern vielmehr von „Christus“, dem „Sohn“, um Göttliches und Menschliches von „ein und demselben“ aussagen zu können49.
Die Antiochener sahen in der „alexandrinischen Theologie“, die sich bei den ökumenischen Konzilien der Alten Kirche zum Leidwesen auch der „Kirche des Ostens“ letztlich kirchenpolitisch durchsetzen sollte, die Gefahr der Vermischung der zwei Naturen Christi. Die im Konzil von Ephesus (431) ausgesprochene Verurteilung von Nestorius konnte die „Kirche des Ostens“ nicht nach- und mitvollziehen. Die Rede vom göttlichen „Logos“, der in Jesus Christus einwohnt, barg aus ihrer Sicht zu sehr die Gefahr einer Vermischung der Naturen in Christus. Und dann wäre Jesus nicht ganz und vollkommen Mensch geworden und gewesen 50. In der theologischen Diskussion über die Wertung der Theologie des Nestorius wird bis heute zumeist nicht wahrgenommen, dass es Nestorius lediglich um eine Unterscheidung, nicht aber um eine Trennung der Naturen ging51. Denn Nestorius lehrte gerade nicht wie Paul von Samosata, sondern im Anschluss an Theodor von Mopsuestia, dessen Schüler er war52.
Die westsyrische Kirche ist vor allem „monophysitisch“ oder besser „antichalcedonensisch“ zu beschreiben, die „Kirche des Ostens“ im Anschluss an Theodor eher „dyophysitisch“ (zwei Naturen vereinigt in Christus). Aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus schätzt die „Kirche des Ostens“ den Ausdruck „dyophysitisch“ allerdings nicht. Der Begriff ist ursprünglich auf Kyrill von Alexandrien zurückzuführen. Dieser hatte zunächst ganz im Sinne der „Kirche des Ostens“ festgehalten, dass die Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur in Christus die jeweilige Eigenart der Naturen nicht beseitigen soll. Er übernahm aber unglücklicherweise die (apollinarische) Formel: „Eine Natur – mia physis! – des göttlichen Logos, die Fleisch geworden ist“. Kyrills Ausführungen verloren auf diese Weise ihre Eindeutigkeit, kamen so doch zwei sich widersprechende Aussagen zusammen. Erstens: „Aus (!) zwei Naturen wird eine“. Zweitens: „Beide Naturen verschmelzen nicht, sondern sind zu unterscheiden“. Diese Unterscheidung konnte sich Kyrill allerdings nur theoretisch-abstrakt vorstellen, denn für ihn war der konkrete Christus der vom Vater stammende Logos, also die göttliche Natur, die sich mit dem Fleisch „hypostatisch“, d.h. wesensmäßig, vereint hat. Die menschliche Seite bzw. Natur Christi verschwand auf diese Weise hinter der alles überstrahlenden göttlichen Natur Christi, wie es Nestorius befürchtet hatte. Der Ausdruck „hypostatische Union“ verstärkte diese Wahrnehmung noch in den Augen der „antiochenischen Theologie“.
Gerade durch den unglücklich gewählten Ausdruck „hypostatische Union“ und der Übernahme des fälschlicherweise Athanasius zugeschriebenen apollinarischen Ausdrucks „mia physis“ wurde das „dyophysitische“ Verständnis in den Augen der „antiochenischen Theologie“ zweideutig. Er erhielt einen „monophysitischen“ Schein, die menschliche Seele Jesu schien in der göttlichen aufzugehen: Sind die zwei Naturen in Christus nun vereinigt, ohne dass ihre jeweilige Vollständigkeit gefährdet sei, oder meint Kyrill doch, dass letztlich nur eine, die göttliche Natur in Christus vorherrscht? Kyrills uneindeutige Sprache trug damit zur Unklarheit bei und öffnete Missverständnissen Tor und Tür. Die „Antiochener“ sahen durch die Betonung der einen göttlichen Natur in Christus die Geringschätzung, wenn nicht gar Auflösung, der menschlichen Natur Christi. Besonders bei einer naturhaft statischontologischer Einheit (nach hellenistischem Denken) zwischen den Naturen sah die „antiochenische Theologie“ die Gefahr des Verlustes des vollen Menschseins Jesu. Diese Überlegungen bezogen sich auch auf die damals verbreitende philosophische Anschauung: Wenn die göttliche Natur in (!) die menschliche einginge, müsste – nach neu platonisch-aristotelischer Lehre – der göttliche Logos, d.h. die göttliche Natur, auch das gesamte Wesen formen, da nicht zwei Akzidenzien in einer Substanz bestimmend sein könnten. Damit wäre das Menschsein Jesu verloren.
Gerade diesen Ausgangspunkt nahm die „alexandrinische Theologie“ im 4. und 5. Jahrhundert nicht wirklich zur Kenntnis. Zum einen hatte sie den Verdacht, die Antiochener lehrten die zwei Naturen in der Weise, dass sie „zwei Personen“ oder „zwei Söhne“ behaupteten. Zum anderen sah sie in der syrischen Betonung der „ungeschmälerten menschlichen Natur Christi“ nur eine Fortsetzung jener schon verurteilten ethisch-moralischen Ausrichtung aus dem 2. und 3. Jahrhundert, in der man einen weiteren Beitrag sah, die wirkliche Menschwerdung Gottes und damit die Erlösung zu gefährden. „Wenn Christus nicht Gott selbst wäre“, so schon Athanasius, Bischof von Alexandrien, Anfang des 4. Jahrhunderts, „könnte er uns nicht erlösen“. D. h. ohne volle Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kein Heil, keine neue Existenz in Christus. Auf diesen Grundlagen wurde Nestorius und damit die „antiochenische Kirche“ auf dem Konzil von Ephesus 431 verurteilt, weil man ihn aufgrund seiner anderen Sprachregelungen fälschlicherweise in die Nähe der Arianer rückte53 und ihm damit ein adoptianistisches Verständnis der Gottessohnschaft Christi vorwarf. Die Synode in Ephesus war von Beginn an von der Fraktion des Kyrill von Alexandrien dominiert, weil die Delegierten der „antiochenischen Schule“ unter Führung von Johannes I. von Antiochien verspätet eingetroffen waren. So war es ein Leichtes, Nestorius zu verurteilen.
Dass machtpolitische Gründe die Lehrverurteilungen auf den Konzilien mitbestimmt haben54, ist vor allem deshalb betrüblich, weil sich inhaltlich die „antiochenische Theologie“ in vielerlei Hinsicht mit der „alexandrinischen Theologie“ völlig einig gewesen ist (was ja auch die neueren gemeinsamen Erklärungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und verschiedenen mittelöstlichen Kirchen betonen). Zu der Erkenntnis, dass die Unterschiede in der Christologie und damit im Verständnis des Heils und der Erlösung vor allem auf sprachlichen Schwierigkeiten und auf unterschiedlichen Weisen der Bibelauslegung beruhten, ist die theologische Forschung erst im 20. Jahrhundert gekommen55. Das Unverständnis gründete gerade in den unterschiedlichen Begrifflichkeiten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Denkweisen. Die ostsyrischen Christen leugneten keineswegs die Göttlichkeit des Menschensohnes. Sie wollten nur der Gefahr einer zu einseitigen Betonung dieses Gesichtspunktes in Christus entgegentreten, um das wirkliche Mysterium (das Geheimnis) der Menschwerdung Gottes in all seiner Dramatik für die Menschheit zu bewahren. Das soll im Folgenden aufgezeigt werden.