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Christus als die weltzugewandte Seite Gottes
ОглавлениеUm ihre zwei Hauptanliegen – zum einen die Betonung des vollkommenen Menschsein Jesu, ohne dessen göttliche Natur zu bestreiten, und zum anderen die Wahrung der „verbundenen Einzigkeit Gottes“, also des Bekenntnisses zu dem einen Gott – deutlich zu machen, verstand die „antiochenische Theologie“ den Gottessohn-Titel nicht als einen statisch-ontologischen, also „naturhaften“ Seinsbegriff nach hellenistischem Denken, sondern als einen heilsgeschichtlichen Würdenamen. „Das Wort Gottes ist als jene Seite Gottes gemeint, die der Welt zugewandt ist; als Gottes offenbarende Anrede, verkörpert durch Christus. Der Sohn Gottes ist jener, durch den Gott erkennbar wird“63. Dem entspricht schon bei Aphrahat, dass der Begriff „Natur“ (syro-aramäisch = „qeyânâ’“) keine metaphysische Bedeutung hat, sondern sich auf „die konkrete Seinsweise“ oder auf „die Wirklichkeit“ beschränkt64. „Qeyânâ’“, im westlichen Kontext mit „physis“ zurückübersetzt, bedeutete für Aphrahat und die syrische Theologie niemals wie im hellenistischen Denken eine abstrakte „Substanz“, sondern die für den Menschen wahrnehmbare Seite Gottes65. In diesem Sinn hat der Ausdruck „qeyânâ’“ die ostsyrische Theologie nachhaltig geprägt. Entsprechend wurde auch der Naturbegriff der auf Griechisch geschriebenen Konzilstexte von Nicaea auf Syrisch mit „qeyânâ’“ wiedergegeben66.
Die „alexandrinischen Theologie“ im Westen verstand nicht, wie „tief“ diese Einheit in der ostsyrischen Theologie gedacht und geglaubt wurde, weil sie von einem naturhaftabstrakten ontologischen Denken bestimmt war. Sie glaubte, um der Erlösung willen an der „naturhaften“ Einheit festhalten zu müssen. Es galt, die volle Menschwerdung Gottes zu bewahren, ohne die es keinen qualitativen Unterschied zu einer ethischen Erlösungslehre geben könne. Dem hätte die „Kirche des Ostens“ ohne weiteres zugestimmt, hatte sie doch die theologische Bedeutung der menschlichen Seele Christi erkannt. Für sie war das „Mysterium der Einheit“ Gottes in Christus auf der Basis des aramäischen (hebräischen) Denkens nicht weniger „tiefgehend“ bestimmt.
Bewusst wollte die „Kirche des Ostens“ aber am „Monarchismus“ festhalten, d.h. an der Überzeugung der „Einzigkeit“ („Monarchie“) des einen Gottes, der von der geschaffenen Welt vollkommen getrennt ist. Ontologische Formulierungen, die sich über die seinshafte Verbindung zwischen Gott-Vater und dem Sohn Gottes Gedanken machten, vermied die „antiochenische Theologie“. Das ostsyrische Christentum sah in der hellenistischen Logos-Lehre eher die Gefahr des Polytheismus (neben Gott etwas „weiteres Wesensgleiches“ glauben, Gott einen zweiten Gott „beigesellen“). Die Sorge um die Wahrung der Transzendenz im Sinne der Souveränität Gottes67 war dabei bei der „antiochenischen Theologie“ allenthalben zu spüren68.
Insbesondere die Ausführungen von Theodor von Mopsuestia hatten in der „Kirche des Ostens“ bis in die Synodentexte hinein großen Einfluss. Nicht Nestorius, sondern die strikte „antiochenische Theologie“ des Theodor wurde zur Grundlage der weiteren Beschlüsse dieser Kirche69. Schon die Formulierungen der ersten großen Synode in Seleucia-Kresiphon im Jahre 410, bei der sich die „Kirche des Ostens“ auch strukturell als selbstständige Kirche festigte70, sind der Sprache nach theodoranisch71. Neben der Betonung des „ungetrennten Prosopon“, in dem die göttliche und menschliche Seite Christi zusammen erkannt werden, hat Theodor von Mopsuestias tiefgründige Bewährungstheologie Eingang in die Synodentexte gefunden: „Jesus wuchs an Gnade, indem er sich um Tugend bemühte … Und er (der Logos) trieb ihn an zur größtmöglichen Vollkommenheit … und bereitete ihm eine … mühelose Vollendung der Tugend“72.
Das bedeutet: Christus ist für Theodor nicht angenommen, weil er sich bewährt hat. Daher lehrt Theodor und die ostsyrische Tradition gerade keinen Adoptianismus. Jesus wird nicht erst als Gottessohn adoptiert: Die Gottessohnschaft von Ewigkeit her ist nicht strittig, so dass gilt: Christus ist von Ewigkeit her angenommen und deshalb (!) kann er sich bewähren.