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Hellenistischer Einfluss und aramäisches Denken

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Beide Positionen (von Arius und Apollinarius) zeigen, wohin ein extrem hellenistisches Denken führen kann. Sie machen deutlich, wie der Einbruch hellenistischer Ideen die aus dem aramäischen (hebräischen) Denken überlieferte Auffassung von Christus verändern konnte und damit das Verständnis von Gott und der Gottessohnschaft. Es ist nicht unbedeutend, wenn außerbiblisches Denken und nicht das aramäische bzw. hebräische Denken das Verständnis der Christologie bestimmt. Es ist für die Entwicklung der Christologie insbesondere in der „westlichen“ Christenheit ein bis heute spürbarer Verlust, dass im „Westen“ die nachfolgenden Überlegungen der „Kirche des Ostens“ auf der Grundlage des aramäischen Denkens nicht weiter gewürdigt wurden. Das geschah zum einen aufgrund der politischen Situation, die die ostsyrische Kirche vom römisch-byzantinischen Reich getrennt hat und zum anderen durch den Häresievorwurf und die (vorschnelle) Verurteilung ihrer theologischen Lehrer in den westlich dominierten Konzilen.

Das wichtige Konzil von Chalcedon (451)153 wollte den christologischen Streit abschließen durch das Bekenntnis, dass Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ sei – und zwar in (!) zwei Naturen und nicht aus (!) zwei Naturen. Das in Chalcedon formulierte Bekenntnis zu Jesus Christus sollte die Christenheit wieder vereinen ungeachtet der unterschiedlichen Akzente und Nuancen, die sich im Vorfeld gezeigt hatten. So formulierte das Konzil eine Art „Kompromissformel“, um beiden durchaus berechtigten Anliegen zu einer Anerkennung zu verhelfen.

Mit dem Satz, dass in Christus „die zwei Naturen unvermischt und unverwandelt“ zusammen seien, wollte man dem Anliegen der später sogenannten „antiochenischen Schule“ gerecht werden: Die menschliche Natur Christi sollte nicht vernachlässigt werden, sie dürfe nicht durch die göttliche Natur sozusagen „aufgesogen“ werden: Daher sind die menschliche und die göttliche Natur in Christus unvermischt und unverwandelt zu begreifen.

Mit dem Satz, dass in Christus „beide Naturen ungetrennt und ungesondert“ beisammen seien, wollte man das Anliegen der später sogenannten „alexandrinischen Schule“ aufnehmen: Ihr lag alles an der Einheit der zwei Naturen in Christus. Die menschliche Natur dürfe nicht selbständig und unverbunden neben der göttlichen aufgefasst werden, um die Erlösung des Menschen nicht zu gefährden (so lautete fälschlicherweise der Vorwurf an Nestorius).

Diese „Kompromissformel“ ist für ihre Zeit ein tiefgründiges Bekenntnis, das das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wahrte und die zwei Eckpunkte, hinter die man nicht zurückgehen wollte, formulierte. Die Betonung jeweils nur eines der beiden Anliegen hat nach Chalcedon unweigerlich die Verkürzung des christlichen Glaubens zur Folge. Man wollte beide Eckpunkte unbedingt zusammenhalten. Tatsächlich verlief die Entwicklung anders. „Chalcedon wurde zum Stein des Anstoßes und zum Ausgangspunkt einer Spaltung, welche von nun an die Reichskirche trennen und auch über den Bestand des Byzantinischen Reiches hinaus die Kirche belasten sollte – bis heute“154.

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