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Christliche Einflüsse

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Für christliche Einflüsse in Mekka in der Zeit des 4.–7. Jahrhunderts gibt es einige Anhaltspunkte, aber keine Eindeutigkeit. Zunächst kann man von einem aramäischen Einfluss ausgehen, was nach Luxenberg auch der Name „Mekka“ belege, der aus dem Aramäischen herzuleiten sei und „Senke“ bedeute83. Topographisch liegt Mekka tatsächlich in einer Talsenke zwischen zwei Bergen84. Inwieweit dieser aramäische Einfluss stärker ein jüdischer oder ein christlicher war, ist nicht eindeutig zu klären. Einen christlichen Bischof hat es in Mekka nachweislich nicht gegeben85.

Auch wenn eine letzte Gewissheit durch archäologische Funde nicht gegeben ist, wird eine christliche Präsenz aufgrund der intensiven Christianisierung der westlichen arabischen Halbinsel ab dem 6. Jahrhundert nicht zu bestreiten sein86. Shahid geht davon aus, dass in der Stadt eine größere christlich-byzantinische Präsenz war und entsprechend arabischbyzantinische Beziehungen gepflegt wurden87. Zudem dürfte christlich-äthiopischer Einfluss durch die äthiopische Besetzung des Südens der Halbinsel Anfang des 6. Jahrhunderts (520) sowie aufgrund der Handelsbeziehungen spürbar gewesen sein.

Die traditionelle islamische Chronologie stellt fest, dass in Mekka vor allem Christen die Gegner Muḥammads gewesen seien, die der Prophet wegen ihrer Trinitätslehre als Polytheisten bekämpft habe. Darauf weisen nach islamischem Verständnis viele Qur’ânstellen hin, die in der „mekkanischen Periode“ entstanden sein sollen88, d.h. in der ersten Zeit des Wirkens Muḥammads nach seiner Berufung in Mekka. Ungeachtet der historischen Einordnung der sogenannten „mekkanischen Suren“ (ob sie wirklich aus dem 7. Jahrhundert stammen, wie es die islamische Geschichtsschreibung annimmt, oder ob sie erst die Auseinandersetzungen einer späteren Zeit beschreiben, kann an dieser Stelle offen bleiben) reflektieren diese Suren, dass sich die „neue arabische Religion“ in ihrer Anfangszeit besonders mit dem Christentum auseinandergesetzt hat.

Ebenso findet sich in der Prophetenbiographie von Ibn Isḥâq die Erzählung89, dass beim Aufbau der Ka‛ba ein Stein mit einer Inschrift gefunden worden sei, auf dem unter anderem zu lesen stand: „Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?“, ein Satz aus dem Matthäusevangelium (Mt. 7,16)90. In der Erzählung heißt es weiter: Der schwarze Stein wurde an seinen Platz gehoben und danach konnte die Mauer erst fertig gebaut werden91. Ein Bezug zu Mk. 12,10 ist offensichtlich. Der schwarze Stein hat als Eckstein eine zentrale Bedeutung im Heiligtum. Der Symbolgehalt dieser Erzählung vom (angeblichen) Wiederaufbau der Ka‛ba ist hoch: ein griechisches Schiff war gestrandet, sein Wrackholz konnte der koptische Zimmermann nutzen, um die Arbeiten ausführen zu lassen. „Ein Kopte und ein Grieche, die zusammenarbeiten, um Gottes Pläne mit der Ka‛ba zu verwirklichen – symbolischer geht es beinahe nicht“92.

Gleichwohl die Geschichte also starke legendarische Züge trägt und ohne historische Belege ist, zeigt sie, dass die islamische Tradition in Sîra und Qur’ân von einer christlichen Präsenz in Mekka ausgeht. Auf christliches Leben weist auch ein christlicher Friedhof in Mekka und die Überlieferung, dass in der Ka‛ba Bilder von Maria und Jesus gefunden wurden93. Nach alten Reiseberichten aus dieser Region war sogar die Ka‛ba nicht einfach ein Würfel gewesen, sondern zu einer bestimmten Zeit eine christliche Kirche mit einer Apsis, die aber später abgerissen worden ist94. Unter einer Apsis befindet sich in der Regel eine Krypta. In Mekka kann deren wirkliche Existenz nicht überprüft werden, weil Ausgrabungen am Heiligen Bezirk durch die saudische Regierung nicht geduldet werden. Die Bezeichnung „Haus“95 (Sure 8,35) für die Ka‛ba ist ein weiterer Hinweis auf die (christliche) Benutzung des Innern der Ka‛ba. Denn ein Haus wird betreten und nicht nur umrundet. Lüling hat daher die Vermutung geäußert, dass erst in islamischer Zeit die ursprünglich heidnische Symbolik und damit die Nichtbenutzung des Inneren wieder hergestellt worden sei96. Doch bis zur Ermöglichung archäologischer Untersuchungen unterhalb der Ka‛ba lässt sich nur mit relativer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Ka‛ba eine christliche Kirche gewesen sein könnte.

Es verwundert nicht, dass in einer multireligiösen Zeit mit den unterschiedlichsten Religionen und Kulten auch die Orte von einer vielfachen Nutzung zeugen. Ein anderes Beispiel für die wechselvolle politische und damit auch religiöse Geschichte des großsyrischen Raums ist Damaskus. An der Stelle, an der sich in Damaskus in aramäischer Zeit der Tempel für den Wettergott Hadad befand, stand in hellenistischer Zeit der Tempel des Zeus. Dieser wurde im 2. Jahrhundert umgebaut und dem römischen Jupiter geweiht. Auf dem gleichen Platz wurde im 4. Jahrhundert die Kathedrale für Johannes dem Täufer errichtet, dessen Haupt in der Omayyadenzeit in einem Schrein verehrt wurde. Dann ließ al-Wâlid 708 einen „Gebetsort“ als Heiligtum für Johannes bauen, der noch keine Moschee war: Am Dach kann man noch heute sehen, dass dieses Heiligtum ursprünglich ein christliches Bauwerk gewesen ist97, bis es die Muslime später in eine Moschee umwandelten.

Religion fällt nicht vom Himmel

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