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Aramäisch als vorherrschende Umgangssprache …

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Trotz hellenistischer und persischer Einflüsse (besonders in den Städten) blieb mehrheitlich die aramäische bzw. syro-aramäische Schriftsprache8 die lingua franca der Region. Aramäisch gilt als eine der ältesten Schriftsprachen überhaupt9. Die aramäische Sprache gehört zu der nordwestsemitischen Sprachgruppe. Der semitischen Schrifttradition gemäß wird sie von rechts nach links durchlaufend geschrieben. Sie ist eine Konsonantenschrift. Das bedeutet: Vokale werden nicht wie die übrigen Buchstaben (die Konsonanten) geschrieben, sondern mit Sonderzeichen an die Konsonanten angefügt. Damit wurde festgelegt, wie das entsprechende Wort zu lesen und zu verstehen ist. Diese Punktationen (die sogenannten „diakritischen Zeichen“) sind erst Jahrhunderte später zu den Konsonanten dazugesetzt worden.

Das Aramäische gewann schon unter der assyrischen Herrschaft vorchristlicher Zeit eine Bedeutung. Schon zur Zeit der Unterjochung der aramäischen Stadtstaaten war ihre Sprache im Begriff, die Hauptsprache des Großraums Syrien zu werden. Ein praktischer Grund für die Verwendung des Aramäischen lag in seiner Schreibweise. Akkadisch z.B. wurde auf weiche Tontafeln in der beschwerlichen Keilschrift geschrieben. Bevor ein Schreiber in der Lage war, es fließend zu schreiben, musste er sehr lange üben. Das Aramäische dagegen bestand aus einem Alphabet von gerade einmal 22 Buchstaben und konnte auf Pergament und Papyrus geschrieben werden. So drang das Aramäische bis in die innersten Bereiche des Staatsapparates hinein und galt schnell als zweite Reichssprache. Die Entwicklung wurde durch die Eroberung Assyriens durch die Babylonier (aus dem mesopotamischen Raum) noch befördert, da die Bewohner des südlichen Mesopotamiens auch zu großen Teilen aramäischsprachig waren. So setzte sich das Aramäische neben den verschiedenen lokalen Dialekten und Sprachen als offizielle Schrift- und Reichssprache durch.

Das große Ausdehnungsgebiet der aramäischen Sprache förderte die Entstehung zahlreicher lokaler Dialekte10, die in ihrer entsprechenden Schriftsprache regionale Bedeutung unter aramäisch sprechenden Königen gewannen. Zwei Dialekte sind dabei besonders hervorzuheben: das Nabatäische und der palmyrische Dialekt. So lässt sich „Aramäisch“ auch als eine Art Überbegriff für eine Sprachgruppe verwenden, der Uraramäisch zugrunde liegt und die in vielen verschiedenen Varianten und Formen existierte11. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das südarabische Alphabet, das die arabischen Stämme benutzten, aus der aramäischen Abart der nabatäischen Schrift herzuleiten12. Da die arabische Sprache zunächst vor allem eine mündliche Sprache und keine Schriftsprache war, gibt es insgesamt nur wenige Informationen über sie, so dass man letztlich nur von Wahrscheinlichkeiten reden kann13. Es spricht viel dafür, dass das klassische Arabisch durch aramäisch sprechende Christen in al-Ḥîra entscheidend weiterentwickelt worden ist14.

Das aramäische Alphabet15 wurde nach jüdischer wie christlicher Überlieferung in der Zeit Esras nach dem Ende des babylonischen Exils (im 6. Jahrhundert v. Chr.) von den Juden aus Mesopotamien und Persien mitgebracht und bürgerte sich allmählich bis nach Palästina ein. Seit dieser Rückkehr aus dem Exil wurden hebräische Texte in aramäischen Buchstaben geschrieben, da das aramäische Alphabet das im Alltag gebräuchliche war16. Das Hebräische wurde „nebenbei als Kultus- und Literatursprache beibehalten“17. Aramäisch aber prägte als Kultur-, Geschäfts-, Liturgie- und Schriftsprache18 den gesamten Mittleren Osten bis hinein in die arabische Halbinsel, unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit und auch unabhängig davon, welcher Herrscher gerade das Sagen hatte.

So ist es verständlich und von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass die Septuaginta (die ca. 100 v. Chr. abgeschlossene griechische Übersetzung der hebräischen Bibel) in den jüdischen Gemeinden im Großraum Syrien vor allem in ihrer aramäischen Übertragung, der sogenannten „Targum“, weit verbreitet war und gelesen wurde. Mit „Targum“ (vom Aramäischen „targûm“ = „Übersetzung“) wird die paraphrasierende Übersetzung bzw. Übertragung der ursprünglich hebräischen Bibeltexte in die syro-aramäische Umgangssprache bezeichnet. Der babylonische Talmud war ebenfalls auf Aramäisch verfasst und zeugt von einer großen Gelehrsamkeit des Judentums auch in Mesopotamien19. Den Talmud kann man ohne Übertreibung für das Hauptwerk des nachbiblischen Judentums verstehen, entstanden in mehrhundertjährigen mündlichen und schriftlichen Traditionen.

Was für die jüdische Tradition galt, lässt sich auch für die christliche nachweisen. Im Großraum Syrien war das Alte Testament in Form der syrischen Übersetzung, der „Peschitta“ (syrisch „die Einfache“), verbreitet. Das sogenannte Diatessaron aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. war eine auf Aramäisch zusammengestellte Evangelienharmonie. Als Evangelienharmonie wird ein Buch bezeichnet, das aus den vier Evangelien des Neuen Testamentes eine fortlaufende Darstellung des Lebens Jesu zusammenstellt im Unterschied zum Nebeneinander einer Synopse. Das durch Tatian ca. 170 geschriebene Diatessaron gilt als die älteste Evangelienharmonie. All diese syro-aramäischen Schriften waren in den Gemeinden weit verbreitet und anerkannt und prägten damit das kulturelle wie das geistliche und liturgische Leben.

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