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Hochkomplexe gesellschaftliche Situation

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Um die Geschichte Syriens und der arabischen Halbinsel besser einordnen zu können, ist es wichtig, deren komplexe Gesellschaft45 zu verstehen. Es ist bei weitem nicht so, als hätte die vorislamische arabische Welt bis zum Aufkommen des Islams geschlafen46. Es war keine „Zeit der Unwissenheit oder der Ignoranz“. Obwohl z.B. die Araber auf der Halbinsel geographisch von drei Seiten mit großen Wassern und von einer Seite von Wüste umgeben lebten, war selbst dieser Landstrich keine einfache „Wüstenwelt“47. Zum einen wurde in den weiter nördlichen Gebieten und in den Oasen intensiv Landwirtschaft betrieben. Zum anderen lassen sich zahlreiche Minen nachweisen, in denen Kupfer und sogar Gold und Silber gefördert worden war48.

Das Leben der „Araber“ war sehr bunt und vielfältig in ethnischer, sprachlicher, kultureller, politischer und religiöser Hinsicht. Aus dem Handelsverkehr zwischen den Ländern des Mittelmeerraumes, mit Mesopotamien, Persien, Afrika und Indien konnten die arabischen Stämme nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturell-religiöse Vorteile ziehen. Ebenso gab es zahlreiche lokale Handelswege49, die von einem blühenden Handel zeugten und damit von starken Verbindungen zwischen den Regionen. Allerdings: Je weiter man auf die arabische Halbinsel selbst vordrang, desto unwirtlicher und ärmer wurde die Gegend. Im größten Teil der trockenen Wüstenlandschaft dürfte nur eine zahlenmäßig kleine und dann zumeist sehr arme Bevölkerung gelebt haben.

Wechselhafte (Handels-) Verbindungen der einzelnen Stämme besonders im Großraum Syrien ließen ein arabisches Selbstverständnis wachsen, das durch ein riesiges Beziehungsgeflecht sowie durch Handelsaustausch bestimmt war50. Nach herrschender Forschungsmeinung lässt sich die religiöse Geschichte Süd-Arabiens einteilen in eine lange polytheistische Phase (vom 8. Jahrhundert vor der Zeitenwende bis ins 4. Jahrhundert danach) und eine sich daran anschließende monotheistische51. Für die Anfangszeit lässt sich eine Liste von Gottheiten erstellen, die im arabischen „Pantheon“ zu Hause waren. Die einzelnen Gottheiten waren bezogen auf die verschiedenen Stämme, Clans und Familien. War ein Verbund von Stämmen als kleines arabisches Königreich organisiert, dann hatte jedes seinen eigenen „Pantheon“ mit einer Reihe von Gottheiten, die nur im Bereich des Königsreiches verehrt worden sind. Diese „überweltliche“ Verbindung war für die Durchsetzung des Stammesgesetzes von außerordentlicher Bedeutung52.

Die arabische Gesellschaft in vorislamischer Zeit entwickelte sich aus bestehenden Hierarchien von untereinander abstammenden Gruppen, die sich im Laufe der Zeit verselbständigt hatten. So hatte jeder Stamm in irgendeiner Weise eine Beziehung der Über- bzw. Unterordnung zu den anderen Stämmen. In gemeinsamen Versammlungen („šûrâ“) hatte man versucht, alles Lebensnotwendige zu regeln53. Dieses wechselseitige Abstammungs- und Beziehungsgeflecht erleichterte die Ausbreitung zunächst des Christentums sowie später der „neuen arabischen Religion“, des Islams, unter den arabischen Stämmen54.

Der Vordere Orient war ein Raum rivalisierender religiöser Überzeugungen, intensiver Konkurrenz und Missionstätigkeit. Vieles war im Fluss und noch nicht absolut festgelegt55. Jeder Handelsplatz rang daher um seine Vormachtsstellung bzw. wollte sich im „Konzert der Kultplätze“ behaupten. So war jeder Handelsplatz unter Kontrolle einer bestimmten „Chef-Gottheit“. Die Vielzahl der Gottheiten wurde dabei mit Hilfe von konstruierten Verwandtschaftsverhältnissen in Einklang gebracht. Sure 53,19–23 reflektiert mit der Erwähnung von al-Lât, al-‛Uzzâ und Manât, dass andere Gottheiten in der vormals polytheistischen arabischen Welt vorhanden und den Menschen nicht gleichgültig waren56. Die Göttin al-‛Uzzâ („die Starke, die Mächtige“) wurde besonders im Gebiet der Nabatäer nordwestlich der arabischen Halbinsel verehrt, was eine Stele auf dem „Königsweg“ der Nabatäer belegt57.

An solchen Plätzen befand sich in der Regel eine Stele bzw. ein Stein, „Baityl“ genannt, hergeleitet vom hebräischen „bêt’êl“58 („Haus Gottes“). Um die Gottheit oder die Gottheiten zu verehren59, wurden häufig Pilgerreisen unternommen und kleine Gaben dargebracht. Im Gegenzug lieferte die Gottheit Orakelsprüche mit Anweisungen und offenbarte sich selbst durch Visionen.

Religion fällt nicht vom Himmel

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