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Die Konfessionsfamilien im syrischen Raum

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Der Streit um die Christologie war daher auch ein Streit um die rechte Hermeneutik, d.h. um die rechte Weise der Schriftauslegung und ein Streit über den rechten Zugang zum Geheimnis der Inkarnation, d.h. der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Das Konzil von Chalcedon aus dem Jahr 451 machte deutlich, dass der Glaube aus einem Christusbild lebte, „dessen Fülle nicht mit den Formeln von 451 über die Person Christi eingefangen werden konnte“158. So kam es, dass sich damals verschiedene Kirchen von der byzantinischen Großkirche abspalteten, gleichwohl sie sich untereinander im Tiefsten mehr eins waren, als sie es selbst wussten. Aus diesen Richtungen der christologischen Streitigkeiten entwickelten sich im syrischen Raum drei verschiedene Gruppen von Christen159, die auch besonderen Einfluss auf den Großraum Syrien und die Araber hatten:

1. Die westsyrische „Syrisch160-Orthodoxe Kirche von Antiochien“: Ihre Christologie wurde geprägt durch die „mia physis“-Formel161 des Apollinarius. Man nannte sie „Monophysiten“ gleichwohl die Bezeichnung „Miaphysiten“ angemessener gewesen wäre. Sie lehnten die Beschlüsse des Konzils von Chalcedon ab, weil sie darin nicht die Einheit der Person Christi genügend berücksichtigt fanden. Zudem förderten nationale, d.h. politisch gegensätzliche Interessen die Entstehung verschiedener „miaphysitischer“ bzw. „monophysitischer“ Kirchen. Die syrischen „Monophysiten“ werden nach Jakob Baradäus (gest. 578) auch „Jakobiten“ genannt. Jakob Baradäus, 544 zum „Araberbischof“ geweiht, etablierte die „monophysitische“ Kirche nicht nur im westsyrischen, sondern auch im ostsyrischen Raum162 und bewahrte durch seine unermüdliche Tätigkeit diese antichalcedonensische Kirche in Syrien vor dem Aussterben. Zu den „Monophysiten“ zählen bis heute auch die Koptische Kirche (in Ägypten), die Armenisch-Apostolische Kirche und die Äthiopische Kirche.

2. Die mit der römisch-byzantinischen Reichskirche verbundenen Christen, die „Melkiten“ genannt wurden: Ihren Namen erhielten sie, weil sie sich mit dem Kaiser in Byzanz verbunden wussten („Melkiten“ von aramäisch malkâ’ /hebräisch „mäläḵ“ = König, so ihre Bezeichnung ab dem 7. Jahrhundert, hier schon verwendet um der geschichtlichen Linien willen). Diese Christen waren Anhänger der „Zwei-Naturen-Lehre“ und trugen die Konzilsbeschlüsse von Chalcedon mit. Als chalcedonensische Kirchen gelten heute die griechisch-orthodoxe Kirche, die römisch-katholische (lateinische) Kirche, die griechisch-katholische Kirche (heute „Melkiten“ genannt, aber nicht identisch mit der Kirche aus dem 7. Jahrhundert!) und die Maroniten (eine ab dem 7. Jahrhundert in enger Beziehung zu Rom stehende Kirche im Libanon); insgesamt alle Kirchen der Orthodoxie sowie alle westlichen Kirchen inklusive der Protestanten und Anglikaner.

3. Schließlich die „Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens“, die sich besonders im ostsyrischen und persischen Raum stark entwickelte. Sie selbst führt ihre Ursprünge zurück auf die Apostel Addai (Thaddaeus aus Mt. 10,3) und seinen Schüler Mari, die von Jerusalem, Edessa und Antiochien den Glauben nach Mesopotamien gebracht haben sollen163. Ihren Lehrern, zunächst und vor allem Theodor von Mopsuestia, später dann auch Nestorius, wurde vorgeworfen, eine „Zwei-Personen-Lehre“ zu verbreiten. Sie wurden im Laufe der Geschichte polemischerweise „Nestorianer“164 genannt, um ihre angebliche häretische Haltung zu demonstrieren. Ihre Christologie steht im Folgenden im Mittelpunkt der Ausführungen, weil ihre theologischen Grundlagen von den arabischen Christen im 7. Jahrhundert und später in veränderter Weise vom Islam aufgegriffen worden sind. Mit ihrer Geist-Christologie könnte sie heute eine Brückenfunktion zwischen westlichem Christentum und dem Islam einnehmen165.

Bis heute sind die syrischen Kirchen, die von ihren verschiedenen christologischen Bekenntnissen geprägt sind, lebendige Zeugen des christlichen Glaubens im Vorderen und Mittleren Orient. In der westsyrischen Tradition steht dabei die „syrisch-orthodoxe Kirche“ (die „Jakobiten“), in der ostsyrischen Tradition die „Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens“. Beide Traditionen haben je einen mit der lateinischen, d.h. römisch-katholischen Kirche verbundenen Zweig: die syrisch-katholische Kirche im westsyrischen Raum und die „Chaldäische Kirche“ im ostsyrischen Raum, deren Mitglieder heute insbesondere an den Folgen des Irak-Krieges unter Verfolgung und Ausgrenzung zu leiden haben. Gerade die zuletzt genannte Kirche ist ein fast vergessener Strang des Christentums. Das ist mehr als nur bedauerlich, da den westlichen Kirchen (und damit zunächst einmal Europa) auf diese Weise eine Art des Denkens und Glaubens verloren gegangen ist, die für das christliche Selbstverständnis wie auch für den christlich-muslimischen Dialog von größter Bedeutung sein könnte. Diese „Kirche des Ostens“ bewahrt bis heute eine unglaublich große Anzahl theologischer Literatur sowie ein reiches spirituelles Erbe166, auf dessen Fülle in diesem Rahmen nur ansatzweise eingegangen werden kann.

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