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„Die Kirche des Ostens“ politisch zwischen den Großmächten
ОглавлениеMitte des 3. Jahrhunderts gelang es den Persern, das römisch-byzantinische Reich im Nordwesten Syriens fast bis zum Mittelmeer zurückzudrängen. Antiochien wurde erobert und viele seiner jüdischen und christlichen Bewohner wurden ins persische Reich nach Osten verschleppt12. Das Gebiet konnte von Byzanz wieder zurückerobert werden, was zur Folge hatte, dass weitere Juden nach Osten fliehen mussten, um ihrer Verfolgung zu entgehen – ebenso wie die Christen, die nach Auffassung der römisch-byzantinischen Reichskirche ein anderes, d.h. häretisches Bekenntnis zu Gott und zu Jesus Christus hatten. Die im aramäischen Denken beheimateten syrischen Christen mussten so ebenfalls in das persische Reich fliehen.
Aufgrund der in den weiteren Jahrhunderten immer wieder neu aufbrechenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem römisch-byzantinischen Reich und den Persern (dem Sassanidenreich), flohen aramäisch sprechende Christen weiter nach Osten. Aus diesen Gründen gab es im 5. Jahrhundert viele Gemeinden im Osten, die ursprünglich in Antiochien zu Hause gewesen waren und/oder die die theologische Lehre, wie sie in Antiochien (und später in Edessa) entwickelt worden war, teilten. Im Jahr 540 wurde sogar die ganze Einwohnerschaft Antiochiens durch die Perser deportiert. So gab es in Persien neben den sich ursprünglich dort entwickelnden zoroastrischen Gemeinden und manichäischen Kirchenstrukturen13 auch über drei Jahrhunderte lang „christliche Parellelstrukturen“ durch Kirchen mit byzantinischem und ostsyrischem Selbstverständnis 14.
Doch im persischen Reich waren die (Über-) Lebensmöglichkeiten nicht immer gesichert. Je nachdem, welcher Herrscher an der Macht war und wie sich das Verhältnis zum „christlichen Westen“ gestaltete, lebten Juden und Christen mehr oder weniger unbehelligt. Die Sassaniden, die neuen Herrscher in Persien nach den Parthern seit ca. 226, bauten ein zentralistisches System auf, bei dem der Zoroastrismus zur Staatsreligion erhoben wurde. Dadurch kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Der Zoroastrismus (oder auch Parsismus) wurde in Persien durch Zarathustra im 7. Jahrhundert v. Chr. begründet, der als Erneuerer der iranischen Religion gilt15. Die Lehre ist wesentlich durch sein dualistisches Verständnis der Welt geprägt, die eingeteilt wird in einen guten und einen bösen Bereich. Ähnlich der „uranfänglichen Wahlentscheidung der Geister“ ist das Schicksal der Menschen abhängig von ihrem irdischen Leben und sie sind so Teil eines kosmischen Kampfes um die Weltherrschaft. Das Heil der Menschen wird am Ende nach guten und schlechten Taten gewichtet. Nicht nur diese Überzeugung, sondern auch das theokratische Selbstverständnis der sassanidischen Herrscher wie noch weitere Aspekte der iranischen Religion sollten im 8. Jahrhundert die Entwicklung einer arabischen Religion mitprägen, die wir heute als Islam kennen.
Unter diesen machtpolitischen Voraussetzungen hatten Juden wie Christen gleichermaßen zu leiden. Die Juden verloren ihren Einfluss am persischen Hof, den sie anfänglich unter den Sassaniden noch hatten. Zwischenzeitlich war es ihnen unter Yazdgird II. (438–457) sogar verboten, das „Šema‛ Yiśrâ’êl“, das wichtigste jüdische Glaubensbekenntnis, zu sprechen und den Sabbat zu feiern. Um 470 wurden kurzfristig auch Synagogen geschlossen. Die vom Westen im persischen Reich isolierte „Kirche des Ostens“ wurde von der römisch-byzantinischen Reichspolitik ab dem Zeitpunkt ganz besonders betroffen, als der römische Kaiser Konstantin I. selbstherrlich alle Christen als „seine Untertanen“ definierte. Dies führte dazu, dass sich im Rahmen der offenen römisch-persischen Konflikte im Großraum Syrien die Situation der Christen im Osten verschärfte. Sie waren immer wieder Verfolgungen ausgesetzt, weil sie unter dem Verdacht standen, „Spione“ des römischen Reiches zu sein16.
Auch wenn es Einschränkungen am persischen Hof gegeben hat und trotz immer wieder aufflammender Verfolgungen und Unterdrückungen konnte sich das Christentum im ganzen Reich weiter etablieren und ausbreiten17. Zu dieser Ausbreitung trug wesentlich der Bau weiterer Klöster und Kirchen bei, die Zentren geistiger und theologischer Ausstrahlung sowie gelebter asketischer Spiritualität waren. Besonders das ostsyrische Christentum konnte sich als einziges innerhalb des persischen Reiches festigen, weil es nicht mit dem römisch-byzantinischen Reich verbunden und so den Persern noch einigermaßen genehm war – im Gegensatz zu den mit dem römisch-byzantinischen Reich verbundenen „Monophysiten“ und „Melkiten“ und ihren Gemeinden18. Dennoch lässt sich festhalten: Die ostsyrische Kirche war politisch ab Mitte des 4. Jahrhunderts eingezwängt zwischen dem römisch-byzantinischen und dem persischen Reich.