Читать книгу Religion fällt nicht vom Himmel - Andreas Goetze - Страница 55
Die Bewährung aus der Kraft des Geistes in der Geschichte
ОглавлениеDie Kleidungssymbolik hat darüber hinaus für das Verständnis der Tauftheologie große Bedeutung in der „Kirche des Ostens“ erlangt. Ephraem schreibt in einer seiner Hymnen: „Unser Körper wurde Dein Kleidungsstück, Dein Geist unsere Robe“. Taufe bedeutet in diesem Sinne: „Christus anziehen“. Dass es nicht um „Adoptianismus“ geht, zeigt die liturgische Praxis der armenischen Kirche, die bis heute am 6. Januar das gemeinsame Fest der Geburt und Taufe Jesu feiert und damit zentral die wirkliche Inkarnation durch den Geist. Die Inkarnation wird damit nicht nur – wie beim Adoptianismus – bei der Taufe deutlich, sondern auch bei Geburt und Auferstehung. Der Heilige Geist ist stets als wirkend gedacht, der den Menschen wieder neu „ankleidet mit dem Gewand der Herrlichkeit“. Ausgehend von der beschriebenen „Namenschristologie“ haben alle Namen Christi die Kraft, den Menschen selbst neu aufzurichten: „Er hat uns gekleidet in die Namen seiner Größe“79. So sprach Ephraem davon, dass „Jesus seine Herrlichkeit ablegt und einen Körper anzieht“.
Was den Byzantinern und Lateinern im Westen verdächtig nach „Adoptianismus“ klang, war für die ostsyrische Theologie die Symbolik einer „Metaphysik der Einheit“, die sich als Wirkung des Geistes Gottes verstand. Schon die Jungfrauengeburt wurde im „Bekleidungsschema“ gedacht: Durch den Heiligen Geist ist es Maria, die dem „inkarnierten Logos“ Raum gibt80. Diese Betonung des „Erstgeborenen aus dem Geist“ und die Betonung der Transzendenz der göttlichen Natur des Sohnes, die unbegrenzt, unsterblich, unantastbar und unveränderlich ist81, ist der wesentliche Unterschied zum Adoptianismus und stellte eine entscheidende Weiterentwicklung zu einer relational-existentiellen Christologie dar – in Abgrenzung zu den Anfängen der „antiochenischen Theologie“ bei Paul von Samosata oder Lucian von Antiochien.
Dieses „Mysterium der Einheit“ besteht von Seiten Gottes in der vorbehaltlosen ewigen Erwählung Jesu und der göttlichen Gnade, von Seiten Jesu nach Phil. 2 im Gehorsam bis (!) zum Tod (nicht durch (!) seinen Tod82) in der ethischen Bewährung83. Vergleichbar dem jüdischen Verstehen orientierte sich das syrische Denken vor allem an der Geschichte und nicht am „abstrakten Sein“ wie die hellenistische Tradition84. Gott begegnet, er wirkt, er geschieht, er „ist“ nicht einfach „an und für sich“. Gott handelt in der Geschichte als Schöpfer, so dass jedes Geschaffene in einer geheimnisvollen Beziehung zum Ganzen steht und symbolisch für das Göttliche aufgefasst werden kann85.
Das Geheimnis des Glaubens ist nicht Christus an sich, sondern „ich in Christus“ bzw. „Christus in mir“. Die Christen waren sich gewiss, dass sie auf diese Weise eine persönliche Beziehung zum lebendigen Christus aufbauen konnten. Die spekulativen Gedanken, die im Blick auf die Konzilien so viel Aufmerksamkeit erlangt hatten, hatten eine viel tiefere spirituelle Bedeutung. So zeigte auch die „Kirche des Ostens“ wenig Interesse an traditioneller Metaphysik und an ontologischen Fragen und Begriffen. Dem ostsyrischen Christentum ging es vor allem um „die erfreuliche Erneuerung bzw. Verklärung des Lebens in dieser Welt“86, befähigt durch den Geist Gottes: Christus ist nicht tot, denn „der Herr ist Geist“ (2. Kor. 3,17)! Nicht der „gekreuzigte Messias“ war Zentrum der Verkündigung, sondern der „lebendige Jesus Christus“: Der Geist Gottes kommt leibhaftig zum (!) Menschen.
Die Nachahmung der Inkarnation durch eine asketische Lebensweise war schon ein wichtiger Teil der „Volksfrömmigkeit“ im syrischen Raum im 2. Jahrhundert87. „Christus gleich zu werden“, ihn auf symbolische Weise nachzuahmen, so die Überzeugung, führe zur Verwandlung des menschlichen Körpers in ein „Instrument von Gottes Denken und Wollen“. Gehorsam und Selbstkontrolle spielten dabei eine wesentliche Rolle. Die eschatologische Ausrichtung auf die Wiederkunft Jesu verlieh der Ethik einen asketischen Zug. Jesus ist im Kommen. Darauf galt es, sich vorzubereiten.
Das Heil findet der Mensch daher in der Nachfolge Jesu, in seiner Bewährung in der Geschichte und nicht wie im hellenistisch geprägten Christentum in der „Vergöttlichung“ durch den „Gottmenschen Jesus Christus“. Es gibt demnach keine christologische Gewissheit („Christus in mir“) ohne Nachfolge. Der christliche Weg – letztlich besonders bezogen auf eine asketische Lebensweise – zielte auf die „Krone der Erlösung für die, die gekämpft haben und den Kampf gewonnen haben“88. Dabei ging es nicht um einen „einfachen Humanismus“, sondern um das relationale Verständnis der Einheit mit Gott durch den Geist, eben um eine „existentielle Einheit“. Es ist nicht zufällig so, dass das syrische Christentum insbesondere durch seine spirituellen Zentren, die Klöster, geprägt wurde, die zahlreich gegründet wurden und einen hohen Zulauf zu verzeichnen hatten. Sie konnten an die im syrischen Großraum bekannten „Heiligen Männer“ anknüpfen, die in der „Volksfrömmigkeit“ nicht nur als besonders eindrucksvolle Persönlichkeiten angesehen waren, sondern vor allem als Männer galten, die in der Kraft des Heiligen Geistes in einer spirituellen Beziehung zu Gott lebten89.
Die „ununterbrochene Einwohnung“ des Logos war so ein Modell für die vollkommene Beziehung zwischen Gott und Menschheit geworden90. Jesus zeigt und ermöglicht dem Menschen einen freien (!) Gehorsam gegenüber Gott durch die Erneuerung im Geist („Christus in mir“). Diese Einheit wird mit dem Begriff „eudokia“ (Dankbarkeit) bzw. syrisch „’audî“ (lobend bekennen) umschrieben: Dank der Gnade Gottes erscheinen göttliches und menschliches Leben in Harmonie und sind untrennbar mit dem Leben Jesu wirklich und wahrhaftig verbunden.
Dieser „lebendige Christus“ ist das unbegreifliche Geheimnis der ewigen Errettung, die Gewissheit, dass „Gott uns stets besucht“ 91. Am deutlichsten kam das in der syrischen Liturgie der Eucharistiefeier durch den Triumphruf „Unser Herr ist gekommen!“ zum Ausdruck. Es ist ein Glaube an eine direkte „Geistbeziehung“ zwischen den Gläubigen und dem „das ewige Leben gebenden Jesus“. Solche Präsenz („parousia“) von Christus im Heiligen Geist war Kennzeichen einer unmittelbaren Naherwartung, dass das Gericht Gottes und das ewige Gottesreich unmittelbar bevorstehen. Die religiösen und politischen Wirren und Kriege durch die ständig wechselnden Machthaber im Großraum Syrien gaben Anlass genug, diese Ereignisse als Vorzeichen einer großen Wende anzusehen. In eíner religiös und politisch aufgeladenen Zeit sollte dieses Denken unter den Arabern im Großraum Syrien eine einflussreiche Bedeutung erlangen.