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… und im Großraum Syrien

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Im Großraum Syrien und später auf der arabischen Halbinsel waren sehr verschiedene Ausprägungen (Konfessionen) des Christentums zu Hause165. So gab es montanistische166 Christen wie Tertullian, modalistische Christen wie Sabellius oder Lucian, gnostische Christen („Doketisten“) wie Valentin und Marcion, arianische Christen, „monophysitische“ Christen wie Apollinarius, Anhängern von Chalcedon und Christen aus der „Kirche des Ostens“, geprägt von Ephraem, Theodor von Mopsuestia und Nestorius. Im westsyrischen Raum überwogen vor allem die „monophysitischen“ Kirchen, die syrisch-orthodoxe Kirche (die „Jakobiten“) und die syrischen „Melkiten“167.

Die liturgische Sprache dieser syrischen Kirchen war Aramäisch. Selbst die „Melkiten“, die Anhänger des Bekenntnisses von Chalcedon und damit der byzantinischen Orthodoxie, sprachen teils griechisch und teils aramäisch. Was Baynes für den westsyrischen Raum beschrieb, dürfte abgeschwächt auch für die arabische Halbinsel gelten: „Die griechischen Städte in Syrien und irgendwo in Asien und die nichtchristlichen arabischen Stämme auf der Halbinsel müssen als einsame Inseln umgeben von einem aramäischen Meer gesehen werden“168.

Im ostsyrischen Raum war vor allem die „Heilige Apostolische Assyrische und Katholische Kirche des Ostens“ verbreitet169. Dennoch waren durch Missionstätigkeit des ersten „Araberbischofs“ Jakob Baradäus170 (gest. 578) auch die „Jakobiten“ sowohl im ostsyrischen Raum als auch auf der arabischen Halbinsel mit zahlreichen eigenen Gemeinden und bischöflichen Strukturen vertreten. Blickt man auf die ganze Region, waren die Christen dort tief verwurzelt171, blieben aber durch interne religiöse Kontroversen, durch andere religiösen Strömungen sowie durch äußere politische Ereignisse stets zugleich gefährdet wie auch herausgefordert.

Das römisch-byzantinische Reich hatte durch machtvolle Nutzung der Konzilien auf der einen Seite ein Interesse daran, die nicht chalcedonensischen Kirchen als „häretisch“, als Abweichler vom rechten Glauben, darzustellen172. So versuchten sie, einen geordneten Aufbau kirchlicher Strukturen zu behindern. Auf der anderen Seite brauchte Byzanz die gut entwickelten Strukturen dieser Kirchen, um Beziehungen zu den jenseits ihrer Grenzen im persischen Reich befindlichen Menschen aufzubauen und zu erhalten. Dieses „Doppelspiel“ (teils unterdrücken, teils für sich nutzen) spielte z.B. der byzantinische Kaiser Justinian im Jahre 530/31, als er die Verfolgung der „Monophysiten“ stoppte, aber gleichzeitig verhinderte, dass neue Bischöfe in ihren Diözesen eingesetzt werden konnten. Diese immer wieder unklare Politik verunsicherte die christlichen Gemeinden und schwächte insgesamt die christliche Position. Dazu trugen auch die militärpolitischen Auseinandersetzungen bei, die durch die Vielfalt der Konfessionen innerhalb des Christentums geführt wurden173. In diese waren auch arabische Stämme (wie die Ġassaniden oder die Laḫmiden) in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Bündnispartnern verwickelt.

Da der kirchliche Einfluss und seine Ausstrahlung in der Region insgesamt groß war174, hatten sich immer mehr arabische Stämme dem Christentum zugewandt. Gleichwohl ihre Zuwendung teilweise aus politischen Motiven geschah, wurde die Lebensweise und Kultur dieser Stämme nicht nur äußerlich berührt175. Sicher, manche der arabischen Nomaden „erklärten sich selbst zu Christen“, was recht genau die Art und Weise beschreibt, wie sie das Christentum angenommen haben. Andere waren aber wirklich „christianisiert“, so dass sie ihren Lebenswandel sowie ihre Gewohnheiten änderten. Insgesamt lässt sich sagen, dass seit dem 5. Jahrhundert Gemeindebildungen und kirchliche Hierarchien unter arabischen Christen fassbar werden. Ebenso hat, wie oben angedeutet, das Judentum im persischen Raum sowie auf der westlichen Seite der arabischen Halbinsel die Entwicklung mit bestimmt, wie z.B. die sesshaften judaisierten Stämmen in Yaṯrib/Medina und im Yemen zeigen, die sich als „treue Juden“ mit der jüdischen Tradition verbunden sahen und die aramäische Sprache pflegten176. Und auch wenn sich diese Stämme als „treue Juden“ sahen, sind ihre verschiedenen nicht-jüdischen Einflüsse ebenfalls festzuhalten.

Wenn man auch eine gewisse Dominanz der christlichen Mission erkennen kann, sind in dieser komplexen und sich wechselseitig beeinflussenden Gesamtsituation die Übergänge fließender als gemeinhin angenommen. Ein großes Spektrum von Möglichkeiten, sich religiös zu äußern und zu leben, boten die verschiedenen Ausprägungen von Judentum, Christentum und den anderen religiösen Gruppen an und hatten ihren Einfluss auch unter den Arabern. Das ist in einer pluralistischen Kultur wie es der syrische Großraum gewesen war, keine Überraschung. Durch Auswahl und Selektion religiöser Ausdrucksformen innerhalb eines allgemein verfügbaren religiös-kulturellen Erbes entwickelten sich die verschiedenen Gruppierungen mit ihren jeweils spezifischen Elementen177.

Religion fällt nicht vom Himmel

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