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Aphrahats Namenschristologie

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Ein Zeitgenosse des Konzils von Nicaea war der syrische Theologe Aphrahat (ca. 270–345), der deshalb von Bedeutung ist, weil er von den Diskussionen vor Nicaea und von den Ergebnissen des Konzils keine Kunde hatte. Er war geprägt vom aramäischen (hebräischen) Denken und hat sich „eine relative Autonomie gegenüber dem griechischen Westen bewahrt und (hat) so gut wie keine Berührung mit dem noch ferneren lateinischen Westen gehabt“35. Er war vom arianischen Streit völlig unberührt und konnte seine Theologie in seinem eigenen Milieu entfalten.

Aus westlichem Blickwinkel konnte es aufgrund der teilweise verwendeten Begrifflichkeiten so scheinen, dass sich die ostsyrische Kirche adoptianisch und vornicaeanisch äußerte. Doch was aus westlicher Sicht betrachtet Gebrauch einer vornicaenischen Sprache in Bezug auf Gott war, bedeutete aus ostsyrischer Sicht nur eine Sprache, die vom aramäischen Denken geprägt und trotz hellenistischer Einflüsse nicht tiefgreifend von Begriff-lichkeiten aus dem hellenistischen Denken bestimmt war. Aphrahat lässt keinen Zweifel daran aufkommen, „dass Jesus Gottes Sohn ist und dass er Gott ist, der aus Gott gekommen ist“36. Er versteht Jesus als präexistenten Sohn Gottes, der nach dem Philipperhymnus (Phil. 2,5b–11) „die Form eines Sklaven angenommen hat, um die Menschheit mit auf den Thron der Herrlichkeit zu nehmen“37. Nur wenn er von der Wirkung und Funktion Jesu in der Heilsgeschichte spricht, kann er ihn nach alttestamentlichem Vorbild einen großen Propheten nennen und mit Mose, Salomon oder dem Volk Israel vergleichen38. Von der Bibel herkommend, legte er Wert auf den Literalsinn sowie den historischen Kontext der Bibel (ganz im Sinne der „antiochenischen Schule“). Aphrahat schrieb aber nicht gegen Arianer39, sondern er versuchte die Juden zu gewinnen, in Jesus den verheißenen Messias zu sehen.

Nicht ein vornicaenischer Sprachgebrauch und schon gar nicht adoptianisch gemeint ist die von Aphrahat benutzte „Namenschristologie“40. Bei ihr kommt vielmehr der Bilderreichtum der syrischen Sprache zur Geltung. In diesem Zusammenhang ist auch der syrische Theologe und Kirchenvater Ephraem zu nennen, der die heilsgeschichtliche Funktion Christi ebenfalls mit einer kaum wiederzugebenden Fülle von Namen beschreibt41.

D. h. auch nach Nicaea lässt sich die „Namenschristologie“ als ein Spezifikum für eine bestimmte Art, sich theologisch auszudrücken, aufzeigen. Mit den mannigfaltigen Namen sollte die Einzigartigkeit der Gestalt Jesu erfasst werden – ein im syrischen Raum weit verbreiteter Gedankengang, der später auch in der islamischen Tradition mit den „99 Namen Gottes“ aufgegriffen wurde42. Indem man aussagt, wie Christus ist (durch die Namen aus der Heilsgeschichte verdeutlicht), wird klar gemacht, wer er ist. Durch die Funktion, die er ausübt, wird das Wesen bestimmt, das er hat. „Wir nennen ihn Gott wie Mose und Sohn wie Ismael … und einen großen Propheten wie alle Propheten“43. Schon der Alttestamentler Martin Noth hat festgestellt, dass der Name eines Menschen eine viel größere Bedeutung und einen viel engeren Zusammenhang mit der Person seines Trägers hat als es nach dem westlichen Verständnis und damit unseren Begriffen der Fall ist. „Ist ein Mensch in besonderem Maße gesegnet, so ruht auch auf seinem Namen ein besonderer Segen“44. Wieviel mehr gilt das in Bezug auf Gott und die christologischen „Namen“!

Aphrahat will hier nicht (wie auch später Nestorius oder Ephraem) in adoptianischer Weise über Jesus sprechen. Damit würde er ja seine jüdischen Gegner nur bestätigen! Für Aphrahat ist Jesus nicht auf der gleichen Stufe wie Mose und das Volk Israel45. Vielmehr möchten beide ihre Aussagen nicht im wortwörtlichen Sinn verstanden wissen46, sondern im Geist des aramäischen Denkens: Hierbei sind Name und Person aufs Engste miteinander verbunden, so dass der „Name“ zu einer Umschreibung wird für die Gottheit selbst. Aus diesem Grund konnte „Christus“ auch verstanden werden als der inkarnierte „Name Gottes“, er steht für das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Durch die Namen wird das Wesen Gottes beschrieben, die Namen geben das Wesen Jesu Christi wieder. Sie tun dies allerdings, ohne das Wesen Gottes bzw. Christi statisch-ontologisch wie im hellenistischen Denken festzuschreiben.

In den hellenistisch geprägten naturhaft-ontologischen Aussagen über „Gott an sich“ oder die Gottessohnschaft Jesu sehen die ostsyrischen Theologen ein unangemessenes Eindringen in das unbegreifliche Geheimnis Gottes. Denn es lassen sich über Gott losgelöst von der Geschichte keine Aussagen machen (an dieser Stelle bewahrt die syrische Theologie das jüdische Erbe). Wie Geschichte und Geschichtsdeutung untrennbar miteinander verbunden sind und es keine „objektive“ Geschichtsschreibung gibt, so lassen sich über Gott keine statisch-ontologischen Aussagen „über Gottes Natur an sich“ machen. Nur wenn sich der Mensch hineinnehmen lässt in die Gottesgeschichte, kann er Erfahrungen mit Gott in der Geschichte machen und durch „Namen“ dieser Begegnung mit dem Geheimnis Gottes Ausdruck geben. Starres Sein ist nicht existent. Nur ein Sein, das in innerer Verbindung zu etwas Aktivem, sich Bewegendem liegt, ist eine wahrnehmbare Realität.

Die Frage: „Wer ist Jesus?“ wird im Sinne des aramäischen Denkens durch die Antwort auf die Frage: „Was bewirkt Jesus?“ beantwortet. So ist Jesus „Mose“, er ist „Prophet“ und „Sohn Gottes“, weil er sich in den Begegnungen mit den Menschen auf diese Weise bewahrheitet bzw. bewährt hat. Aphrahat war (wie dann auch Ephraem47 und weitere syrische Theologen) vor allem an den Werken (!) der Offenbarung in der Heilsgeschichte interessiert. Damit lag ihm am Nachweis der Macht und Wahrheit Gottes bzw. Jesu Christi (ausgedrückt in den „Namen Gottes“ bzw. „Namen Christi“), die sich in der Geschichte bewährten. Das Ziel war, den Menschen mitzunehmen auf dem Weg zur Anbetung des einen Gottes.

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