Читать книгу Klausurenkurs im Europarecht - Andreas Musil - Страница 168

II. Gleichheitssatz

Оглавление

135

Wie diese Lösung auszugestalten ist, ist umstritten[20]. Insbesondere ist fraglich, ob die Inländerdiskriminierung vor dem Hintergrund von Art. 3 I GG zulässig ist. Man könnte der Auffassung sein, Herr E als Inländer werde gegenüber Personen wie Herrn D unzulässig schlechter gestellt. Hiergegen können aber mehrere Argumente eingewandt werden.

Zum einen kann bereits die Anwendbarkeit des Art. 3 I GG negiert werden. Die Inländerdiskriminierung wird dadurch ausgelöst, dass einerseits der deutsche Gesetzgeber, andererseits europäische Institutionen rechtssetzend tätig werden. Diese Situation, in der unterschiedliche Normgeber eine Ungleichbehandlung zu verantworten haben, muss nach verbreiteter Auffassung aus dem Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes ausscheiden. Nur derselbe Normgeber könne auch für eine Ungleichbehandlung verantwortlich gemacht werden[21]. Dem ist mit der Einschränkung zuzustimmen, dass im Rahmen der europäischen Rechtssetzung auch der deutsche Staat maßgeblich beteiligt ist. Formal handelt es sich indes um verschiedene Normgeber.

In mehreren jüngeren Entscheidungen zur Inländerdiskriminierung im Handwerksrecht hat das BVerwG die unterschiedliche Behandlung der Handwerker allerdings an Art. 3 I GG gemessen, ohne sich mit der grundsätzliche Anwendbarkeit des Art. 3 I GG auseinanderzusetzen[22]. Legt man diese Rspr. zu Grund, so ist zum einen zu prüfen, ob überhaupt ein Gleichheitsverstoß vorliegt, d.h. wesentlich Gleiches willkürlich ungleich bzw. wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird[23], und zum anderen, ob eine mögliche relevante Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.

Es kann bereits bezweifelt werden, ob die von der Inländerdiskriminierung Betroffenen materiell in derselben Situation sind wie diejenigen, die sich auf die Freizügigkeit berufen können. Wer nämlich von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht, muss in der Regel zwei oder mehreren Rechtsordnungen genügen, wenn er seinen Beruf ausübt. Der Inländer, der sich nicht über Grenzen bewegt, ist nur einer einzigen Rechtsordnung unterworfen. Deshalb kann es ihm auch zugemutet werden, sich voll in diese Rechtsordnung einzuordnen[24]. Insofern würde es bereits an der Vergleichbarkeit der beiden Handwerkergruppen fehlen.

Doch auch das könnte letztlich offen bleiben, wenn die Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden könnte. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn des Art. 3 I GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen. Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art. 3 I GG nur festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Vorliegend geht es um Regelungen, die zwar nicht unmittelbar nach der Staatsangehörigkeit differenzieren, aber doch im Inland und im EU-Ausland für ihren Beruf ausgebildete Handwerker bei der Zulassung zur selbstständigen niedergelassenen Tätigkeit im Inland verschieden behandeln und sich damit auf die Grundrechtsposition aus Art. 12 I GG nachteilig auswirken. Für die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung müssen folglich Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können[25].

Ein gewichtiger sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt in der Tatsache begründet, dass der nationale Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit durch Europarecht gebunden war. Die handwerksrechtlichen Bestimmungen mussten bindende unionsrechtliche Vorgaben für die Zulassung im EU-Ausland Qualifizierter in nationales Recht umsetzen. Für die im Inland ausgebildeten Handwerker konnte der Gesetzgeber das unionsrechtliche Modell des berufspraktischen Befähigungsnachweises schon deshalb nicht übernehmen, weil dieses nach § 9 HandwO regelmäßig eine Tätigkeit als Selbstständiger oder Betriebsleiter voraussetzt, die den im Inland ausgebildeten Gesellen nach § 7 HandwO grundsätzlich nicht offen steht. § 7b HandwO musste deshalb gerade zur Vermeidung einer Benachteiligung eine abweichende Zugangsregelung treffen[26]. Die Ungleichbehandlung ist auch verhältnismäßig. Sie dient dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, einerseits den unionsrechtlichen Bindungen Rechnung zu tragen, ohne andererseits das vor Art. 12 I GG gerechtfertigte Qualifikationserfordernis für die selbstständige Tätigkeit im Inland aufzugeben. Die im Inland ausgebildeten Handwerker werden dadurch nicht unzumutbar belastet. Somit ist die Ungleichbehandlung gerechtfertigt[27].

Im Ergebnis verstößt die Inländerdiskriminierungen daher nicht gegen Art. 3 I GG.

Klausurenkurs im Europarecht

Подняться наверх