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Fürsorge und Achtsamkeit

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Fürsorge wird immer wieder in Kontrast zu den Zielkategorien pädagogischen Handelns gestellt: »Leben zwischen Autonomie und Fürsorge« (Brüll & Schmid 2008), »Von der Fürsorge zur Teilhabe« (LV Selbsthilfe Berlin e.V. 2007) oder »Wer von Fürsorge spricht, möchte damit verdeutlichen, dass über Menschen bestimmt wird, dass sie entmündigt, bevormundet und entrechtet werden« (Conradi 2011, 179). Weshalb also wird Fürsorge hier als ein Aspekt ethisch verantwortlichen pädagogischen Handelns vorgestellt?

Im Folgenden wird gezeigt, dass Fürsorge aus einer anderen Perspektive betrachtet und in enger Verbindung zum Aspekt der Achtsamkeit (wie sie Conradi herstellt) durchaus Relevanz für verantwortungsvolles pädagogisches Handeln hat.

Fürsorge ist eine Grundbedeutung des Wortes ›Sorge‹ und versteht sich im Kern als ein sich sorgen für etwas oder jemanden (vgl. Kranz 1995). So wurde Fürsorge beispielsweise für die Hilfeleistung gegenüber Armen und verwaisten Menschen, die zum Teil von Kirchen, Orden oder Städten in speziellen Armen- oder Waisenhäusern erbracht wurden, bezeichnet (vgl. Schlichting 2015). Mitte des 20. Jahrhunderts kehrte man sich von der Fürsorge als staatliche Einrichtung ab, da diese zunehmend als paternalistisch, bevormundend und stigmatisierend wahrgenommen wurde (vgl. Schnabl 2008). Neue Impulse für den Begriff der Fürsorge kommen aus einer »weiblichen Ethik der Fürsorge«, den Care-Ethics, die C. Gilligan einer männlichen Gerechtigkeitsethik gegenüberstellt (vgl. Kranz 1995). Zwei wichtige Vertreterinnen der Care-Ethics sind Conradi und Tronto. Beide kritisieren, dass Care-Arbeit, die vorwiegend von Frauen getan wird, gesellschaftlich abgewertet wird (vgl. Tronto 1993, Conradi 2001). Beide Autorinnen gehen von assymetrischen Care-Beziehungen aus und verstehen Care als einen kollektiven gesellschaftlichen Prozess, in dem es darum geht, auf Abhängigkeiten einzugehen und dabei keine Gegenleistung zu erwarten (vgl. Tronto 1993). Besonders Tronto ist es wichtig, auf damit einhergehende Machtverhältnisse und deren notwendige Reflektion aufmerksam zu machen (vgl. Tronto 1993). Für Conradi ist es von besonderer Wichtigkeit, dem Prinzip der Autonomie und Reziprozität mit dem Care-Ansatz ein Konzept entgegenzustellen, das vielmehr auf dem Prinzipt der Achtsamkeit beruht.

Dennoch wird der Begriff der Fürsorge nicht ausschließlich positiv diskutiert, und so spricht Graumann in ihrer Einleitung von ›Respekt oder Sorge für behinderte Menschen‹ und macht darauf aufmerksam, dass ›Behindertenaktivistinnen*‹ sich gegen diskriminierende Fürsorge einsetzen und Möglichkeiten fordern, um selbstbestimmt und unabhängig zu leben (vgl. Graumann 2011).

Jantzen kritisiert diesen vielfach zu leichtfertigen Gebrauch des Begriffes (vgl. Jantzen 2010).

»Achtsamkeit wird in diesem Sinne als Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand verstanden, der darauf abzielt, in der Gegenwart wach und präsent zu sein. Historisch betrachtet ist ›Achtsamkeit‹ vor allem in der buddhistischen Lehre und Meditationspraxis zu finden« (Schlichting 2015, 232).

Conradi setzt sich in ihren Überlegungen mit den Care-Konzepten auseinander und entwickelt vor diesem Hintergrund eine »Ethik der Achtsamkeit« (vgl. Conradi 2001, o. S.). Sie verbindet demnach die Begriffe Fürsorge/Sorge und Achtsamkeit. Der Achtsamkeitsbegriff Conradis, auf den wir uns im Kontext von Fürsorge konzentrieren, ist sehr eng an den Begriff der Achtung gekoppelt (vgl. Conradi 2001, o. S.). Achtung als eigener philosophischer Leitbegriff ist als Rechtsbegriff relevant, denn es besteht ein Recht auf ›Achtung der Würde‹. Achtung gilt als »universales Handlungsprinzip auf allen Ebenen sozialer Ordnungen« (Gröschner et al. 2013, 127). Conradi versteht Achtsamkeit sowohl an diesen Begriff der Achtung gebunden, bezieht diese aber vor allem auf den Kontext von Care-Interaktionen. Die jeweiligen Interaktionspartnerinnen* sind dabei oft in einem sehr verschiedenen Maß autonom, weshalb die Begegnung genauso wie die Achtsamkeit nicht auf Gegenseitigkeit ausgelegt ist. Für Conradi ist Achtsamkeit vielmehr eine Zuwendung zum Menschen, das Ernstnehmen jedes Menschen unabhängig davon, »ob eine Person ihr Gegenüber als ähnlich oder als verschieden, als mehr oder weniger autonom empfindet« (Conradi 2001, o. S.). Eine Praxis der Achtsamkeit umfasst dabei Selbstsorge, Bezogenheit auf den Anderen, kleine Gesten der Aufmerksamkeit, pflegende und versorgende menschliche Interaktionen und kollektive Aktivitäten (vgl. Conradi 2001, o. S.). Achtsamkeit ist dabei nichts, was vorausgesetzt werden kann, sondern sie entwickelt sich zwischen Menschen unter anderem durch Zuwendung (vgl. Conradi 2011).

Demzufolge ist es wichtig, dass Achtsamkeit in einem grundlegenden Angewiesensein des Menschen zu begründen ist und eben nicht an die Bedingung von Autonomie gekoppelt wird (vgl. Schlichting 2020). Das ist auf der einen Seite nachvollziehbar, weil Conradi gerade daran gelegen ist, Achtung und Achtsamkeit anderen Personen voraussetzungslos entgegenzubringen und von diesen entgegennehmen zu können. Dennoch muss vor dem Hintergrund, dass pädagogisches Handeln auch darauf abzielt, dem Subjekt größtmögliche Selbstbestimmung und Autonomie zu ermöglichen, hinterfragt werden, wie Autonomie und Selbstbestimmung mit einer Ethik der Achtsamkeit in Verbindung gebracht werden können. Conradi selbst arbeitet heraus, dass sie Autonomie gerade nicht als eine Grundvoraussetzung für eine achtsame Zuwendung versteht (wie Kant dies in seiner Ethik tut), sondern dass sie in der Praxis einer Ethik der Achtsamkeit eine Möglichkeit sieht, Prozesse der Selbstbestimmung zu befördern oder diese sichtbar bzw. erkennbar werden zu lassen (vgl. Conradi 2011). So kann z. B. in der Zusammenarbeit mit einem Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf eine achtsame Zuwendung Voraussetzung dafür sein, dass Selbstbestimmungsbestrebungen erkannt werden können. Vor diesem Hintergrund Momente der Selbstbestimmung zu erkennen und auszulösen, bringt der Fürsorge und Achtsamkeit eine ganz grundlegende Bedeutung pädagogischen Handelns.

Pädagogik bei zugeschriebener geistiger Behinderung

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