Читать книгу Pädagogik bei zugeschriebener geistiger Behinderung - Anne Goldbach - Страница 41
Anerkennung
ОглавлениеDie Ursprünge der anerkennungstheoretischen Ansätze liegen im deutschsprachigen Raum bei Fichte und Hegel. Die Begrifflichkeiten wurden später durch psychoanalytische Schulen und entwicklungspsychologische Forschung aufgegriffen. Rösner vereint in seinem Buch »Jenseits normalisierender Anerkennung« vielfältige Vorstellungen von Ethik und Philosophie (Levinas, Foucault, Bourdieu, Bonfranchi, Horster u. v. m.) in der Frage, welche Verantwortung gegenüber einem Anderen notwendig ist, um diesen tatsächlich als Nächsten und eben Anderen anzuerkennen. Es geht ihm um die Anerkennung des Anderen in seiner Andersheit, womit er auch darauf aufmerksam macht, dass es zur Ermöglichung dieser Anerkennung Ethiken braucht, die nicht auf einer Normalitätsvorstellung beruhen (vgl. Rösner 2002).
Eine im pädagogischen Diskurs vielfach aufgegriffene Theorie der Anerkennung ist die intersubjektive Theorie der Anerkennung von Axel Honneth (vgl. Rösner 2002). Die Überlegungen Honneths zum ›Kampf um Anerkennung‹ werden im pädagogischen Diskurs vielfach einbezogen und rezipiert. Dies deshalb, weil Honneth deutlich macht, dass Anerkennung die notwendige Bedingung dafür sei, dass sich der Mensch in seinen grundlegenden Eigenschaften entwickeln kann (vgl. Moser 2011). Honneth geht es aber vielmehr darum zu zeigen, »wie in individualisierten pluralen Gesellschaften Normkonsense durch praktische Handlungen hergestellt und erkämpft, aber auch akzeptiert und dadurch aufrecht erhalten werden« (Moser 2011, 105). Für ihn entstehen moralische Grundlagen in der individuellen Erfahrung von Anerkennung. Honneth geht davon aus, dass jeder einzelne nur zu einem gelungenen Selbstbild kommen kann, wenn andere ihm dieses positive Selbstbild vermitteln (vgl. Rösner 2002).
Dabei ist bedeutsam, dass jedes Subjekt sich als dasjenige Subjekt begreifen muss, das selbst wiederum Anerkennung gegenüber dem Anderen leisten muss. Honneth entwickelt hierzu eine Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse. In dieser Struktur wird deutlich, dass der Mensch auf bejahende Reaktionen seiner Umwelt angewiesen ist, weil er durch die verschiedenen Formen der Missachtung in seiner Integrität verletzt wird. Honneth beschreibt verschiedene Erscheinungsformen der Missachtungserfahrungen: Vergewaltigung, die auf eine Verletzlichkeit des Körpers abzielt; Entwürdigung, die auf eine emotionale Verletzlichkeit hinweist, und Entrechtung, welche andeutet, dass dem Menschen Rechte aberkannt und Rechtsräume verschlossen bleiben (vgl. Honneth 2014). Aus diesen Erfahrungen der Missachtung heraus entstehe ein ›Kampf um Anerkennung‹. Brachmann macht jedoch deutlich, dass es nur dann möglich ist, um Anerkennung zu ›kämpfen‹, wenn man selbst ein Bewusstsein dafür hat, dass Anerkennung vorenthalten oder verweigert wird. Erst die Erfahrung, anerkannt zu sein, führe dazu, dass man selbst in der Lage ist, Ungerechtigkeit und Missachtung zu erkennen (vgl. Brachmann 2015). Im wissenschaftlichen Diskurs ist genau jene gesellschaftliche Anerkennungsproblematik schon lange Gegenstand von Auseinandersetzungen zur Begrifflichkeit und Bestimmung dessen, was Behinderung selbst ist. Dederich führt 2009 verschiedene Theorien und Zugänge, die Behinderung als sozial- und kulturwissenschaftliche Kategorie verstehen, zusammen und hält fest:
»Behinderung ist in diesem Sinne und je nach Perspektive und Kontext das Ergebnis eines Wahrnehmungs- und Deutungsprozesses angesichts von erwartungswidrigen Merkmalen oder Eigenschaften eines Individuums« (ebd., 37).
Eben jenes Zusammenspiel von Wahrnehmungs- und Deutungsprozessen im Kontext von Anerkennung greift Brachmann auf, indem er ein Anerkennungsverständnis in alteritätsethischer Lesart beschreibt, wonach eine Person X eine Person Y als Person Z anerkennt. »Der Andere wird also vom Subjekt entsprechend seines eigenen Deutungshorizonts als etwas Bestimmtes erkannt und anerkannt und auf diese Weise – als z – gestiftet« (Brachmann 2015, 106). Es ist demnach Aufgabe des Anderen, den Gegenüber gerade nicht festzulegen als den, den er selbst in ihm sieht, sondern »Prozesse der wechselseitigen Anerkennung so offen zu konzipieren, dass der andere Mensch als einzigartiges und von mir unendlich verschiedenes Wesen ›freigegeben‹ wird. Dieses Freigeben des anderen Menschen beinhaltet unter Umständen auch, ihn aus den Erwartungen der Wechselseitigkeit zu entlassen. Wenn es also darum geht, den anderen Menschen als Anderen anzuerkennen, dann erfordert dies ein sehr sensibles Bewusstsein dafür, dass jeder Versuch, mir diesen Anderen anzueignen, ihn auf das Bild, das ich mir von ihm gemacht habe, festzulegen, die Anerkennung sofort zerstört bzw. in Gewalt umkippen lässt« (Dederich 2013, 221 unter Verweis auf Gamm 2000). Ebenso wichtig ist es, deutlich zu machen, dass in jeder Form der Anerkennung gleichzeitig eine Gefahr der Verkennung innewohnt (vgl. ebd.), welche es wahrzunehmen gilt und mit welcher offen und reversibel umgegangen werden muss.