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WAS SIE SCHON IMMER ÜBER DAS NIEDERTEMPERATURGAREN WISSEN WOLLTEN

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WAS PASSIERT BEIM NIEDERTEMPERATURGAREN?

Die Niedertemperatur-Garmethode basiert weder auf unerklärlicher Magie noch auf unter Verschluss gehaltenen Küchengeheimnissen, sondern ganz einfach auf Küchenphysik. Beim heissen Anbraten von Fleisch wird dessen Oberfläche quasi «versiegelt»; dadurch zieht sich der Fleischsaft ins Innere des Fleischstücks zurück. Lässt man das Fleisch nun ruhen, kann es sich wieder entspannen. Dabei zirkuliert der Fleischsaft im ganzen Stück und verteilt sich gleichmässig. Je langsamer dies geschieht, umso besser, denn das Fleisch gart dabei leicht weiter. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Umgebungstemperatur deutlich unter 90 Grad bleibt, jedoch über 56 Grad liegt, jener Temperatur, bei der Eiweiss langsam zu gerinnen beginnt.

WELCHE TEMPERATUR?

Lange Zeit habe ich kleine Fleischstücke bei 70 Grad, grosse bei 80 Grad nachgaren lassen. Diese Unterscheidung mache ich heute nicht mehr, da sich gezeigt hat, dass diese 10 Grad Temperaturunterschied nicht relevant sind. Kleine Fleischstücke lässt man ohnehin nur kurz nachgaren, so dass es auf 10 Grad mehr oder weniger nicht ankommt, bei mittleren und grossen Fleischstücken ist 80 Grad ohnehin die ideale Temperatur.

Den Garprozess praktisch anhalten kann man, indem man die Temperatur gegen Ende der Nachgarzeit auf 60 Grad reduziert; dann wird das Fleisch fast nur noch warm gehalten. Mit der Zeit verliert es zwar seine zartrosa Farbe, aber es ist in jedem Fall immer noch butterzart – vorausgesetzt natürlich, die Fleischqualität stimmt.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass es im unteren Temperaturbereich praktisch keinen Unterschied macht, ob man mit Unter-/Oberhitze oder mit Umluft bzw. Heissluft niedergart. Wer seinen Ofen eher als «heiss» einschätzt, der kann jedoch bei Verwendung von Umluft bzw. Heissluft 75 Grad als Nachgartemperatur wählen. Viele Konsumenten befürchten, dass mit Umluft bzw. Heissluft das Fleisch austrocknet. Dazu ist festzuhalten: Kleine Fleischstücke bleiben zu wenig lange im Ofen, als dass dies einen Einfluss haben könnte; bei grösseren Fleischstücken ist das Äussere vielleicht ein wenig fester gebacken, was jedoch auf die Saftigkeit im Inneren des Fleischstücks keinen Einfluss hat.

WARUM MUSS FLEISCH FÜR DAS NIEDERTEMPERATURGAREN PARIERT WERDEN?

Fett schmeckt nur dann gut, wenn es sehr heiss und/oder leicht geröstet ist. Da beim Niedertemperaturgaren im Ofen das Fleisch einer anderen Art von Hitzeeinwirkung ausgesetzt ist als beim Kurzbraten in der Pfanne, muss das Fett das Fleisch auch nicht vor dem Austrocknen schützen. Aus diesem Grund schneide ich zum Beispiel den Fettdeckel von Entrecôte oder Nierstück vor dem Anbraten weg. Ganz besonders lohnt es sich beim Lammgigot, die ausgeprägten Fettstellen zu entfernen, da sie bei niederen Gartemperaturen einen sehr ausgeprägten, eher unangenehmen Geschmack entwickeln, der sich auch auf das Fleisch überträgt.

Eine Ausnahme bildet die Entenbrust, bei der sich beim Anbraten der Geschmack des Fetts auf das Fleisch überträgt und ein feines Aroma bewirkt. Meistens schneide ich allerdings vor dem Tranchieren der Entenbrust diese fette Hautseite weg, da sie nach dem Garen oft nicht mehr richtig knusprig ist.

WIE LANGE ANBRATEN UND WIE LANGE NACHGAREN?

Generell gilt: Je länger man anbrät, desto kürzer ist die Nachgarzeit im Ofen. Mit diesem Wissen ist es auch möglich, ein Fleischstück nur kurz, jedoch sehr kräftig anzubraten und dann länger im Ofen zu lassen.

Wichtig ist vor allem, dass man immer sehr heiss anbrät, da das Fleisch vor dem Einschieben in den Ofen eine gewisse Grundtemperatur erreichen muss. Beim Festlegen der Anbratund Nachgarzeit ist die Grösse des Fleischstückes von Bedeutung. Weniger entscheidend als die Länge ist dabei die Dicke des Stücks. Ein Rindsfilet zum Beispiel aus dem Kopfstück, also dem dicksten Teil des Filets, muss 1½–2 Minuten länger angebraten werden als das Mittelstück, der Filetspitz hingegen, der dünnste Teil, etwa 1½–2 Minuten weniger lang als der Mittelteil.

Brät man ein grosses Fleischstück direkt im Ofen an, ist es wichtig, beim Zurückschalten der Hitze auf die Fortgartemperatur die Ofentüre so lange geöffnet zu lassen, bis die Hitze auf 80 Grad abgesunken ist. Wird dies unterlassen, gart das Fleisch zu schnell und vor allem bei zu starker Hitze. Beachten Sie auch, dass das Fleisch beim Anbraten im Ofen – eigentlich handelt es sich dabei eher um ein Anbacken – nur gerade die Farbe verliert, nicht aber bräunt wie beim Anbraten in der Pfanne. Daher das Fleisch auf keinen Fall so lange braten, bis sich braune Stellen bilden – dann ist das Fleisch in der Regel bereits fast durchgegart.

Zum Bestimmen der Nachgarzeit ist neben der Anbratzeit nicht das Fleischgewicht oder die Länge, sondern die Dicke des Fleischstücks massgebend. Deshalb unbedingt Augenmass nehmen und je nach Dicke die Anbrat- und Nachgarzeit entsprechend variieren. Dünnere Stücke wie Pouletbrüstchen, Lammrückenfilets oder Kalbs-, Schweins- oder Lammrückenmedaillons lässt man 45–60 Minuten nachgaren. Mittelgrosse Stücke wie Filets, aber auch Fleisch, das «saignant» oder «à point» sein soll, haben eine Nachgarzeit von 1¼–2 Stunden.

Grosse Stücke wie Kalbsbraten, Roastbeef, Lammgigot usw. werden 2–4 Stunden nachgegart. Weitere Details können Sie der Garzeitenübersicht ab Seite 10 entnehmen.

WIE GELINGEN KLEINE UND KLEINSTE FLEISCHSTÜCKE PERFEKT?

Als Faustregel gilt: Je kleiner das Fleischstück, desto heisser, kräftiger und schneller muss es angebraten werden, und zwar nur gerade so lange, bis die Fleischoberfläche rundum knapp ihre Farbe verloren hat. Dabei hat sich in der Praxis gezeigt, dass es am besten ist, das Fleisch während drei Viertel der zumeist sehr kurzen Bratzeit auf der ersten Seite zu braten, dann zu wenden und nur noch so lange weiter zu braten, bis die Fleischoberfläche ihre Farbe verloren hat. Bei Geschnetzeltem soll die zweite Seite noch halb roh sein. Auf diese Weise erhält das Fleisch wenigstens auf einer Seite eine schöne Kruste, ohne dass es dabei zu lange gart.

Geschnetzeltes, Streifen, Würfel und Schnitzelchen werden durchwegs auf höchster Hitzestufe gebraten, da sie insgesamt höchstens 1½–2 Minuten in der Pfanne bleiben. Etwas dickere Stücke wie Medaillons, Koteletts, Pouletbrüstchen usw. brät man 20 Sekunden sehr scharf auf höchster Stufe an, ohne dabei das Fleisch zu wenden, und reduziert die Hitzezufuhr danach um eine bis zwei Stufen. Wird in Portionen angebraten, das Bratfett jedes Mal von neuem wieder stark erhitzen, bevor die nächste Portion Fleisch in die Pfanne kommt.

Auch kleine Fleischstücke dürfen beim Nachgaren auf keinen Fall zugedeckt werden, weder mit Alufolie noch mit einem Deckel; sonst staut sich die Hitze und kann leicht 80 Grad überschreiten.

WARUM ZIEHT DAS FLEISCH WASSER?

Das liegt nur in den allerwenigsten Fällen an der Fleischqualität, sondern an der Köchin oder dem Koch! In der Regel werden nämlich zu grosse Portionen Fleisch auf einmal und diese erst noch zu wenig heiss gebraten. Als Faustregel kann gelten: Jedes Fleischstück muss in der Pfanne so viel Platz haben, dass allfällig austretender Saft sofort verdampfen kann. Zu viel Fleisch in der Pfanne bewirkt zudem einen starken Wärmeverlust am Pfannenboden, so dass aus dem Braten ein Dünsten im eigenen Saft wird.

WARUM HAT SANFT GEGARTES FLEISCH EINE RÖTLICHERE FARBE ALS KONVENTIONELL GEBRATENES?

Dies ist eine Folge der Garmethode (siehe auch «Was passiert beim Niedertemperaturgaren?», Seite 8): Der Fleischsaft bleibt im ganzen Fleischstück verteilt und verändert sich bei den niedrigen Gartemperaturen nur ganz langsam; dies lässt die Fleischfarbe rötlicher aussehen. Das bedeutet aber nicht, dass das Fleisch noch roh oder zu wenig gegart ist. Beim normalen Braten in der Pfanne bei höheren Temperaturen hingegen zieht sich der Fleischsaft relativ schnell ins Innere zurück. Aber auch hier ist im Kern die Fleischfarbe hellrosa, anders als in den äusseren Bereichen. Aus diesem Grund muss man konventionell gebratenes Fleisch nach dem Braten 5–10 Minuten ruhen lassen, damit der Fleischsaft sich wieder im ganzen Stück verteilen kann und beim Aufschneiden nicht ausläuft. Übrigens: Fleischsaft ist nicht Blut, das austritt, sondern eben Fleischsaft. Blut zirkuliert in den Adern, nicht im Muskelfleisch. Deshalb ist auch die Garstufenbezeichnung «blutig» eigentlich nur im übertragenen Sinn zu verstehen.

WIE BRINGT MAN OPTIMAL HEISSES FLEISCH AUF DEN TELLER – TROTZ NIEDERTEMPERATURGAREN?

Für viele Konsumenten ist das Sanftgaren eine ideale Zubereitungsart, weil das Anbraten einige Zeit im Voraus erledigt werden kann und das Fleisch auch bei Verspätung der Gäste oder im Zeitplan köstlich zart bleibt. Immer wieder aber wird bemängelt, dass das Fleisch, bis es auf dem Teller ist, nicht mehr optimal heiss ist.

Aus diesem Grund habe ich vor zwei Jahren angefangen, grössere Fleischstücke am Schluss der Nachgarzeit nochmals kurz zu erhitzen, indem ich die Ofentemperatur in den letzten Minuten kurz erhöht habe. Die Resultate haben mich ermutigt, diesen Wärme-Finish auf die gleiche Weise, wenn auch kürzer auch bei kleineren Fleischstücken zu testen – und die Resultate waren perfekt.

So geht man vor: In der Regel brate ich die Fleischstücke, denen ich einen Wärme-Finish angedeihen lassen möchte, etwas weniger lang an (je nach Grösse insgesamt 1–3 Minuten) und lasse sie dann wie gewohnt die übliche Zeit nachgaren. In den Rezepten in diesem Buch ist dies bereits einberechnet.

Für den Wärme-Finish wird unmittelbar vor dem Servieren des Fleisches (das heisst also nicht etwa schon zu Beginn des Essens während der Vorspeise) die Ofentemperatur von bisher 80 Grad bzw. 60 Grad auf 230 Grad Unter-/Oberhitze erhöht. Dabei nimmt das Fleisch in aufsteigender Temperatur je nach Grösse des Stücks nochmals 5–10 Minuten Hitze auf. Kleine Fleischstücke, die nur kurz im Ofen verbleiben, erreichen dabei normalerweise die Höchsttemperatur nicht, da ein normaler Backofen 6–8 Minuten braucht, bis er auf 230 Grad aufgeheizt ist. Dies beeinträchtigt die Qualität des Wärme-Finishs aber nicht. Auf keinen Fall das Fleisch aus dem Ofen nehmen und warten, bis der Ofen 230 Grad erreicht hat. Würde man so vorgehen, wäre die plötzliche hohe Temperatur für das langsam, bei sanfter Hitze gegarte Fleisch ein Schock, der Fleischsaft würde sich sofort ins Innere zurückziehen und das Fleisch innerhalb von 2–4 Minuten vollständig durchgaren.

Kleinere Fleischstücke sowie Rindfleisch, das «saignant»

bzw. «à point» sein soll, bekommen einen Wärme-Finish von 4–5 Minuten, mittlere Stücke je nach Dicke 6–7 Minuten, Bratenstücke je nach Grösse 8–10 Minuten.

Wer mit Umluft- bzw. Heissluft niedergart, sollte die Temperatur nur auf 200 Grad erhöhen, da bei dieser Zubereitungsart die Ofenhitze schneller ansteigt als bei Unter-/Oberhitze.

Sobald das Fleisch aus dem Ofen kommt, gilt: So rasch als möglich aufschneiden und servieren! Denn die grössere Hitze im Inneren des Fleisches lässt dieses sehr schnell nachgaren, so dass es auch ausserhalb des Ofens nicht mehr lange braucht, bis es durchgegart ist.

Wer einen Nachservice plant, sollte das Fleischstück vor dem Anbraten in ein etwas kleineres und ein grösseres Stück schneiden. Ein Kalbsnierstück von 1–1,2 kg zum Beispiel in ein 400–500 Gramm und in ein 600–700 Gramm schweres Stück. Beide Stücke wie im Rezept beschrieben anbraten, dabei das kleinere Stück ½ Minute früher aus der Pfanne nehmen. Anschliessend beide Stücke normal nachgaren lassen. Vor dem Aufheizen des Ofens für den Wärme-Finish das kleinere Stück aus dem Ofen nehmen und in eine doppelte Lage Alufolie gewickelt bereithalten. Das zweite Stück mit dem Wärme-Finish fertig garen. Nach dem Herausnehmen sofort den Ofen wieder auf 80 Grad einstellen, dabei die Ofentüre einen Spalt weit bis halb offen lassen (einige Öfen schalten sich aus, wenn die Tür zu weit geöffnet ist). Sobald der Nachservice fällig ist, das zweite Fleischstück aus der Folie nehmen, in den Ofen geben und die Temperatur von 80 Grad auf 230 Grad erhöhen. Auf diese Weise hat man zweimal perfekt heisses Fleisch, ohne dass das eine Stück durchgegart ist.

Das grosse Buch vom Fleischgaren bei Niedertemperatur

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