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2.Garantie der Rechtsinstitution „Kommunale Selbstverwaltung“

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48a) Allzuständigkeit. Die Selbstverwaltungsgarantie umfasst keinen festen Aufgabenkatalog, sondern grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung übertragen worden sind.26 Für den örtlichen Wirkungskreis besteht damit eine Zuständigkeitsvermutung; eine Gemeinde kann alle „unbesetzten“ Aufgaben übernehmen. Zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie gehört also lediglich das Universalitätsprinzip als solches, nicht aber ein konkreter Aufgabenbestand. Dieser unterliegt im Grundsatz dem Zugriff des Gesetzgebers und ist damit in Zukunft veränderbar. So können etwa aufgrund ökonomischer, technischer oder sozialer Entwicklungen oder durch Änderung der Bedürfnisse oder Interessen Aufgaben von der Gemeinde- und der Gemeindeverbandsebene nach oben oder nach unten verlagert werden.

49Der Gesetzgeber darf aber den Gemeinden Aufgaben mit relevantem örtlichen Charakter nur aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls entziehen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration scheidet damit als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus.27

50Die Zuständigkeit (Verbandskompetenz) der Gemeinden kann sich zum einen aus einer Verwaltungszuständigkeit (Wahrnehmungs- oder Mitwirkungskompetenz) ergeben. Dies trifft immer dann zu, wenn durch eine Rechtsnorm den Gemeinden ein konkretes Entscheidungs- bzw. Beteiligungsrecht (Anhörungs- oder Informationsrecht) übertragen worden ist.

51Eine Verbandskompetenz kann auch schon vorliegen, wenn die Gemeinde lediglich die Befassungskompetenz besitzt. Eine solche Kompetenz ist dann gegeben, wenn eine überörtliche Entscheidung den Wirkungskreis der Gemeinden in tatsächlicher Hinsicht berührt und damit zu einer „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft“ wird (Örtlichkeitsmerkmal).

52Der Begriff „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft knüpft an die Raumbezogenheit einer öffentlichen Aufgabe an. Es muss sich um Bedürfnisse oder Interessen handeln, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben.28 Auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es dabei nicht an, da das BVerfG die frühere Forderung, die Aufgabe müsse von der „örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbstständig bewältigt werden können“ ausdrücklich aufgehoben hat.29 Die Anlagen oder Einrichtungen, mit denen die Aufgabe wahrgenommen wird, müssen sich ferner nicht auf dem Gemeindegebiet befinden.30 So gehören auch internationale Städtepartnerschaften zum örtlichen Wirkungskreis.31 Trotzdem besitzen aber die Gemeinden kein allgemeinpolitisches, sondern nur ein lokalpolitisches Mandat.

53Die Aufgabenzuständigkeit kann konkret sein oder sich nur im „Bereich des Möglichen“ abwickeln und in der Zukunft liegen. Damit können auch sog. antizipatorische oder Vorratsbeschlüsse gefasst werden. Die Rechtsprechung nimmt dabei bewusst in Kauf, dass „bei einiger verbaler Geschicklichkeit“ die gemeindlichen Beschlussgremien allgemeinpolitische Stellungnahmen „verstecken hinter einer Darlegung des konkreten örtlichen Bezugs und damit ihre wahren Beweggründe tarnen“.32 Voraussetzung ist aber stets, dass die betreffende Gemeinde durch diesen Vorgang „stärker oder deutlich anders als üblicherweise“ berührt sein kann bzw. könnte,33 es sich also nicht nur um eine „allgemeinpolitische Frage“ handelt. Mit der Allzuständigkeit wird zugleich die Einheit der Verwaltung auf Gemeindeebene sichergestellt, wie sie etwa einfachgesetzlich in § 2 Abs. 1 GemO zum Ausdruck kommt.

54Als Gemeindeverbände besitzen die Landkreise im Prinzip die gleichen Zuständigkeiten wie die Gemeinden. Ihr Aufgabenbereich ist allerdings von gesetzlichen Zuweisungen abhängig und an solche Tätigkeiten gebunden, die die Leistungsfähigkeit der Gemeinden überfordern würden (§ 2 Abs. 1 LKrO).34 Die Allzuständigkeit der Gemeinden wird insoweit durch Art. 71 Abs. 2 LV eingeschränkt (Zuständigkeitsschranke). Diese „Überörtlichkeiteiner Aufgabe wurde im Allgemeinen nach der Raumbezogenheit, der Finanz- und Leistungsfähigkeit sowie der verwaltungstechnischen Abwicklung definiert. Nach dieser Auffassung verstößt die gesetzliche Übertragung von Aufgaben auf Gemeindeverbände dann nicht gegen die Garantie der Selbstverwaltung, wenn dies das öffentliche Interesse erfordert und der Wesensgehalt der Selbstverwaltung nicht berührt wird.35 Eine Aufgabenzuweisung an die Landkreise soll die „Ausnahme von der Regelzuweisung“ bleiben und darf allein weder mit Verwaltungsvereinfachung noch einer Zuständigkeitskonzentration, der Leistungsfähigkeit der Gemeinden oder mit ökonomischen Erwägungen begründet werden.36 Der Gesetzgeber darf danach den Gemeinden Aufgaben mit relevantem örtlichem Charakter nur aus übergeordneten Gründen des Gemeininteresses entziehen. Dies trifft insb. dann zu, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Die Zuweisungsnorm in § 2 Abs. 1 LKrO muss damit deutlich eingeschränkter ausgelegt werden. Der Gesetzgeber hat in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob Gemeinwohlinteressen das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip überwiegen oder nicht.

55b) Eigenverantwortung. Die Selbstverwaltungsgarantie beinhaltet auch eine Handlungs- und Gestaltungsautonomie. Diese „Eigenverantwortung“ sichert den Gemeinden einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu, der sie selbst über das Ob, Wann und Wie einer Aufgabenwahrnehmung entscheiden lässt. Ausgestaltet wird die Eigenverantwortung durch ein Bündel von Hoheitsrechten. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates beschränken sich damit auf die Gesetzmäßigkeitskontrolle. Zu den Aufgaben in diesem Sinne zählen die weisungsfreien, nicht aber die weisungsgebundenen Angelegenheiten. Die Eigenverantwortung erfordert eine ehrenamtliche Mitwirkung. Dieser Aspekt wird als „Selbstverwaltung im politischen Sinne“ bezeichnet.

56c) Regelungsbefugnisse. Der Begriff „regeln“ umfasst neben den üblichen Formen des Verwaltungshandelns (Verwaltungsakte, öffentlich-rechtliche Verträge, Realakte) auch die Rechtsetzungsbefugnis durch den Erlass von Satzungen. Kommunale Satzungen können grundsätzlich nur weisungsfreie Angelegenheiten zum Inhalt haben. Sie werden vom Hauptorgan (Gemeinderat) erlassen, das zu diesem Zweck mit Rechtsetzungsbefugnissen ausgestattet worden ist (obwohl der Gemeinderat Exekutiv- und nicht Legislativorgan ist).

57d) Im „Rahmen der Gesetze“. Das Selbstverwaltungsrecht steht den Gemeinden „im Rahmen der Gesetze“ zu, wie sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt. Als Gesetz i. S. v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG (und damit auch i. S. v. Art. 28 Abs. 2 GG) sind „alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen anzusehen, die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten.37 Dieser Gesetzesbegriff umfasst damit nicht nur die Bundes- und Landesgesetze im formellen Sinne, sondern auch Rechtsverordnungen38 und andere vom Staat erlassene Rechtsnormen (soweit sie auf einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung beruhen – z. B. ein Raumordnungsprogramm) sowie das Gewohnheitsrecht (z. B. örtliche Kirchenbaulasten). Der Gesetzesvorbehalt nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG) bezieht sich auf die Aufgabenallzuständigkeit, das Recht zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und auf die Regelungskompetenz. Solche einschränkenden Gesetze dürfen aber den Wesensgehalt (Kernbereich) der kommunalen Selbstverwaltung nicht angreifen. Von einem Angriff muss dann gesprochen werden, wenn durch eine gesetzliche Regelung die Struktur oder der Typ der betreffenden Selbstverwaltungsangelegenheit verändert oder – insgesamt gesehen – die kommunale Selbstverwaltung innerlich ausgehöhlt wird.39

58Bei der Bestimmung des Kernbereichs sollte ursprünglich der geschichtlichen Entwicklung und den besonderen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung getragen werden. In der Rechtsprechung des BVerfG40 tritt allerdings die Verweisung auf die geschichtliche Entwicklung in den Hintergrund. Stattdessen wird zunehmend das Verhältnismäßigkeitsprinzip in den Vordergrund gerückt.41 Dabei wird überprüft, ob der jeweilige Eingriff in die Selbstverwaltung, gemessen am Ziel des Gesetzgebers, gerechtfertigt erscheint oder zu weit geht. Eingriffe, die zeitlich und sachlich begrenzt und durch das übergeordnete öffentliche Wohl erforderlich geworden sind, greifen den Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung grundsätzlich noch nicht an.42

59Außerhalb des Kernbereichs kann der Gesetzgeber das Selbstverwaltungsrecht regeln und näher ausgestalten. Diese Ausgestaltung muss durch „überörtliche Interessen von höherem Gewicht“43 erforderlich geworden sein. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative.44 Die Ausgestaltung muss allerdings auf das notwendige Maß begrenzt sein, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Willkürverbot sind zu beachten. Will der Gesetzgeber den Gemeinden eine Aufgabe als Weisungs- oder Pflichtaufgabe neu übertragen, gelten dieselben Grundsätze.45

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