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b) Konkretisierung über den Gegenstand von Criminal Compliance

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Nimmt man für eine weitere Begriffskonkretisierung von Criminal Compliance ihren Gegenstand in den Blick, so ergeben sich zunächst drei Anknüpfungspunkte für eine Präzisierung. Zum einen steht die Begrenzung des Bezugsgegenstandes auf das Rechtsgebiet des Wirtschaftsstrafrechts in Rede. Hier wurde frühzeitig vorgeschlagen, Criminal Compliance auf Sachverhalte (nicht Straftatbestände) mit wirtschaftsstrafrechtlichem Bezug zu beschränken.[83] Denn eine der Ursprungsvoraussetzungen von (Criminal) Compliance schien doch gerade die Komplexität des in Bezug genommenen Rechtsgebietes zu sein (s. bereits oben Rn. 10). Wo es diese Komplexität des Rechtsgebietes nicht gebe, bedürfe es keiner präventiven oder repressiven (s.o. Rn. 33) Compliance-Bemühungen.[84] Dabei stellte sich freilich schon damals die Frage, ob es diese für Criminal Compliance konstitutive Komplexität im Strafrecht tatsächlich nur „im Wirtschaftsstrafrecht“ gibt:[85] „Ob diese Komplexität allerdings tatsächlich nur in dem Bereich gegeben ist, den wir [. . .] mit Wirtschaftsstrafrecht bezeichnen, ist freilich durchaus zweifelhaft und wird in Zukunft ebenfalls weiter zu diskutieren sein.“[86] Tatsächlich liegt es nahe, Criminal Compliance nicht auf wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte zu beschränken.[87] Zwar ist es richtig, dass das Bedürfnis nach Compliance einer frappanten Rechtsunsicherheit entspringt, die ihre Ursache in einer staatlich oktroyierten hypertrophen Regelungsmaterie hat, die für den Normadressaten häufig nicht mehr verständlich ist. Dementsprechend sind insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht Strafbarkeitsrisiken ex ante nur schwer einzuschätzen, was durch den im unternehmerischen Kontext nicht selten herrschenden Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung noch verstärkt wird. All dies lässt das Bedürfnis nach Risikovermeidestrategien steigen. Und gerade im Unternehmenskontext sind – jedenfalls bei größeren Unternehmen – eben auch die für Compliance notwendigen finanziellen Mittel vorhanden. Insofern bleibt es dabei, dass eine und jedenfalls die originäre – und im Strafrecht bislang allein diskutierte – Konstellation der Criminal Compliance diejenige des Bezugsgegenstandes „Wirtschaftsstrafrecht“ ist.[88] Tatsächlich liegt es aber nicht fern, dass es eine zweite einschlägige Konstellation der Criminal Compliance gibt. Sie zeichnet sich nicht durch eine „Überkomplexität des Rechts“, sondern durch eine „Unsicherheit des Sachverhalts“ aus.[89] Überall dort nämlich, wo zwar der Normbefehl der in Frage stehenden – häufig einfach strukturierten – Straftatbestände (bspw. §§ 212, 223 StGB) bekannt und vom Normadressaten internalisiert, der Sachverhalt aber nicht hinreichend sicher prognostizierbar ist, handelt es sich um eine zweite Fallgruppe der Criminal Compliance. Beispiele hierfür sind etwa der berühmte „Lederspray“-Fall oder aus jüngerer Zeit etwa der Fall des Erdbebens von L‘Aquila 2009[90]. Nicht nur dann also, wenn die Komplexität des Rechts strafrechtliche Verantwortlichkeit schwer antizipierbar macht, sondern auch dann, wenn der Sachverhalt als Subsumtionsgrundlage (ex ante) unsicher ist, lässt sich von Criminal Compliance sprechen.[91] Auch in diesem Fall ist eine „Criminal Compliance-Kultur“ erforderlich.[92] Andererseits fragt sich, ob es sich bei den Sachverhalten um solche handeln muss, die unternehmensbezogen sind.[93] Damit sind zum einen gerade aus einem Unternehmen heraus zugunsten des Unternehmens begangene Straftaten, zum anderen Straftaten der Mitarbeiter zum Nachteil des Unternehmens gemeint.[94] In der Sache geht es bei dem hier aufgeworfenen Problem wohl eher um die Frage, ob Criminal Compliance individual- oder kollektivbezogen ist.[95] Ob es – wie bislang vorgeschlagen[96] – tatsächlich sinnvoll erscheint, Criminal Compliance über den Begriff des (Wirtschafts-)Unternehmens hinaus zu erstrecken, aber auch zu beschränken, auf Organisationen, also auf Dauer angelegte und strukturierte Personenmehrheiten[97], Criminal Compliance sinnvollerweise also Sachverhalte mit Organisationsbezug[98] betrifft, muss die weitere Diskussion zeigen. Dafür spricht vor allem auch, dass insbesondere in Verbünden unterschiedlicher Hierarchieebenen die Gefahren komplex strafrechtswidrigen Verhaltens besonders ausgeprägt zu sein scheinen.[99] Ganz sicher nicht überzeugend ist hingegen die (nur) vereinzelt[100] vorgenommene Beschränkung von Criminal Compliance auf die Vorgaben des nationalen Strafrechts. Denn es stellt gerade eine der wesentlichen Besonderheiten und spezifischen Schwierigkeiten von Criminal Compliance dar, dass die zunehmende Globalisierung und die in deren Folge rasant gewachsene Internationalisierung der Geschäftstätigkeit insbesondere wirtschaftlicher Großunternehmen die Berücksichtigung von Anforderungen ausländischer Strafrechtsordnungen zwingend notwendig macht.[101] Die (oben Rn. 10) angesprochenen Probleme im Rahmen der Antizipierbarkeit rechtlicher Verhaltensanforderungen verschärfen sich naturgemäß dann in besonderer Weise noch einmal, wenn es um komplexe Anforderungen ausländischer Rechtsordnungen geht.

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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