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8. Pflicht zur (Criminal) Compliance?

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Von einem Missverständnis geprägt ist die seit Beginn der Compliance-Diskussion vehement geführte Auseinandersetzung um die Frage nach einer „Compliance-Pflicht“.[171] Eine rechtliche generelle Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Management-Systems gibt es nicht.[172] Und erst recht existiert keine unmittelbar strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Compliance. Der über diese Frage herrschende Streit ist müßig, da es mittlerweile längst einen faktischen Compliance-Zwang gibt.[173] Immerhin sollte damit klar sein, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit allein an das Unterlassen der Einrichtung eines Compliance-Systems bzw. der Vornahme einzelner, konkreter Compliance-Maßnahmen nicht geknüpft werden kann. Das schließt freilich die strafrechtliche Verantwortung für die Vornahme einzelner konkreter sorgfaltswidriger bzw. das Unterlassen einzelner gebotener Handlungen nicht aus. Relevant werden kann ein existierendes – bzw. nicht existierendes – Compliance-System aber insbesondere in strafverfahrensrechtlicher Hinsicht. Das betrifft aber die andere Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von Compliance-Maßnahmen (siehe dazu Rn. 31, 35). In der Sache ist zwischen der Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Management-Systems und der Pflicht zur Vornahme konkreter Handlungen im Rahmen von Criminal Compliance zu unterscheiden.[174] Stets jedoch kann es eine rechtliche Verpflichtung in einem rechtsstaatlichen System nur als Ausfluss existierender Rechtsnormen, niemals hingegen generell und losgelöst von konsentierten Rechtssätzen geben. Zwar ist es insoweit nicht erforderlich, dass jede Pflicht in einer einzigen positiv-rechtlichen Vorschrift explizit als Imperativ formuliert ist. Allerdings muss sich stets jeweils nachvollziehbar ableiten lassen, welches Verhalten der Gesetzgeber von welchem Normadressaten konkret erwartet. Eine derartig eindeutige Verhaltensanweisung an jegliche Art von Organisation „zur Compliance“ existiert aber nicht. Richtig ist und frühzeitig absehbar war aber, dass sich in konkreten Rechtsvorschriften zunehmend Verhaltensanweisungen mit Compliance-Bezug finden.[175] Daher stellt es auch nicht unbedingt eine juristische Sensation dar, wenn das LG München I im sog. „Siemens/Neubürger“-Urteil[176] – in Anbindung an die konkreten Rechtsnormen der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG – aus der Legalitätspflicht des Vorstandes die Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems ableitet. Das heißt: Aus einzelnen Rechtsvorschriften können durchaus konkrete Compliance-Pflichten folgen. Unter Berücksichtigung des oben (Rn. 36) Gesagten – Aufgabe der Beschränkung auf wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte – bedeutet das aber auch: Selbst aus kernstrafrechtlichen Straftatbeständen wie etwa §§ 212, 223 StGB können einzelne Compliance-Pflichten, mitunter gar auch Pflichten zur Einführung eines Compliance-Management-Systems, folgen.

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