Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 154

b) Interne Ermittlungen und Strafverfahren

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Vergleichsweise viel ist in den letzten Jahren – insbesondere in Folge der Ermittlungen gegen die Siemens AG[202] – zum Verhältnis von internen und strafrechtlichen Ermittlungen geschrieben worden.[203] Das Thema ist nicht neu,[204] erlangt aber im Zusammenhang mit Criminal Compliance eine eigenständige Dimension.[205] In diesem Zusammenhang sind mehrere Fragen zu beantworten: Zunächst ist zu klären, worum es sich bei internen Ermittlungen der Sache nach handelt (Rn. 58), im Anschluss hieran stellt sich die Frage nach ihrer Zulässigkeit (Rn. 59 f.), und schließlich sind die Auswirkungen interner Ermittlungen in einem Strafverfahren zu verdeutlichen (Rn. 61). Diese Fragen sind deshalb so gleichermaßen wichtig wie auch schwierig zu beantworten, weil keine gesetzliche Regelung für interne Ermittlungen existiert und auch das Strafverfahrensrecht nicht einfach bedenkenlos analog angewandt werden kann.[206]

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Mit internen Ermittlungen sind unternehmensinterne Ermittlungen gemeint.[207] Diese unternehmensinternen Ermittlungen[208] haben die Erforschung eines rechtlich – in unserem Zusammenhang: (zumindest auch) strafrechtlich – relevanten Sachverhaltes zum Gegenstand. In der Literatur ist bereits zutreffend auf die Vielzahl jenseits der hier gemeinten internen Ermittlungen bestehender unternehmensinterner Überwachungs- und Kontrollaufgaben hingewiesen worden.[209] Zu ihnen gehören – im Rahmen ordnungsgemäßer Compliance – insbesondere die Überwachung und Kontrolle solcher Risiken, die Bestands- und Kapitalerhaltung des Unternehmens gefährden, die Umwelt, den Abfall und das Gefahrgut betreffen, Unfälle verursachen und die Gesundheit am Arbeitsplatz gefährden können, zur Fehlinformation von Behörden, Kapitalanlegern, Lieferanten, Kreditgebern und Versicherungen führen oder den Datenbestand des Unternehmens gefährden können.[210] All die zur Überwachung und Kontrolle dieser Risiken eingeführten unternehmensinternen Maßnahmen (sog. „Regelprüfungen“) sind im hier interessierenden Kontext ebenso wenig gemeint wie die Vielzahl der sonstigen externen Kontrollen und Qualitätssicherungsmaßnahmen (z.B. Abschlussprüfungen, Ratings etc.). Von internen Ermittlungen spricht man in der deutschen strafrechtswissenschaftlichen Literatur vielmehr bei anlassbezogenen, durch Regelprüfungen nicht abgedeckten Sachverhaltsaufklärungen;[211] es gehe um originäre Ermittlungstätigkeit des geschädigten Unternehmens.[212] Dabei spielt es keine Rolle, ob das Unternehmen die Ermittlungen selbst führt oder ob die Ermittlungen durch externe Dritte geführt werden.[213] Interne Ermittlungen finden vielmehr häufig und sinnvollerweise durch externe Kontrolleure statt.[214] Bei diesen noch konkretisierungsbedürftigen Begriffsbestimmungen ist Folgendes zu beachten: Zunächst setzt eine anlassbezogene Untersuchung nicht etwa – wie in den sog. U-Haft-Fällen[215] oder der Hörfallen-Entscheidung[216] – das Vorliegen eines strafprozessualen Anfangsverdachts voraus, der die Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigte. Vielmehr wird es in den hier interessierenden Fällen häufig gerade so sein, dass die Unternehmen allenfalls aufgrund vager Verdachtsmomente tätig werden, die den Anforderungen der StPO im Hinblick auf die Zulässigkeit staatlichen Ermittlungshandelns gerade noch nicht genügen.[217] Das hat seinen Grund vor allem auch darin, dass auf diese Weise versucht wird, schon den Anschein der Strafbarkeit zu vermeiden (vgl. Rn. 35). Wenn der Begriff der Sachverhaltsaufklärung zu implizieren scheint, dass die unternehmensinternen Bemühungen zur „Erforschung der Wahrheit“[218] erfolgreich sein müssen, so ist weiter klarzustellen, dass ein Scheitern dieser Bemühungen – natürlich – am Vorliegen interner Ermittlungen nichts ändern kann. Tatsächlich ist mit diesem Merkmal das (Zwischen-)Ziel interner Ermittlungen und damit eine subjektive Voraussetzung beschrieben. Auch wird man nicht notwendigerweise von originären Ermittlungen sprechen können, denn dass die interne Ermittlungstätigkeit des Unternehmens der staatsanwaltschaftlichen zwingend zeitlich vorausgeht, ist nicht erforderlich. Insofern ist der Begriff der separaten – scil. der von der staatlichen Tätigkeit getrennten – Ermittlung treffender. Und schließlich sollte vermieden werden, von einem geschädigten Unternehmen zu sprechen, da zum einen zu Beginn der Ermittlungen eine Schädigung des Unternehmens regelmäßig noch gar nicht feststehen wird, zum andern aber auch ein Schaden im rechtstechnischen Sinne (etwa i.S.d. §§ 263, 266 StGB) gar nicht eingetreten zu sein braucht. Wenn auch eine abstrakte Begriffsdefinition aufgrund der komplexen Lebenswirklichkeit kaum zur vollständigen Erfassung sämtlicher denkbaren Phänomene dieser sog. internal investigations geeignet erscheint, lassen sich doch wenigstens typische Voraussetzungen interner Ermittlungen im Zusammenhang mit Criminal Compliance nennen.[219] Es handelt sich bei ihnen um

im Unternehmen durchgeführte Maßnahmen,
die nicht von Regelprüfungen mit umfasst sind,
die durch Informationen jedweder Art[220] veranlasst sind, die den Verdacht eines Regelverstoßes begründen,
die durch das von dem Sachverhalt betroffene Unternehmen selbst initiiert werden,
die von Unternehmensmitarbeitern oder im Auftrag des Unternehmens von Dritten durchgeführt und
separat von der staatlichen Ermittlungstätigkeit ausgeführt werden, und
mit dem Ziel der Wahrheitserforschung (= Versuch der Aufklärung eines [straf-]rechtlich relevanten Sachverhaltes) zum Zwecke der Sanktionierung erfolgen.

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Zu Recht weitgehend unbestritten ist die grundsätzliche zivil- bzw. arbeitsrechtliche Zulässigkeit interner Ermittlungen.[221] Ebenso unmittelbar einsichtig ist freilich, dass unternehmensinterne – private – Ermittlungen die Gefahr bergen, in Widerspruch zu den Garantien des staatlichen Strafverfahrens zu geraten. Die Absicherung der Beschuldigtenrechte erscheint daher in besonderem Maße wichtig (s. Rn. 60 f.).

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Prinzipielle rechtliche Bedenken gegen unternehmensinterne Ermittlungen (vgl. Rn. 58) bestehen nicht.[222] Dem Zivilprozess (Stichwort: Beibringungsgrundsatz) sind solche Ermittlungen sogar nachgerade immanent.[223] Aber auch im Strafprozess ist es dem Verteidiger nicht verwehrt, selbst zur Aufklärung beizutragen.[224] Dem Beschuldigten und dem Angeklagten bleibt es – auch bei parallel laufendem staatlichem Strafverfahren – unbenommen, eigene Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.[225] Rechtswidrig sind solche Ermittlungen nicht per se, vielmehr werden sie es erst dann, wenn die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit – etwa durch Täuschung, Drohung, Manipulation etc. – überschritten werden. Auch Zwangsmittel – z.B. Beschlagnahme und Durchsuchung – stehen im Rahmen privater Ermittlungen selbstverständlich nicht zur Verfügung. Nach Jahn ist die Grenze privater Ermittlungstätigkeit dort zu ziehen, wo sie „das aus dem Legalitätsprinzip fließende Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft im ganzen ernsthaft herausfordert.“[226]

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Die besondere Problematik der unternehmensinternen Untersuchungen für das Strafverfahren resultiert daraus, dass die arbeitsrechtliche Aussagepflicht mit dem strafrechtlichen Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare zu kollidieren droht.[227] Tatsächlich geht die herrschende Meinung im Zivilrecht davon aus, dass die Aussage des betroffenen Mitarbeiters durch arbeitsrechtliche Sanktionen zulässigerweise erzwungen werden kann.[228] Diese Auskunftspflicht besteht nicht nur gegenüber dem Unternehmen selbst, sondern auch und zugleich gegenüber einer von diesem gegebenenfalls mandatierten Kanzlei.[229] Dass der Mitarbeiter sich als Beschuldigter im Strafverfahren auf sein Schweigerecht berufen kann, hilft ihm dann tatsächlich nichts, da die von den Strafverfolgungsorganen begehrte Information Eingang in das Strafverfahren über die Zeugenaussage desjenigen finden kann, der im Rahmen der internal investigations mit der Vornahme der betreffenden privaten Ermittlungsmaßnahme betraut war.[230] Damit stellt sich die Frage nach Existenz und Reichweite eines Beweisverwertungsverbots.[231] Im Ergebnis wird man mit Teilen der Literatur nicht nur ein auf Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu stützendes[232] selbstständiges Beweisverwertungsverbot annehmen,[233] sondern diesem – entgegen zum Teil geäußerter Ansicht[234] – darüber hinaus eine Fernwirkung im Sinne eines Beweisverwendungsverbots attestieren müssen.[235] Damit ist sowohl – in Erweiterung des traditionellen Schutzbereichs des Selbstbelastungsverbots[236] – einer bloßen Duldungspflicht des Beschuldigten ebenso eine Absage erteilt,[237] wie auch im Wege eines nachwirkenden[238] Verwendungsverbots es den Strafverfolgungsorganen untersagt ist, die aufgrund der zivilrechtlichen Aussagepflicht erlangten Informationen zum Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen zu machen oder zur Schaffung selbstständiger Beweismittel zu nutzen.[239] Wer hier anders entscheidet, und also zulässt, dass im Rahmen interner Ermittlungen gemachte Äußerungen von den Strafverfolgungsbehörden zum Anlass genommen werden können, Ermittlungen gegen den betreffenden Unternehmensmitarbeiter aufzunehmen, und dessen spätere Verurteilung auf selbstständige, erst im Strafverfahren gewonnene und von der Aussage gegenüber den privaten Ermittlungspersonen nicht abhängige Beweise gestützt werden kann, obwohl Ausgangspunkt der Ermittlungen erzwungene, eigenbelastende Aussagen waren,[240] untergräbt die Schutzgarantie des Selbstbelastungsverbots: Insbesondere im Zusammenhang mit unternehmensinternen Ermittlungen, die häufig einen Wust an Informationen zutage fördern und so eine Vielzahl von Anhaltspunkten für weitere Ermittlungen oder die Gewinnung selbstständiger Beweismittel schaffen, liefe der Schutz des nemo tenetur-Grundsatzes faktisch leer.[241] Dass die zivilrechtlich erzwungene Aussage als solche nicht verwertet werden kann, hilft dem Beschuldigten dann faktisch nichts.

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Für die Frage nach der Zulässigkeit der Beschlagnahme von im Rahmen interner Untersuchungen angefertigten Akten und Daten hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren mit Spannung erwarteten Entscheidungen nunmehr im Juni 2018 freilich zu Ungunsten der Beschwerdeführer entschieden. In drei Kammerbeschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG[242], der Kanzlei Jones Day[243] sowie dreier beteiligter Rechtsanwälte[244] nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei hat es insbesondere in der ersten Entscheidung[245] ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin (VW) zwar in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sei[246]; dieser Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt[247]. Dabei wird die Zulässigkeit von Beschlagnahmen im konkreten Fall ausschließlich an § 97 StPO gemessen, § 160a Abs. 1 S. 1 StPO werde grundsätzlich verdrängt.[248] Dabei formuliert die Kammer ausdrücklich: „Von Verfassungs wegen ist es dagegen nicht geboten, eine beschuldigtenähnliche Stellung, die einen Beschlagnahmeschutz aus § 97 Abs. 1 StPO nach sich zieht, bereits dann anzunehmen, wenn ein Unternehmen ein künftiges gegen sich gerichtetes Ermittlungsverfahren lediglich befürchtet und sich vor diesem Hintergrund anwaltlich beraten lässt oder eine unternehmensinterne Untersuchung in Auftrag gibt.“[249] Es liegt auf der Hand, dass diese Entscheidung einschneidenden Einfluss auf die Entwicklung strafrechtlicher Compliance haben wird.

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