Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 170
VIII. Zur Zukunft von Criminal Compliance
Оглавление83
Innerhalb der letzten zehn Jahre hat das Phänomen der Criminal Compliance eine beachtliche Karriere gemacht. Die manchmal nicht ganz rationale Aufgeregtheit um kriminalitätsbezogene Compliance hat sich recht schnell gelegt. Die wissenschaftliche Diskussion um Criminal Compliance ist mit kaum gekannter Rasanz und Vehemenz in der Mitte der (internationalen) Strafrechtswissenschaft angekommen. In der Praxis hat (strafrechtliche) Compliance sich in von Beginn an nicht immer von Besonnenheit geprägtem Aktionismus längst als fester Bestandteil der Unternehmenswirklichkeit etabliert. Mittlerweile lässt sich zumindest das immense Ausmaß des Phänomens absehen; die Vorwürfe der „Bedeutungsübersteigerung“ (vgl. Rn. 3) sind zu Recht verstummt. Und noch immer gilt, dass eine Vielzahl weiterer materieller, materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Fragen zukünftig diskutiert werden muss. Schon jetzt zeigt sich freilich, dass sich zum einen in Wissenschaft und Praxis fast schon zwei gegenläufige Compliance-Welten etabliert haben, zum anderen die Strafrechtswissenschaft jedenfalls derzeit die Chancen und Schwierigkeiten der Internationalität und Interdisziplinarität des Themas nicht in hinreichender Weise zu erkennen scheint. Auch wenn es häufig nicht immer um vollständig neue und unbekannte Probleme geht, werden aber doch zunehmend – freilich häufig beschränkt auf die nationale Perspektive – spezifische Compliance-Fragen erkannt und diskutiert. Der bereits in der Vorauflage an dieser Stelle antizipierte Paradigmenwechsel ist in vollem Gange.
84
Daneben lässt sich eine Sensibilisierung für die durchaus bereits zu Beginn[354] der strafrechtlichen Compliance-Diskussion erkannten Strafbarkeitsrisiken durch Compliance (Rn. 37, 43) beobachten. Diese Gefahren sind vielfältig: übersteigerte unternehmensinterne Anforderungen, die den Verhaltensmaßstab von Strafnormen mitkonstituieren (Rn. 43),[355] eine Rechtsprechung, die sich ohne konkreten Anlass von der Compliance-Diskussion nicht unbeeindruckt zeigt und ohne dogmatische Fundierung gleichsam nebenbei strafrechtliche Verantwortlichkeiten generiert (vgl. Rn. 75, 78) oder die Existenz von Compliance-Management-Systemen zum Ankerpunkt ihrer Verantwortlichkeitsbegründung macht (Rn. 56), eine Gesetzgebung, die (bewusst?) einen Verstoß gegen interne Compliance-Regelungen zum systemfremden Strafbarkeitsmodell erhebt (Rn. 37) oder die korruptionsfördernde Wirkung von Criminal Compliance[356] sind nur einige Beispiele.[357] Das muss und wird nicht gleich den Abgesang auf Compliance einläuten, kann aber zumindest zu einer rationaleren Diskussion des Compliance-Phänomens im Strafrecht beitragen.