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a) Unternehmensrichtlinien

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Nicht nur in der Praxis, sondern vermehrt auch in der Literatur – insbesondere der Kriminologie[187] – werden Unternehmensrichtlinien[188] häufig als probates Mittel der Criminal Compliance angesehen. Mit diesem Instrument der Selbstbindung soll (straf-)rechtskonformes Verhalten der Unternehmensmitarbeiter gewährleistet werden, auch hierbei spielt freilich nicht zuletzt der ökonomische Gesichtspunkt der erstrebten Gewinnmaximierung eine Rolle (s. bereits Rn. 7, 41, 43, 48). Tatsächlich birgt die unter dem Eindruck des gewachsenen Strafverfolgungsinteresses (Rn. 29 ff.) in der Praxis mit großem Nachdruck verfolgte unternehmensinterne Normsetzung die unterschiedlichsten Risiken. Zunächst lässt sich in der Praxis ein problematisches, weil trügerisches und im Ergebnis gar kontraproduktives Phänomen beobachten. Es besteht darin, dass Unternehmen einerseits ein großes Maß an Energie darauf verwenden, Richtlinien nicht nur zu formulieren, sondern diese – durchaus mit kriminologischen Erkenntnissen konform gehend[189] – insbesondere auch zu kommunizieren sowie deren Einhaltung zu kontrollieren, andererseits dabei aber allzu häufig vernachlässigen, dass gerade im komplexen Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts[190] (Rn. 8) die offensichtlich mit diesem Vorgehen verknüpfte Erwartungshaltung, sich schon allein deshalb strafrechtskonform zu verhalten, weil es Richtlinien gibt und diese eingehalten werden, enttäuscht werden muss. Existenz, Kommunikation, Einhaltung und Kontrolle von der Selbststeuerung dienenden unternehmensinternen Richtlinien gewährleisten selbstverständlich nicht, dass damit auch die Anforderungen der primären Strafrechtsordnung eingehalten sind. Denn bei ihr handelt es sich jedenfalls im Grundsatz noch immer um einen externen Mechanismus der Fremdregulierung. Dem Unternehmen ist die Dispositionsmöglichkeit über die strafrechtliche Relevanz eines Verhaltens deshalb entzogen, weil das Strafrecht eine rein hoheitliche Regelungsmaterie darstellt. Betriebswirtschaftlicher Aufwand und normativer Output stehen hier häufig in einem wenig ausgewogenen Verhältnis.

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Zudem ist alles andere als sicher, dass das mit dem Erlass von Unternehmensrichtlinien primär verfolgte Ziel der Kriminalprävention auf diesem Weg tatsächlich erreicht werden kann.[191] In jüngerer Zeit werden zunehmend kritische Stimmen laut, die eher den Schluss zulassen, dass es sich bei der Schaffung einer unternehmensinternen Parallelordnung vielmehr um eine funktionale Public-Relations-Maßnahme als ein wirksames Mittel der Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten handelt.[192] Allerdings erscheint der Erlass von Richtlinien unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten insoweit schon wieder nachvollziehbar, liegt es doch im existentiellen Interesse des Unternehmens, Rufschädigungen zu vermeiden und „über eine im Wirtschaftssystem angesiedelte Selbststeuerung einer Fremdregulierung durch den strafenden Staat zuvorzukommen, um auf diese Weise die Wirtschaft frei von dessen Zugriff zu halten.“[193]

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Besonders gewichtig sind freilich die Auswirkungen von Richtlinien, die darin liegen, dass sie selbst strafbarkeitskonstituierend sein können, womit ihr präventives Konzept nachgerade konterkariert wird.[194] Wenn die These richtig ist, dass strafrechtliche Verantwortlichkeit in weiten Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts sich kaum sicher antizipieren lässt (s.o. Rn. 10),[195] so ist es unter ökonomischem Blickwinkel ohne Weiteres einsichtig, dass Strafbarkeitsrisiken im Unternehmenskontext durch Compliance überhaupt nur vermieden werden können, wenn und soweit der Pflichtenkatalog der Unternehmensrichtlinien mit einer „Sicherheitsreserve für den Unbestimmtheitsbereich“ ausgestattet ist.[196] Vor dem Hintergrund einer unternehmensinternen „Zero tolerance-Politik“ zielt Compliance dann konsequenterweise nicht mehr nur auf die Einhaltung des normativen Konzepts der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“, sondern auf die Gewährleistung der betriebswirtschaftlichen Erfolgsmethode der „best practice“ ab[197] (s. noch oben Rn. 48). Aus der intendierten Verringerung der Strafbarkeitsrisiken durch Criminal Compliance folgt dann faktisch eine Erhöhung des strafrechtlichen Haftungsrisikos. Besonders deutlich geworden ist dies bereits im erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Darmstadt zum Fall Siemens/Power Generation.[198] So ergab sich nach Ansicht der Tatrichter die „Pflichtwidrigkeit“ im Sinne des § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB „ohne weiteres daraus, dass nach den bei S.-PG bestehenden Compliance-Regelungen jegliche Bestechungszahlungen untersagt waren.“[199] Auch der BGH wies bei der – verneinten – Frage nach einem möglichen Einverständnis der Unternehmensleitung auf das in den Compliance-Vorschriften des Unternehmens enthaltene Verbot der Zahlungen aus schwarzen Kassen hin und bejahte so die Pflichtwidrigkeit im Rahmen des Untreuetatbestandes. Damit folgt die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bereichsvorstandes letztlich aus den Compliance-Maßnahmen des Unternehmens. Oder, auf höherer Abstraktionsebene formuliert: (Zivil-)Rechtskonformes Verhalten führt zu (straf-)rechtlicher Verantwortlichkeit. Dass dies vorliegend kein Widerspruch ist, liegt in dem Umstand begründet, dass die Haftungsvermeidung auf der Ebene der Unternehmensleitung eintritt, die Strafbarkeit aber auf einer tieferen Unternehmenshierarchie begründet wird.[200] Damit ist freilich das Ziel der Unternehmensleitung nur vordergründig erreicht: Denn mit der bloßen Haftungsverlagerung von oben nach unten ändert sich an den ökonomischen Risiken für das Unternehmen durch mögliche Geldbußen, Schadensersatzansprüche, Ansehensverlust, Wettbewerbseinbußen u.s.w. nichts.[201] Einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es kaum, ist eine schon ex ante erkennbar hinter den Anforderungen des Rechts zurückbleibende Compliance-Politik doch von vornherein unter jedem denkbaren Blickwinkel – materiell- und verfahrensrechtlich – untauglich.

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