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2.Tatbestand

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134a) Anderer Mensch. Auch bei § 222 muss sich die Tat gegen einen anderen Menschen richten. Dies ist vor allem im Hinblick auf die Abgrenzung zum Schwangerschaftsabbruch nach § 218 von Bedeutung, da dort fahrlässiges Verhalten nicht erfasst wird264.

135b) Objektive Zurechnung. Bei § 222 ist ist diese besonders klausurrelevant. Von Bedeutung sind etwa Fragen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und des Schutzzwecks der Norm. Vor allem aber ist die Selbstgefährdung von der Fremdgefährdung abzugrenzen265. Während beim Vorsatzdelikt die Trennlinie anhand der Grundsätze von Täterschaft und Teilnahme gezogen wird266, ist eine solche Differenzierung beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht möglich. Grundsätzlich vermag hier nämlich jede sorgfaltspflichtwidrige Handlung die Täterstellung zu begründen. Freilich sind die entsprechenden Abgrenzungsfragen mit der h. M. im Rahmen der objektiven Zurechnung zu erörtern. Für die Abgrenzung zur Fremdschädigung ist auch hier entscheidend, wer den unmittelbar lebensgefährdenden Akt vornimmt. Dreh- und Angelpunkt ist dann allerdings die Freiverantwortlichkeit. Sobald diese zu verneinen ist, kommt eine Strafbarkeit des Beteiligten in Betracht, weil insoweit bereits jeder Sorgfaltspflichtverstoß Anknüpfungspunkt des Fahrlässigkeitsdelikts sein kann. Daher kann es beim Suizid genügen, dass der Beteiligte sorgfaltspflichtwidrig verkennt, dass das Opfer keine autonome Entscheidung trifft.

136aa) Freiverantwortliches Opferverhalten. Die Straflosigkeit in diesen Fällen wird meist mit einem Erst-recht-Schluss begründet. Wenn sogar die vorsätzliche Mitwirkung an einem Suizid straflos bleibe, müsse dies erst recht für die fahrlässige Mitwirkung an einer Selbsttötung gelten267. Argumentum a majore ad minus wird auch die Straflosigkeit der Selbstgefährdung begründet: Wer schon nicht wegen der Teilnahme an einer Selbstverletzung strafbar sei, könne dies erst recht nicht wegen der Teilnahme an einer bloßen Selbstgefährdung sein268. Inhaltlich ist jedoch entscheidend, dass der Hintermann lediglich mittelbar über das Medium eines fremden Willens eine Bedingung setzt und so das Opfer eigenverantwortlich zum selbstschädigenden bzw. selbstgefährdenden Handeln veranlasst269. Einer Zurechnung des vom Opfer so selbst herbeigeführten Erfolges steht das Verantwortungsprinzip entgegen. Demnach ist jeder grundsätzlich nur dafür verantwortlich, dass er selbst nicht Rechtsgüter anderer Personen gefährdet. Nicht zuständig ist er hingegen für schädigende oder gefährdende Handlungen Dritter, weil dies deren eigenen Verantwortungsbereich trifft. Begründen lässt sich die Straflosigkeit damit, dass die Handlungsfreiheit einer Person nicht beschränkt werden darf, solange eine Person sich im Einklang mit ihrem Willen schädigt oder gefährdet und damit das Risiko der Gefahrrealisierung übernimmt. Wer daher lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung veranlasst, fördert oder ermöglicht, macht sich grundsätzlich nicht strafbar270. Dogmatisch betrachtet realisiert sich damit im Rahmen der Figur der objektiven Zurechnung keine vom Täter geschaffene rechtlich missbilligte Gefahr im Erfolg, sondern ein vom Opfer freiverantwortlich übernommenes Risiko.

Bsp.:271 T leiht dem O seinen Sportwagen; er weist ihn darauf hin, dass die Bremsen versagen könnten. O ist das gleichgültig und er verunglückt tödlich. – T macht sich nicht gem. § 222 strafbar. Es liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des O vor, die die objektive Zurechnung ausschließt. Anders wäre z. B. zu entscheiden, wenn O den Defekt nicht gekannt hätte, weil er dann das Risiko nicht freiverantwortlich eingegangen wäre.

137bb) Fehlende Freiverantwortlichkeit. Wie bereits ausgeführt272, ist aufgrund einer Selbstgefährdung auch das bloße Überlassen von Betäubungsmitteln grundsätzlich nicht strafbar, wenn der Konsument zu Tode kommt273. Dies gilt aber nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass das Opfer eigenverantwortlich handelt. Die Eigenverantwortlichkeit entfällt aber, wenn dieses das Geschehen nicht mehr hinreichend überblickt, z. B. der Täter Betäubungsmittel mit gefährlichen Stoffen „streckt“ und das Opfer hierüber nicht aufklärt, so dass dieses einem Irrtum unterliegt274. Dann liegt die normative Handlungsherrschaft trotz Selbstgefährdung beim Täter. Bei vorsätzlicher Tatbegehung ist in einem solchen Fall eine mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2) anzunehmen. Allerdings muss man stets darauf achten, ob sich auch das vom Opfer nicht überschaute Risiko im Erfolg realisiert hat275.

Bsp.:276 T liefert versehentlich reines Heroin statt des versprochenen Kokains, so dass O zu Tode kommt; dies kann auf einer Verwechslung seitens des T oder einer vorausgegangenen Falschlieferung an ihn beruhen. – O handelt nicht eigenverantwortlich, da er das eingegangene Risiko nicht überschaut; obgleich der Vertrieb von Betäubungsmitteln verboten und strafbar ist, trifft den T als „professionellen“ Lieferanten, der das Risiko besser überblicken kann, dennoch eine Prüfungspflicht. Die Aushändigung des richtigen Rauschmittels fällt in seinen Verantwortungsbereich. Auch bloße Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verwechslung des Stoffes unterbricht den Zurechnungszusammenhang also nicht277.

Gegenbsp.: O springt aus Imponiergehabe von einem Felsen in das Meer, obgleich er erkennt, dass der Sprung lebensgefährlich ist. T, der zudem weiß, dass der Meeresboden mit Felsen überzogen ist, hilft ihm bei der Vorbereitung. O stirbt bei dem Sprung. – Es liegt hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des O vor, da er die Lebensgefahr erkennt. Daher ist es für die Straffreiheit des Beteiligten unerheblich, welche Kenntnisse er besitzt und ob er – wie hier – einen Informationsvorsprung hat278.

138cc) Einverständliche Fremdgefährdung. Nimmt das Opfer die schädigende bzw. gefährdende Handlung nicht selbst vor, sondern werden etwa Betäubungsmittel vom Beteiligten gespritzt, so ist die Grenze zur Fremdgefährung überschritten; es ist dann lediglich eine Einwilligung zu diskutieren279.

139dd) Nachfolgendes Unterlassen. Streitig ist, ob sich der Dritte in Fällen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung neben § 323c auch nach §§ 212, 13 bzw. §§ 222, 13 wegen Unterlassens strafbar macht, wenn er den Konsumenten nicht rettet. Anknüpfungspunkt einer solchen Strafbarkeit kann jedoch nicht die unterlassene Verhinderung der Selbstgefährdung sein, da diese – ebenso wie die aktive Veranlassung bzw. Förderung der Selbstgefährdung – (erst Recht) straflos bleibt. Vielmehr geht es um die unterlassene Rettung zum Zeitpunkt des Eintritts einer konkreten Gefahrensituation.

Bsp.: 280 O nimmt im Haus des T mit anderen Personen Betäubungsmittel. Schließlich bietet T an, Gammabutyrolacton zu konsumieren. Nachdem andere Beteiligte den Stoff verdünnt zu sich nahmen, blieb die Flasche frei zugänglich stehen. T wies die Anwesenden darauf hin, dass der Stoff nicht unverdünnt genommen werden dürfe. Später nahm O jedoch die Substanz unverdünnt zu sich. T versuchte noch, O zum Erbrechen zu veranlassen, dieser verlor jedoch das Bewusstsein. T beschränkte sich im Folgenden darauf, die Atemfrequenz des O zu kontrollieren. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass O ohne ärztliche Hilfe zu Tode kommen würde. Hätte T zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe herbeigerufen, wäre O mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden.

140Der BGH begründet in solchen Fällen eine entsprechende Strafbarkeit damit, dass ab dem Zeitpunkt der Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft bei T liege281. Die Garantenstellung wurde zunächst aus dem pflichtwidrigen Vorverhalten abgeleitet282. Hiergegen spricht aber, dass entsprechend den Grundsätzen beim Fahrlässigkeitsdelikt ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem Vorverhalten und dem Erfolg bestehen muss. Scheidet bezüglich des Vorverhaltens eine fahrlässige Tötung aus, weil die Tat nicht objektiv zurechenbar ist, so kann das nachfolgende Verhalten insoweit nicht als (vorsätzliche) Unterlassungstat bestraft werden283. Im Beispielsfall knüpft der BGH nicht (mehr) an ein pflichtwidriges Vorverhalten an, sondern bejaht eine Überwachungsgarantenstellung kraft Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand284. Die Straflosigkeit des Vorverhaltens soll nichts daran ändern, dass ab dem Eintritt einer konkreten Gefahrenlage für das Opfer eine Garantenpflicht entstehe. Denn anders als in Selbsttötungsfällen erschöpfe sich bei der Selbstgefährdung die Preisgabe des Rechtsguts in der Risikoaussetzung; eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts sei damit nicht notwendig verbunden285. Dies überzeugt jedoch nicht. Führt man die Argumentation des BGH konsequent zu Ende, so müsste auch die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, jedenfalls aber die Einwilligung in eine Fremdgefährdung die Strafbarkeit nicht entfallen lassen. Denn auch hier bezieht sich aus Sicht des BGH das Handeln des Opfers nur auf die Gefährdung, nicht aber die Billigung des Erfolges286.

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