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6.Speziell: Die ärztliche Heilbehandlung

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183Umstritten ist zunächst, in welchen Fällen eine ärztliche Heilbehandlung den Tatbestand einer Körperverletzung verwirklicht und unter welchen Bedingungen ggf. eine Rechtfertigung in Betracht kommt.

Bsp.: Arzt T nimmt an O unter Narkose Untersuchungen vor. Ohne Einwilligung des O entschließt er sich bei dieser Gelegenheit sogleich zu einer notwendigen Operation, die er nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgreich durchführt. – Fraglich ist, ob sich T gem. § 223 Abs. 1 Var. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Operationsinstrument als gefährliches Werkzeug) wegen eigenmächtiger Heilbehandlung strafbar macht, obwohl er den medizinischen Eingriff kunstgerecht durchgeführt hat.

184a) Verneinung des Tatbestandes. Nach Teilen der Literatur stellt ein erfolgreicher Heileingriff schon tatbestandlich keine Körperverletzung dar. Im Wege einer Gesamtbetrachtung („positives Gesamtergebnis“) soll weder eine körperliche Misshandlung noch eine Gesundheitsschädigung vorliegen, da es sich um eine Maßnahme zur Wiederherstellung bzw. Erhaltung des körperlichen Wohls handelt372. Misslingt die Heilbehandlung, obwohl die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten wurden, so ist nach dieser Ansicht zwar der objektive Tatbestand zu bejahen („negatives Gesamtergebnis“), jedoch scheitert eine Strafbarkeit regelmäßig am fehlenden Vorsatz des Arztes, der von einer erfolgreichen Behandlung ausgehen wird. Andere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass – unabhängig vom Heilungserfolg – eine Körperverletzung in Fällen zu verneinen ist, in denen der Arzt einen medizinisch indizierten und von Heilungstendenz getragenen Eingriff lege artis vornimmt373. Beide Ansichten betreffen aber nur Heilbehandlungen, nicht aber kosmetische Operationen. Für diese Meinungen lässt sich immerhin anführen, dass § 223 nur die körperliche Unversehrtheit, nicht aber das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schützt374.

185b) Einwilligungslösung. Die Rechtsprechung vertritt hingegen die Ansicht, dass auch eine erfolgreiche bzw. nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommene Heilbehandlung den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung verwirklichen kann375. Da jeder einzelne Akt der Heilbehandlung (z. B. der Schnitt mit dem Operationsinstrument) die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Körperverletzung verwirklicht, kann sich eine Straflosigkeit des Arztes nur bei Vorliegen einer rechtfertigenden Einwilligung des Patienten ergeben. Diese Lösung wird durch § 630d BGB bestätigt, wonach der Behandelnde vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme verpflichtet ist, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Dafür spricht zudem, dass nur so die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das von § 239 und § 240 nicht hinreichend geschützt wird376, gewahrt werden kann377. Zu beachten ist allerdings, dass die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2 nicht einschlägig ist, wenn das Operationsinstrument lege artis verwendet wird. Denn in diesem Fall wird dieses nach Art und Weise des konkreten Einsatzes nicht als Angriffsmittel verwendet378.

186Die Einwilligung muss vor Durchführung des Eingriffs vom Patienten eingeholt werden (§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB). Ist dieser einwilligungsunfähig, kommt es auf den hierzu Berechtigten (etwa Eltern bei Kindern) an, soweit nicht eine vorrangige Patientenverfügung vorliegt (§ 630d Abs. 1 S. 2 BGB). Die Wirksamkeit der Einwilligungserklärung des Patienten setzt nach § 630d Abs. 2 BGB eine Aufklärung voraus; nach allgemeinen Grundsätzen muss die Einwilligungserklärung frei von Willensmängeln sein379. Nach § 630e Abs. 1 BGB ist erforderlich, dass der Patient über die wesentlichen Umstände, insbesondere „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme, sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“ im Wege des § 630 Abs. 2 BGB aufgeklärt wird. Die Aufklärung ist nur ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände nach § 630e Abs. 3 BGB entbehrlich, vor allem bei unaufschiebbaren Maßnahmen oder ausdrücklichem Verzicht auf die Aufklärung. Im Übrigen aber macht sich der Arzt in Fällen der eigenmächtigen Heilbehandlung strafbar.

187c) Mutmaßliche Einwilligung. Kann der Patient vom Arzt angesichts seines Zustandes – unaufschiebbare Maßnahme – vor der Operation nicht (mehr rechtzeitig) befragt werden, so liegt der klassische Fall einer mutmaßlichen Einwilligung vor (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB)380. Dringend notwendige Operationserweiterungen können ebenfalls durch mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein. Der mutmaßliche Wille ist dabei in erster Linie aus den persönlichen Umständen des Betroffenen, aus seinen individuellen Interessen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln. Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte vor, wird allerdings davon auszugehen sein, dass sein Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird. Irrt sich der Arzt über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung, so liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der analog § 16 Abs. 1 Satz 1 dazu führt, dass die Schuld (nach a. A. bereits der Vorsatz) entfällt381.

188d) Hypothetische Einwilligung. Sehr umstritten ist, ob neben der tatsächlichen und mutmaßlichen Einwilligung auch eine hypothetische Einwilligung zugunsten des Arztes rechtfertigend wirken kann382.

Bsp.:383 Arzt T führt bei O eine Schulteroperation durch, wobei eine Bohrerspitze im Schulterblatt abbricht. Weil die Bergung der Bohrerspitze nicht gelingt, belässt er das Bohrerteil im Körper O. Anschließend behauptet er, es sei besser, noch einmal zu operieren, da eine Schulterinstabilität bestehe, der man nur durch eine Kapselraffung begegnen könne. O willigt daraufhin in eine weitere Operation ein. Diese dient dann aber nur der Bergung der abgebrochenen Bohrerspitze. – Eine wirksame rechtfertigende Einwilligung des O in diese Operation lag nicht vor, da bei O aufgrund der Täuschung ein rechtsgutsbezogener Irrtum bestand. Eine mutmaßliche Einwilligung scheidet schon deshalb aus, weil O tatsächlich befragt werden konnte und auch befragt wurde. Demnach wäre eine Strafbarkeit gemäß § 223 zu bejahen

189Der Arzt kann nach Ansicht der Rechtsprechung jedoch im Einzelfall auf Grund einer hypothetischen Einwilligung gerechtfertigt sein384. Die Rechtswidrigkeit einer Körperverletzung soll demnach entfallen, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung ebenfalls in die tatsächlich lege artis385 durchgeführte Operation eingewilligt hätte, da dann der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Aufklärungsmangel und Einwilligungserklärung zu verneinen ist. Der Aufklärungsmangel kann danach nur zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligungserklärung des Patienten unterblieben wäre. Ob eine solche hypothetische Einwilligung vorliegt, soll im Wege einer ex post-Betrachtung ermittelt werden. Dabei ist auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten im Einzelfall abzustellen. Es kommt mithin nicht darauf an, dass sich der Patient hätte ohnehin operieren lassen müssen oder gar ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte, sondern nur darauf, ob der Patient vor der Operation seine Einwilligung erteilt hätte. Die Figur der hypothetischen Einwilligung ist jedoch in der strafrechtlichen Literatur mit Recht nicht unbestritten386. Durch den Verzicht auf eine ordnungsgemäße Aufklärung und Befragung des Patienten werden nicht nur dessen Selbstbestimmungsrecht, sondern auch die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung in weiten Bereichen unterlaufen. Dies gilt umso mehr, als – anders als im Zivilrecht, wo die hypothetische Einwilligung bei der Frage der Beweislast eine Rolle spielt – im Strafrecht der Grundsatz in dubio pro reo zu beachten ist. Damit wäre im Zweifel vom Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung auszugehen, wodurch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu weit unterlaufen wird387.

Hinweis

Lässt man mit dem BGH eine Rechtfertigung kraft hypothetischer Einwilligung zu, so muss man – soweit der Arzt subjektiv nicht davon ausgeht, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte – noch eine Versuchsstrafbarkeit diskutieren388. Geht er hingegen irrig davon aus, dass die tasächlichen Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung vorliegen, so handelt er im Erlaubnistatbestandsirrtum389.

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