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2.Tatbestand

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193a) § 224 Abs. 1 Nr. 1. Danach ist die Tat qualifiziert, wenn der Täter die Körperverletzung durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen begeht.

Definition

Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der unter den konkreten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung (Arsen, Rauschmittel, Schlaftabletten, Salzsäure, sog. K.O.-Tropfen oder Pfefferspray) geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen391.

194aa) Gift ist dabei lediglich ein Beispiel für den Überbegriff der anderen gesundheitsschädlichen Stoffe. Zu Letzteren gehören vor allem mechanisch (z. B. zersplittertes Glas) oder thermisch wirkende Stoffe (z. B. kochendes Wasser) sowie Bakterien und Viren. Auch werden an sich unschädliche Stoffe des täglichen Bedarfs erfasst, wenn diese nach der Art ihrer Anwendung bzw. Zuführung, der Menge, der Konzentration, dem Alter und der Konstitution des Opfers mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung verbunden sind392.

Bsp.:393 Vergiftung eines Kleinkindes mit Kochsalz.

195bb) Streitig ist, ob es auch genügt, dass der Stoff (nur) geeignet ist, einfache Gesundheitsschäden hervorzurufen. Eine Mindermeinung bejaht dies, weil der Wortlaut keinerlei Anhaltspunkte für Einschränkungen biete394. Dagegen versteht die h. M. im Wege einer systematischen Auslegung unter Gift nur Stoffe, die erhebliche Gesundheitsschäden hervorrufen können395. Da auch das gefährliche Werkzeug i. S. v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 geeignet sein muss, erhebliche Verletzungen hervorzurufen396, würde ein Wertungswiderspruch entstehen, wenn das Gift eine solche Eignung nicht aufweisen müsste. Im Übrigen ließe sich auch die gegenüber § 223 erhöhte Strafdrohung des § 224 kaum rechtfertigen, wenn jemand einer anderen Person z.B berauschende Mittel beibringt, die zwar die Gesundheit leicht schädigen können, jedoch von vornherein nicht geeignet sind, schwerere Schäden zu verursachen. Zu weitgehend ist hingegen die Forderung, dass der Stoff sogar geeignet sein müsse, eine schwere Körperverletzung i. S. d. § 226 herbeizuführen397. Denn dadurch würde der Tatbestand – auch im Vergleich zu den weiteren Tatbestandsvarianten – zu sehr eingeengt.

Bsp.: T schüttet dem O statt Martini hochprozentigen Schnaps in den Saft; O ist es daraufhin leicht übel. – T hat sich wegen Gesundheitsschädigung nach § 223 Abs. 1 Var. 2 strafbar gemacht; § 224 Abs. 1 Nr. 1 ist hingegen zu verneinen, da der Alkohol nicht geeignet war, erhebliche Gesundheitsschäden herbeizuführen.

196cc) Beibringen bedeutet, dass der Stoff mit dem Körper derart in Verbindung gebracht wird, dass er gesundheitsschädigend wirken kann. Das Beibringen kann auch von außen geschehen, d. h. es ist keine Wirkung im Körperinneren wie bei einer „klassischen“ Giftgabe erforderlich; denn für den gesteigerten Unrechtsgehalt ist es unerheblich, auf welche Weise der Stoff wirkt398.

Bsp.:399 T schüttet dem O Salzsäure ins Gesicht, wodurch es zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung kommt.

Gegenbsp.:400 T kippt ein Teergemisch in die Haare des O, die verkleben. – Soweit es hier zu keiner erheblichen Gesundheitsschädigung kommt, ist Nr. 1 zu verneinen.

197b) § 224 Abs. 1 Nr. 2. Dieser Qualifikationstatbestand liegt vor, wenn die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen wird.

198aa) Das „andere“ gefährliche Werkzeug stellt den Oberbegriff dar.

Definition

Ein gefährliches Werkzeug liegt vor, wenn der Gegenstand nach objektiver Beschaffenheit sowie Art und Weise der Verwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche (d. h. gravierende401 oder schwerwiegende402) Verletzungen hervorzurufen403.

Nicht erforderlich ist dabei, dass durch die Tat Verletzungen i. S. d. § 226 Abs. 1 oder vergleichbar schwerwiegender Art eintreten können404.

Bspe.: Schlag auf den Kopf mit einer Bierflasche; Stich mit der Gabel in das Auge; Plastiktüte, die über den Kopf gezogen wird; Hetzen eines Hundes; Zufahren mit einem Kfz405.

199(1) Bei den viel diskutierten Fällen eines Tritts mit dem Schuh gegen den Körper406 oder des Ausdrückens einer brennenden Zigarette auf der Haut407 verbieten sich generelle Lösungen. So hängt die Antwort auf die Frage, ob erhebliche Verletzungen entstehen können, vor allem von dem betroffenen Körperteil ab (Tritt gegen den Kopf oder „nur“ das Bein?). Auch ist die konkrete Beschaffenheit des Schuhs (Springerstiefel oder „nur“ Flip-Flop) und die Art der Tatausführung (z. B. Heftigkeit des Trittes) entscheidend.

200(2) Instrumente eines Arztes, die lege artis zur Heilbehandlung eingesetzt werden, werden nicht erfasst, da diese nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingesetzt werden408. Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn eine zur Heilkunde nicht befugte Person solche Werkzeuge benutzt, da hier eine erhöhte Gefährlichkeit besteht.

Bsp.:409 T bricht den Besuch eines Heilpraktikerkollegs nach 3 Semestern ab; später betätigt er sich als Heilpraktiker und verabreicht dabei dem gutgläubigen O eine Spritze in die Kopfhaut. – T verwirklicht aus den genannten Gründen §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2; die Einwilligung des O in die Körperverletzung durch T ist im Übrigen mangels beruflicher Qualifikation auf Grund eines rechtsgutsbezogenen Irrtums unwirksam.

(3) Körperteile wie Hand, Fuß usw. sind – wie bereits der Wortlaut nahe legt – mangels Gegenständlichkeit ebenfalls keine Werkzeuge410. Daher kann auch der schwere Faustschlag eines Boxers gegen den Kopf des Opfers nicht erfasst werden. Dasselbe gilt nach h. M. für unbewegliche Gegenstände, da diese nicht in Richtung des menschlichen Körpers bewegt werden können411. Demnach liegt kein Fall des § 224 Abs. 1 Nr. 2 vor, wenn der Täter das Opfer mit dem Kopf gegen die Wand, auf den Fußboden oder die Herdplatte der Einbauküche stößt oder eine Person unter Wasser taucht. Jedoch ist zu beachten, dass in solchen Fällen § 224 Abs. 1 Nr. 5 einschlägig sein kann.

201bb) Die Waffe ist lediglich ein Beispiel für gefährliche Werkzeuge. Erforderlich ist, dass eine Waffe im technischen Sinn verwendet wird412. Dabei handelt es sich um gebrauchsbereite Werkzeuge, die nach Art ihrer Anfertigung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel allgemein dazu bestimmt sind, Menschen zu verletzen413. Neben Schusswaffen (z. B. Pistole, Gewehr) werden auch Hieb- und Stichwaffen erfasst (z. B. Dolch, Schwert). Für die Auslegung wird man vor allem zu berücksichtigen haben, ob es sich um eine Waffe i. S. d. Waffengesetzes handelt. Weiterhin ist erforderlich, dass die Waffe auch als gefährliches Werkzeug eingesetzt wird.

Bsp.: T schlägt dem O mit dem Pistolengriff leicht auf das Knie. – Die Waffe wird hier nach Art und Weise des konkreten Einsatzes nicht als gefährliches Werkzeug benutzt. Es liegt daher nur § 223 Abs. 1 Var. 1 vor.

202cc) Die Körperverletzung muss „mittels“ einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen werden. Mit Hilfe des Werkzeugs muss zum Zweck der Verletzung von außen unmittelbar auf den Körper des Opfers physisch eingewirkt werden. Rein psychische Auswirkungen – etwa Panik oder Schock auf Grund einer Bedrohung mit einem Werkzeug – verwirklichen die Qualifikation nicht414. Im Übrigen ist auch der Unmittelbarkeitszusammenhang zu beachten. So hat der BGH diesen zu Recht bei einem Schuss auf die Reifen eines Fahrzeugs verneint, weil die Körperverletzung dann nur als mittelbare Folge eines durch den Schuss verursachten Unfalls eintritt415. Entsprechendes gilt für den Sturz aus einem Kfz auf den Gehsteig, weil die Verletzung dann nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eintritt; der Gehsteig als unbewegliche Sache stellt hingegen kein Werkzeug dar416.

Bsp.:417 T fährt mit seinem Pkw zielgerichtet auf Radfahrer O zu, so dass dieser durch den Zusammenstoß mit dem Pkw vom Rad stürzt und durch den Aufprall auf der Straße Verletzungen am Rücken erleidet. – Für Nr. 2 genügt bloße Kausalität zwischen dem Einsatz des Werkzeugs und der eingetretenen Körperverletzung nicht. Vielmehr muss der Körperverletzungserfolg unmittelbar durch das von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkende gefährliche Tatmittel verursacht werden. Wird eine Person gezielt angefahren, kommt es darauf an, ob bereits dieses Anfahren eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens bewirkt oder die Verletzungen auf den Sturz zurückzuführen sind. T macht sich hier nur nach § 223 strafbar, weil es infolge des Anfahrens noch nicht zu Verletzungen kam.

203c) § 224 Abs. 1 Nr. 3. Ein hinterlistiger Überfall ist nicht schon deshalb gegeben, weil der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, er etwa plötzlich von hinten angreift.

Definition

Hinterlist setzt vielmehr voraus, dass der Täter planmäßig, in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechnenden Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und eine Vorbereitung auf die Verteidigung auszuschließen418.

204Hinterlist kann etwa bei einem Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit vorliegen. Auch im heimlichen Beibringen eines Giftes kann ein hinterlistiger Überfall gesehen werden419.

Bsp.:420 T besucht den O an dessen Angelplatz und tauscht sich mit ihm 45 Minuten lang freundschaftlich aus. Dabei raucht und trinkt er mit O. Ohne jeglichen Zweifel an der Friedfertigkeit des T passiert O deshalb kurz darauf den Zeltplatz des T und verabschiedet sich mit einer grüßenden Handbewegung. Kurz darauf überfällt T, der O nachgeschlichen ist, diesen hinterrücks, um an dessen Angelausrüstung zu gelangen.

205d) § 224 Abs. 1 Nr. 4. Strafgrund des § 224 Abs. 1 Nr. 4 ist, dass die Körperverletzung bei Beteiligung mehrerer Personen gefährlicher ist, weil der Verletzte sich mindestens zwei Angreifern gegenüber sieht und deshalb möglicherweise eingeschüchtert oder bei seiner Abwehrhandlung gehemmt ist421.

Definition

Die Tat wird von mehreren Beteiligten gemeinschaftlich begangen, wenn bei der Körperverletzung zwei Personen durch einverständliches aktives Handeln derart zusammenwirken, dass sie am Tatort dem Opfer unmittelbar gefahrerhöhend gegenüberstehen, so dass es dem Opfer erschwert ist, dem Täter Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten422.

206Nicht erforderlich ist jedoch, dass jeder am Tatort Anwesende eigenhändig an der Körperverletzung mitwirkt423. Auch Mittäterschaft ist hierfür nicht erforderlich, weil unter dem Begriff „Beteiligter“ Täter und Teilnehmer zu verstehen sind (§ 28 Abs. 2) und die eingeschränkte Verteidigungsbereitschaft des Opfers unabhängig von der rechtlichen Würdigung der Beteiligungsform ist424. Da zentraler Aspekt die eingeschränkte Abwehrmöglichkeit des Opfers ist, erfolgt der Angriff nicht gemeinschaftlich, wenn nur ein Beteiligter dem Opfer gegenüber tritt425. Dasselbe gilt, wenn zwar mehrere Beteiligte dem Opfer gegenüber treten, die Abwehrbereitschaft aber nicht deshalb, sondern aus ganz anderen Gründen – etwa starke Alkoholisierung des Opfers – eingeschränkt ist426.

Bsp. (1): T verprügelt den O; in „sicherer“ Entfernung steht S Schmiere. – T macht sich nur nach § 223 Abs. 1 Var. 1 strafbar, da S am eigentlichen Angriff nicht gefahrerhöhend beteiligt ist.

Bsp. (2): S und T schütten dem O gemeinsam Gift in den Wein, wodurch dem nichtsahnenden O übel wird. – S und T verwirklichen nur § 224 Abs. 1 Nr. 1, nicht aber Nr. 4. Zwar war hier die Abwehrbereitschaft des O eingeschränkt, der das Gift nicht erkennen konnte. Jedoch beruhte dies nicht auf dem gemeinsamen Vorgehen von S und T. Ein hinterlistiger Überfall i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 3 läge nur dann vor, wenn das Beibringen des Giftes auf listige Art und Weise erfolgt wäre.

207Sofern jedoch zwei Beteiligte bereits gemeinschaftlich gefahrerhöhend am Tatort handeln, ist eine Beteiligung weiterer Personen nach allgemeinen Grundsätzen der Täterschaft und Teilnahme auch dann möglich, wenn diese selbst nicht vor Ort aktiv mitwirken.

208e) § 224 Abs. 1 Nr. 5. Ausreichend ist eine abstrakte Lebensgefahr, die durch die Körperverletzungshandlung bedingt sein muss. Zu einer konkreten Lebensgefahr durch die Verletzung muss es im Hinblick auf den vergleichbaren Unrechtsgehalt mit den Nrn. 1 bis 4 gerade nicht kommen. Für den entsprechenden Vorsatz ist es daher ebenfalls ausreichend, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich diese allgemeine Gefährlichkeit in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt427.

Definition

Eine das Leben gefährdende Behandlung liegt vor, wenn die Begehung der Körperverletzung nach den konkreten Umständen des Einzelfalles objektiv geeignet ist, das Leben des Opfers abstrakt in Gefahr zu bringen428.

Bspe.: Schlag mit einer Eisenstange auf den Kopf; Stich mit 7 cm langen Schraubendreher in Brustbereich429; Überfahren mit Kfz; Infizieren mit HI-Virus430; exzessives Röntgen431.

209Dabei ist zu beachten, dass die Art der Behandlung, die unmittelbar zum Körperverletzungserfolg führt, selbst lebensbedrohend sein muss; auf eine dadurch eingetretene nachfolgende Situation kommt es nicht an.

Bsp.:432 T stößt den O leicht, so dass dieser auf die Straße fällt und beinahe überfahren wird. – § 224 Abs. 1 Nr. 5 ist zu verneinen, da der Stoß, d. h. die „Behandlung“, nicht generell geeignet war, das Leben zu gefährden. Die Lebensgefahr ergibt sich hier erst aus einer weiteren Folge, nämlich einem möglichen nachfolgenden Unfall.

Einführende Aufsätze:

Hardtung, Die Körperverletzungsdelikte, JuS 2008, 960 (die gefährliche Körperverletzung, Erläuterung der qualifizierenden Merkmale mit Beispielsfällen); Wengenroth, Die Verwirklichung der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen, JA 2014, 428.

Übungsfälle:

Heinrich/Reinbacher, Venezianisches Finale, JA 2007, 264 (Die Spritze als gefährliches Werkzeug, Antibiotikum als Gift oder gefährliches Werkzeug, daneben Selbsttötung und Rechtfertigungsgründe); Kudlich, Ein Arzt in Not, JA 2009, 185 (das Skalpell als gefährliches Werkzeug, rechtfertigender und entschuldigender Notstand); Müller/Raschke, Samstag halb vier in Deutschland, Jura 2011, 305 (der Laserpointer und die Vuvuzela als gefährliches Werkzeug).

Rechtsprechung:

BGHSt 22, 235 – Wandstoß (gefährliches Werkzeug i. S. d. Nr. 2); BGHSt 32, 130 – Salzsäure II (Beibringen von Gift i. S. d. Nr. 1); BGHSt 43, 346 – Röntgen (lebensgefährdende Behandlung i. S. d. Nr. 5); BGHSt 47, 383 – Gehilfe („gemeinschaftlich“ i. S. d. Nr. 4); BGHSt 51, 18 – Kochsalz (gesundheitsschädlicher Soff i. S. d. Nr. 1).

Strafrecht Besonderer Teil

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