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2.Tatbestand

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212a) Schwere Folgen des § 226 Abs. 1. Voraussetzung sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2 ist der Eintritt einer schweren Folge nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3. Alle Folgen zeichnen sich durch ein Element der Dauerhaftigkeit aus.

213aa) § 226 Abs. 1 Nr. 1 ist verwirklicht, wenn die Körperverletzung den Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit zur Folge hat. Eine wesentliche Herabminderung der Funktion stellt ebenfalls einen Verlust dar433. Ein Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen ist gegeben, wenn die Fähigkeit, Gegenstände als solche zu erkennen, weitgehend aufgehoben ist434. Der Einsatz von Brillen und Kontaktlinsen stellt das Sehvermögen nicht wieder her; vielmehr werden lediglich die Auswirkungen des Verlustes gemildert435. Mit Gehör ist die Fähigkeit gemeint, artikulierte akustische Laute zu erkennen436. Das Sprechvermögen ist betroffen, wenn die Fähigkeit zur artikulierten Rede nahezu aufgehoben ist437. Ein Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit liegt vor, wenn die Zeugungs- oder Gebärfähigkeit aufgehoben ist438.

214bb) Nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 wirkt der Verlust eines wichtigen Gliedes des Körpers oder dessen dauernde Gebrauchsunfähigkeit strafschärfend. Ein Verlust liegt vor, wenn das Glied vom Körper physisch abgetrennt wird. Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn eine Wiederherstellung (z. B. Annähen eines Fingers) ohne unzumutbares Risiko möglich ist, selbst wenn das Opfer entsprechende Maßnahmen ablehnt439. Erst Recht muss eine Zurechnung ausscheiden, wenn nicht die nachträgliche Beseitigung verweigert wird, sondern bereits (zumutbare) Maßnahmen zur Verhinderung des Eintritts der Folge abgelehnt werden, wie etwa bei Verzicht auf Physiotherapie mit der Folge weitgehender Gebrauchsunfähigkeit einer Hand440. Bloße künstliche Ausgleichsmaßnahmen – wie z. B. das Einsetzen einer Prothese – sind hingegen nicht ausreichend, um den Verlust des Organs zu kompensieren441. Eine dauernde Gebrauchsunfähigkeit ist gegeben, wenn das Glied seine spezifische Funktion dauerhaft nicht mehr erfüllen kann und damit die Beeinträchtigung einem Verlust gleich kommt; so etwa, wenn die Hand durch die Tat versteift wird442.

215 Definition

Ein Glied ist jedes Körperteil, das mit dem Körper oder einem anderen Körperteil verbunden ist und eine besondere Funktion im Gesamtorganismus einnimmt443. Innere Organe sollen nach der Rechtsprechung keine Glieder sein. Begründet wird dies vor allem mit der Wortlautgrenze (Art. 103 Abs. 2 GG). Daher soll z. B. der Verlust einer Niere nicht den Tatbestand verwirklichen444. Dies überzeugt jedoch nicht, weil auch innere Organe Teile des Körpers mit selbständigen Funktionen sind. Sie können unter teleologischen Gesichtspunkten für den Gesamtorganismus mindestens ebenso wichtig sein wie äußere Körperteile445. Auch können so Fälle eigenmächtiger Organentnahme mit dem höheren Strafrahmen des § 226 sachgerecht erfasst werden. Aus demselben Grund kommt es richtigerweise auch nicht darauf an, ob – wie bei Armen, Beinen, Fingern – eine Verbindung durch ein Gelenk besteht, so dass auch Nase und Ohren erfasst werden446.

216Die Wichtigkeit eines Gliedes bestimmt sich zunächst nach dessen allgemeiner Bedeutung für den Gesamtorganismus. Dies kann man bei Armen, Beinen, Händen und Füßen unproblematisch bejahen. Umstritten ist hingegen, inwieweit die individuellen Verhältnisse des Opfers zu berücksichtigen sind.

Bsp.: Konzertpianist O verliert durch die Tat des T den kleinen Finger.

Teilweise werden persönliche Verhältnisse ganz ausgeblendet, so dass nur in abstrakter Betrachtungsweise auf den Gesamtorganismus zu blicken ist. Demnach wäre der kleine Finger kein wichtiges Glied447. Nach einer differenzierenden Ansicht sind zusätzlich die individuellen körperlichen Besonderheiten – wie etwa Vorschädigungen bzw. Behinderungen des Opfers – zu berücksichtigen448; der Verlust des kleinen Fingers kann daher etwa den Tatbestand erfüllen, wenn bereits andere Finger in ihrer Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigt sind. Nach der weitesten Auffassung sollen darüber hinausgehend bestimmte soziale bzw. die Persönlichkeit prägende Gesichtspunkte des Opfers, insbesondere dessen berufliche Tätigkeit, Bedeutung erlangen449. Überzeugend ist die differenzierende Ansicht: Körperliche Vorbedingungen gewinnen für die Wichtigkeit eines Gliedes in Bezug auf den gesamten Körper Bedeutung, während bestimmte Vorlieben oder berufliche Eigenschaften vom Rechtsgut des § 226 nicht umfasst sind; zudem muss man sehen, dass sich bei Berücksichtigung der Persönlichkeit klare Grenzen kaum ziehen lassen450.

217cc) § 226 Abs. 1 Nr. 3 ist bei einer Entstellung in erheblicher und dauernder Weise oder Verfallen in Siechtum, Lähmung oder geistiger Krankheit oder Behinderung verwirklicht.

218(1) Eine Entstellung ist eine ästhetische Verunstaltung der Gesamterscheinung einer Person451, wobei diese erheblich und dauerhaft sein muss.

Bspe.: Brandnarben im Gesicht; abgerissenes Ohr; zertrümmerter Kiefer.

219Die Erheblichkeit ist dann gegeben, wenn die Verunstaltung den anderen in § 226 Abs. 1 genannten Folgen nach ihrem Gewicht gleichsteht452. Für die diesbezügliche Wertung ist es vor allem entscheidend, welches Körperteil betroffen ist und wie groß die Narben sind453. So können Narben im Gesicht entstellend wirken, während entsprechende Narben am Bein möglicherweise die Erheblichkeitsgrenze noch nicht überschreiten. Unbeachtlich ist, ob sich die Entstellung durch das Tragen von Kleidungsstücken oder Kopfbedeckungen verdecken lässt. Daher können auch Brandwunden am Oberkörper entstellend wirken, weil diese das äußere Erscheinungsbild nicht nur im Privatleben, sondern auch beim Sport oder im Schwimmbad prägen können454. Dauerhaft ist die Entstellung, wenn sie das Aussehen endgültig oder jedenfalls für einen unbestimmt langen Zeitraum beeinträchtigt. Da die Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbilds entscheidend ist, ist der Tatbestand zu verneinen, wenn sich die Entstellung mit einem medizinisch und finanziell zumutbaren kosmetischen Eingriff wieder beseitigen lässt455. Im Gegensatz zur Nr. 2 kann dies auch durch künstlichen Ersatz (Prothese) geschehen, soweit dadurch die Entstellung beseitigt wird456. Lehnt das Opfer eine zumutbare kosmetische Korrektur ab, so ist der Tatbestand dennoch nicht verwirklicht457.

Bspe.: Beseitigung von Narben mit moderner Lasertechnik; Ersetzen ausgeschlagener Zähne durch eine Prothese.

220(2) Das Verfallen in die genannten Zustände ist dadurch gekennzeichnet, dass der Gesamtorganismus auf unabsehbare Zeit beeinträchtigt wird. Unter Verfallen in Siechtum ist daher ein chronischer Krankheitszustand zu verstehen, der zur allgemeinen Hinfälligkeit des Opfers führt458. Lähmung ist ein Zustand, bei dem eine Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteils den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht459. Das Merkmal geistige Krankheit ist nicht auf eine krankhafte seelische Störung i. S. d. § 20 beschränkt, sondern erfasst alle dauerhaften krankheitswertigen Schäden an der psychischen Gesundheit460. Eine geistige Behinderung ist eine schwere Beeinträchtigung der intellektuellen oder emotionalen Fähigkeiten, soweit nicht bereits eine geistige Krankheit vorliegt.461.

221b) Subjektive Anforderungen. Diesbezüglich ist zwischen Absatz 1 und Absatz 2 zu unterscheiden.

222aa) § 226 Abs. 1 enthält eine Erfolgsqualifikation i. S. d. § 18, bei der vor allem der gefahrspezifische Zusammenhang zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge gegeben sein muss. Hinsichtlich der schweren Folge genügt Fahrlässigkeit, es wird aber auch dolus eventualis erfasst.

223bb) § 226 Abs. 2 enthält eine Qualifikation für Fälle, in denen der Täter absichtlich oder wissentlich hinsichtlich der schweren Folge handelt. Die in § 226 genannten schweren Folgen stellen – anders als die einfache Körperverletzung nach § 223 – grundsätzlich kein notwendiges Durchgangsstadium zur Tötung dar. Sie sind nicht im Sinne der sog. Einheitstheorie vom Tötungsvorsatz umfasst462. Vielmehr schließt der Tötungsvorsatz den Vorsatz hinsichtlich des Eintritts der schweren Folgen aus, weil diese regelmäßig das Überleben des Opfers zumindest für geraume Zeit voraussetzen (z. B. § 226 Abs. 1 Nr. 3: dauernde Entstellung des Opfers) und damit ein Dauerelement aufweisen. Es besteht daher grundsätzlich ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis463.

224Bsp.:464 T beschließt, den O zu töten. Dazu übergießt er diesen mit Benzin und entzündet das Benzin mit seinem Feuerzeug. Die Flammen ergreifen sofort den gesamten Körper des O. Dieser kann jedoch das Feuer durch Hin- und Herwälzen auf dem Boden löschen und fliehen. Auf Grund der erlittenen Brandwunden trägt O allerdings für immer entstellende Narben am ganzen Körper.

Der BGH bejaht hier ein wissentliches Handeln. Der Täter habe die schwere Folge durch die gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges Durchgangsziel erkannt. Gegen die Annahme von § 226 Abs. 2 spricht jedoch, dass der BGH mit seiner Argumentation lediglich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Entstellungen als sichere Folge seines Handelns erkannt hat. Hingegen fehlt eine hinreichende Begründung, warum es der Täter auch (alternativ) als sicher voraussah, dass das Opfer überleben und daher dauerhaft entstellt sein wird465. Hierauf muss sich ebenfalls der Vorsatz beziehen, da die Langwierigkeit der Folge zum tatbestandlichen Erfolg gehört.

Strafrecht Besonderer Teil

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