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4.Rechtswidrigkeit

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176a) Rechtfertigende Einwilligung. Speziell bei den Körperverletzungsdelikten ist auf Rechtswidrigkeitsebene der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung mit der hierfür in § 228 normierten Grenze von Bedeutung. Zur Frage der Einwilligung gelangt man jedoch nur, soweit es sich um einen Fall der Fremdgefährdung oder Fremdverletzung handelt. Nach den Grundsätzen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung ist bereits die objektive Zurechnung zu verneinen, wenn der Beteiligte die Gefährdung lediglich veranlasst, ermöglicht oder fördert und sich im Erfolg gerade das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert350. Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen einer straflosen Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung und einer tatbestandsmäßigen Fremdgefährdung bzw. Fremdverletzung ist auch hier die Tatherrschaft351.

Bsp. (1): (Selbst-/Fremdschädigung): T überlässt dem O auf dessen Aufforderung gesundheitsschädigende Betäubungs-/Dopingmittel, die dieser anschließend selbst einnimmt. – Die Tatherrschaft über den gesundheitsschädigenden Akt liegt hier bei O; handelt er freiverantwortlich, so ist der objektive Tatbestand des § 223 Abs. 1 Var. 2 zu verneinen, weil dem T der Erfolg nicht objektiv zurechenbar ist. Spritzt hingegen T dem O das Mittel, so liegt eine Fremdverletzung vor. T geht dann nur straffrei aus, wenn eine wirksame Einwilligung des O vorliegt.

Bsp. (2): (Selbstgefährdung): T überlasst dem O seinen verkehrsuntüchtigen Wagen; O verunglückt in Kenntnis des Risikos und wird verletzt. – § 229 ist aus den bei Bsp. 1 genannten Gründen zu verneinen. Zwar hat T den Wagen überlassen, jedoch hat sich O selbst eigenverantwortlich dieser Gefahr ausgesetzt (anders als in Bsp. 1 wussten die Beteiligten hier nicht um den Eintritt des Erfolges). Entsprechendes gilt für Personen, die in Kenntnis des Risikos ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer Person ausüben, die mit dem HI-Virus infiziert ist.

Bsp. (3): (Fremdgefährdung):352 T und O betätigen sich als Autosurfer. Sie fahren dazu auf einem Feldweg. O legt sich auf das Autodach, T fährt. T beginnt mit 20 km/h, steigert dann aber das Tempo nach Anfeuerungen durch O auf 80 km/h. T und O denken dabei allerdings nicht an die ungeheuren Fliehkräfte. In einer Kurve verliert O den Halt, stürzt herab und wird dabei lebensgefährlich verletzt. – Es liegt nunmehr, anders als in Bsp. 2, eine Fremdgefährdung vor, da T das Fahrzeug steuerte und damit Tatherrschaft besaß353; dies wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass O nicht ohne weiteres das Fahrzeug verlassen und sich dem Risiko entziehen kann. T verwirklicht damit den Tatbestand des § 229; die Tat ist auch nicht durch eine Einwilligung des O gedeckt, da diese angesichts der Gefahr der schweren Verletzung i. S. d. § 228 sittenwidrig ist354.

177aa) Für die rechtfertigende Einwilligung sind zunächst die allgemeinen Voraussetzungen zu beachten355, bevor auf die Grenze des § 228 eingegangen wird. Eine Körperverletzung ist gem. § 228 trotz Einwilligung des Geschädigten sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt356. Um die Anforderungen des in Art. 103 Abs. 2 GG verbürgten Bestimmtheitsgrundsatzes zu wahren, kann ein Verstoß gegen die guten Sitten nur angenommen werden, wenn die Tat nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist357. Entscheidend ist dabei, ob die Tat selbst gegen die guten Sitten verstößt, und nicht, ob dieser Makel der Einwilligung anhaftet.

Bsp.: O willigt in die Entnahme einer Blutprobe durch T ein; T möchte diese bei einem Sportereignis als eigene abgeben, um so zu vertuschen, dass er selbst gedopt ist. – Da die Entnahme einer Blutprobe nur ein geringfügiger Eingriff ist, ist die Körperverletzung nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der mit der Einwilligung verfolgte Zweck missbilligenswert ist.

178bb) Nachdem früher in der Rechtsprechung der mit der Handlung verfolgte Zweck wesentliche Bedeutung erlangte,358 ist nach inzwischen überwiegender Ansicht entsprechend dem von § 223 geschützten Rechtsgut vornehmlich auf Art und Gewicht des Körperverletzungserfolgs und den Grad der möglichen Lebensgefahr abzustellen359. Sittenwidrig ist die Tat demnach vor allem, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr oder die Gefahr einer schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 bzw. einer vergleichbar schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird360. Hingegen ist bei leichten Beeinträchtigungen die Einwilligung stets wirksam, so dass auch ein negativer Zweck die Sittenwidrigkeit nicht zu begründen vermag.

Bsp. (1):361 Auf mehrfachen Wunsch der O drückt T dieser beim Liebesspiel ein Metallrohr gegen den Hals. O erleidet dadurch lebensgefährliche Verletzungen und eine dauerhafte Schädigung des Gehirns. – T macht sich nach §§ 223 Abs. 1 Var. 1 und Var. 2, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 strafbar; zwar liegen die Voraussetzungen einer Einwilligung vor, jedoch ist diese angesichts der Schwere der Körperverletzung als sittenwidrig i. S. d. § 228 einzustufen.

Bsp. (2):362 T spritzt dem O eine Überdosis Heroin, wodurch dieser beinahe zu Tode kommt. – Auch das Verabreichen harter Drogen führt trotz der Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 6b BtMG nicht zwingend zu einem Verstoß gegen die guten Sitten. Entscheidend ist vielmehr, ob gerade durch die Tat Gesundheits- oder Suchtgefahren begründet oder verstärkt werden. Dies kann jedenfalls dann bejaht werden, wenn das Opfer in konkrete Todesgefahr gebracht wird.

179Allerdings kann selbst bei schwerwiegenden Rechtsgutsangriffen die Disposition des Betroffenen ausnahmsweise vorrangig sein, wenn wie etwa bei ärztlichen Heileingriffen ein positiver Zweck hinzukommt363. Bei der hierbei vorzunehmenden Abwägung kommt ein Verstoß gegen die guten Sitten desto eher in Betracht, je größer die Gefahr und je geringer der Wert des Tatzwecks ist364.

Bsp. 1 (Fremdschädigung): Arzt T nimmt bei O eine lebensgefährliche Operation am Herz vor, ohne die O innerhalb weniger Tage versterben würde. – Obwohl T einen schwerwiegenden Eingriff mit großer Gefahr für das Leben des O vornimmt, verstößt die Tat nicht gegen die guten Sitten, weil die Gefahr durch den positiven Zweck kompensiert wird. Die vorsätzliche Körperverletzung des T ist daher durch die Einwilligung des O gerechtfertigt.

Bsp. 2 (Fremdschädigung):365 O unterzieht sich einer Aufnahmeprüfung für eine Jugendgang. Hierzu willigt er ein, dass er sich von T mehrere Minuten lang zusammenschlagen lässt; dabei weiß er, dass auch schwere Folgen eintreten können. T schlägt und tritt daraufhin den O, der schwere Verletzungen erleidet. – Auf Grund der erheblichen Verletzungen, der Gefährlichkeit der Schläge sowie der menschenunwürdigen Behandlung kann der Zweck (Mitgliedschaft) in der Jugendgang nicht kompensierend wirken. Weil die Tat damit gegen die guten Sitten verstößt, ist die Einwilligung unwirksam und T gem. § 223 strafbar.

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In solchen Fällen ist in einem ersten Schritt Art und Gewicht des Körperverletzungserfolgs sowie der Grad der möglichen Lebensgefahr festzustellen. Dem ist dann in einem zweiten Schritt der mit der Tat verfolgte Zweck gegenüber zu stellen.

180b) Elterliches Züchtigungsrecht. Umstritten ist, ob die Körperverletzung auf Grund eines (elterlichen) Züchtigungsrechts gerechtfertigt sein kann366. Dabei ist von vornherein zu beachten, dass Bagatellhandlungen – wie ein leichter Klaps – bereits keine körperliche Misshandlung i. S. d. § 223 Abs. 1 Var. 1 darstellen. Andererseits sind entwürdigende Erziehungsmaßnahmen gem. § 1631 Abs. 2 BGB stets unzulässig und damit strafbar. Streitig ist damit nur, ob „maßvolle“ Einwirkungen (z. B. Ohrfeige) bereits aus dem Tatbestand ausscheiden367, durch das Züchtigungsrecht (gewohnheitsrechtlich) gerechtfertigt368 oder als Körperverletzung strafbar369 sind.

181Insoweit wird man zunächst verlangen müssen, dass überhaupt ein hinreichender Züchtigungsanlass (Rechtfertigungslage) besteht (z. B. erhebliches Fehlverhalten des Kindes). Die Züchtigungshandlung (Rechtfertigungshandlung) muss darüber hinaus zur Erreichung des Erziehungszwecks erforderlich, d. h. sowohl geeignetes als auch mildestes Mittel sein. Ferner muss ein angemessenes Verhältnis von Züchtigungsmittel und Züchtigungszweck bestehen370; hierbei ist eine Gesamtwürdigung vor allem unter Berücksichtigung des Alters des Kindes vorzunehmen, wobei die Eltern jedoch einen gewissen Beurteilungsspielraum haben. Letztlich muss das Handeln zu Erziehungszwecken (Erziehungswille als subjektives Rechtfertigungselement) erfolgen. Kein Züchtigungsrecht besteht gegenüber fremden Kindern; auch Lehrern steht generell kein Züchtigungsrecht zu, da staatliche Eingriffe nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG eines Gesetzes bedürfen.

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