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4.2 GauniloGaunilo und die erste Kritik am ontologischen ArgumentArgument
ОглавлениеDie erste literarisch greifbare PersonPerson, die Anselms Gedankengang explizit kritisiert hat, war – der bereits erwähnte – GauniloGaunilo (ca. 1000–1083), ein Benediktinermönch aus dem in der Nähe von Tours gelegenen Kloster Marmoutiers.1 Noch heute findet er Befürworter „seiner Kritik des Beweises von AnselmAnselmvon Canterbury“, die sich dafür aussprechen, dass Gaunilo zurecht auf den entscheidenden Fehler des Arguments hingewiesen habe.2 Worum es sich bei diesem Fehler handelt, lässt sich Gaunilos Worten selbst entnehmen:
Wie also wird mir bewiesen, dass jenes „grösser“ gemäss der wahren WirklichkeitWirklichkeit nach besteht, weil feststeht, dass es grösser als alles sei, während ich dies doch noch verneine und bezweifle, derart, dass ich behaupte, nicht einmal in meinem Verstande oder in meinem Denken sei dies „grösser“ selbst wenigstens auf dieselbe Weise wie auch vieles Zweifelhafte und Ungewisse? Zuerst nämlich ist es notwendig, dass ich die GewissheitGewissheit erlange, dass irgendwo dieses „grösser“ selbst in Wirklichkeit sei, und dann erst wird es auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass es, aufgrund der Tatsache, dass es grösser ist als alles, auch in sich selbst Bestand habe.3
Zur Illustration bedient er sich des bekannten Beispiels von der gedachten „Insel, die vortrefflicher [praestantiorem] ist als alle Länder“4. Und „weil es vortrefflicher ist, nicht im Verstande allein, sondern auch in WirklichkeitWirklichkeit zu sein [quia praestantius est, non in intellectu solo sed etiam esse in re]“, so existiert sie notwendigerweise auch in WirklichkeitWirklichkeit; denn „wäre sie nämlich nicht, dann wäre jedes andere Land, das wirklich ist, vortrefflicher als sie, und so wäre sie, die […] als die vortrefflichere begriffen worden ist, nicht die vortrefflichere“.5
Was GauniloGaunilo an Anselms Gedankengang bemängelt, das ist, dass die notwendige ExistenzExistenz dessen, „über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann“6, apriorisch erkannt werden soll, währenddem er selbst – Gaunilo – die ErkenntnisErkenntnis der notwendigen Existenz nur aposteriorisch für möglich hält. Was seinen Worten zu entnehmen ist: „Zuerst nämlich ist es notwendig, dass ich die GewissheitGewissheit erlange, dass irgendwo dieses ‚grösser‘ selbst in WirklichkeitWirklichkeit sei, und dann erst wird es auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass es, aufgrund der Tatsache, dass es grösser ist als alles, auch in sich selbst Bestand habe.“7
Wenn Franz von KutscheraKutscheraFranz von das ArgumentArgument von GauniloGaunilo für „ebenso korrekt [hält] wie das von AnselmAnselmvon Canterbury“8, dann ist das aus der Sicht der formalen LogikLogik stimmig. Nicht aber, wenn es aus materialer Sicht betrachtet wird. Denn wenn von KutscheraKutscheraFranz von meint, Gaunilo hätte „den BeweisBeweis Anselms dadurch ad absurdum geführt, dass er nach demselben Schema die ExistenzExistenz einer vollkommenen Insel nachwies“, indem er sagte: „Eine in jeder Hinsicht vollkommene (schöne, fruchtbare, klimatisch bevorzugte etc.) Insel ist denkbar, existiert also in intellectu. Würde sie nicht tatsächlich existieren, so wäre sie nicht vollkommen. Also existiert sie.“9 Bei diesem Gedankengang werden die Sachen selbst – im Kantschen Sinne – auf ihre blosse FormForm reduziert, ganz ausser Acht wird jedoch gelassen, dass das SoseinSosein einer Insel und das Sosein Gottes in materialer Hinsicht nicht nach demselben Schema behandelt werden können.10 Das wird sich zeigen, wenn weiter unten die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten als die einzigen Momente eines adäquaten Gottesbegriffs herausgearbeitet werden.11