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4.4 Die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments

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Wie den Kritiken von GauniloGaunilo, Thomas von AquinThomas von Aquin und Immanuel KantKantImmanuel zu entnehmen ist, halten sie das ontologische ArgumentArgument darum für ungültig, weil das WissenWissen um das Dasein Gottes durch reines Denken erworben werden soll, statt auf dem Wege der Synthesis bzw. der Erfahrung. Damit rückt das weiter oben besprochene Thema des synthetischsynthetisch-apriorischen Erkennens wieder ins Blickfeld. Wie an jener Stelle gesehen, versteht von HildebrandHildebrandDietrich von das synthetisch-apriorische ErkennenErkennen als höchst intelligibles und absolut gewisses Erkennen eines in einer notwendigen Soseinseinheit oder Weseneinheit gründenden Sachverhalts. Das objektive Korrelat ist ihm das Verhalten einer in sich notwendigen Wesenheit. Sind die Voraussetzungen damit geschaffen, um die „existential erweiterte WesensnotwendigkeitWesensnotwendigkeit“1 zu begründen?

Das hängt ganz davon ab, ob das ArgumentArgument von einem anthropomorphen Begriffanthropomorphen Begriff oder vom objektiven und notwendigen WesenWesen Gottes ausgeht, wie auch davon, ob die ExistenzExistenz im notwendigen Wesen Gottes gründen und ob dies auch erkannt werden kann.

Gleich an dieser Stelle sei gesagt, dass es sich insofern nicht um einen anthropomorphen Begriffanthropomorphen Begriff handelt, als von GottGott keine Eigenschaften ausgesagt werden, die endlich, begrenzt und unvollkommen sind. Wenn AnselmAnselmvon Canterbury in diesem Sinne sagt, dass Gott all das in seinem WesenWesen vereinigt, „von dem wir denken können, es sei absolut besser zu sein, als nicht zu sein“2, dann bezieht er sich mit der Negation freilich nicht auf den kontradiktorischen Gegensatzkontradiktorischer Gegensatz, so als wäre es absolut besser ein Vogel zu sein, als überhaupt nicht zu sein. Die augenscheinlichen Schwierigkeiten, die mit Anselms formaler Bestimmung verbunden sind, bewogen Johannes Duns ScotusDuns ScotusJohannes (1265–1308) zu einer weitergehenden Unterscheidung, dergemäss das Wesen, „über das hinaus nichts Besseres gedacht werden kann“3, all das in sich vereinigt, was „schlechthin und an und für sich genommen besser ist als jegliches mit ihr Unvereinbare [absolute melius quocumque incompossibili]“4. Nicht vereinbar mit dem, „was schlechthin und an und für sich genommen besser ist“, wie Walter HoeresHoeresWalter dartut, „ist alles, was in seinem Wesen mit Einschränkung, Teilnegation der Position und daher Zusammensetzung behaftet ist und von Scotus mit der Tradition ‚gemischte Vollkommenheitgemischte Vollkommenheit‘ (perfectio mixta) genannt wird“.5 Wozu eben gerade all das gehört, was endlich, begrenzt und unvollkommen ist, oder anders gesagt, was der Ordnung von Genus und Spezies angehört. Auch setzt dasjenige, „von dem wir denken können, es sei absolut besser zu sein, als nicht zu sein“6, ein Wesen voraus, das überhaupt darauf angelegt ist, es zu sein.7

Duns ScotusDuns ScotusJohannes, der sich in Bezug auf die göttlichen Wesensmerkmale – die reinen Vollkommenheitereine Vollkommenheitenn (perfectioni simpliciter) – grosse Verdienste erworben hat, blieb hierbei aber noch nicht stehen. So lassen die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten überdies UnendlichkeitUnendlichkeit in einer Weise zu, dass sie nur in der unendlichen FormForm wahrhaft sie selber sind.8 Die Unendlichkeit der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten ist denn auch der Grund, weswegen AnselmAnselmvon Canterbury sagt, dass GottGott nicht nur dasjenige ist, „über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann“9, sondern auch „etwas Grösseres, als gedacht werden kann“10. Nichtsdestotrotz lassen sich die reinen VollkommenheVollkommenheititreine Vollkommenheitenen in ihrem formalen Wesensgehalt (ratio formalis), in ihrem reinen SoseinSosein oder WesenWesen von allen Begrenztheiten, denen sie in den endlich Seienden unterworfen sind, abstrahieren.11 Diesbezüglich lehrte schon AugustinusAugustinus:

Wenn du daher von diesem GutGutdas und jenem GutGutdas hörst, das auch einmal nicht gut heissen kann, und wenn du dann ohne die Güter, welche durch Teilnahme am Guten selbst gut sind, das GuteGutedas selbst, durch dessen Teilnahme sie gut sind, durchschauen kannst – wenn du nämlich von diesem und jenem GutGutdas hörst, dann siehst du zugleich das GutGutdas selbst –, wenn du also jene Güter beiseite lässt und das GuteGutedas selbst durchschauen kannst, dann schaust du GottGott.12

Die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten, deren Sein oder Besitz absolut besser ist als ihr Nichtsein oder ihr Nichtbesitz, weisen zudem eine gegenseitige Verträglichkeit auf, die solcherart ist, dass sie alle gleichzeitig besessen bzw. realisiert werden können, ja keine im vollen Masse sie selbst ist ohne all die anderen (nulla perfectio simpliciter est incompossibilis alteri perfectioni simpliciter13). Jeder BeweisBeweis einer Unverträglichkeit einer Eigenschaft E mit einer reinen VollkommenheitVollkommenheit R würde beweisen, dass E oder R oder beide keine reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten sind. Und schliesslich sind die reinen VollkommenheVollkommenheititreine Vollkommenheitenen irreduzibel einfacirreduzibel einfachh (omnis perfectio simpliciter est simpliciter simplex14), d.h. dass sie weder auf etwas anderes reduziert noch von etwas anderem deduziert werden können.15

Welches aber sind die materialen Eigenschaften, die diese formalen Merkmale aufweisen? Welches sind die Eigenschaften, die absolut besser sind als alles, was damit nicht zu vereinbaren ist, die nur in der unendlichen FormForm wahrhaft sie selber, die gegenseitig verträglich und irreduzibel einfachirreduzibel einfach sind? Die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten können in drei Gruppen unterschieden werden. Zur ersten Gruppe gehören – nach der mittelalterlichen Terminologie – die TranszendentalienTranszendentalien: das Sein (ens und esse), das WesenWesen (res), die innere EinheitEinheit (unum), das Etwassein und damit das in sich selber, vom Nichts und von Anderem Unterschiedensein (aliquid), die Seinswahrheit (verum), das GuteGutedas (bonum) und schliesslich das Schöne (pulchrum).16 Da sie alle keiner Seinsart und keinem Seienden überhaupt ganz fehlen können, stellen sie schlechthinnige Vollkommenheiten dar. Zur zweiten Gruppe der reinen Vollkommenheitereine Vollkommenheitenn gehören jene, die nur einigen Seienden in der Welt zugehören, wie Leben, WeisheitWeisheit, FreiheitFreiheit, ErkenntnisErkenntnis, LiebeLiebe. Auch sie sind ihrer VollkommenheitVollkommenheit nach nicht begrenzt. Drittens gibt es die Gruppe der exklusiv göttlichen Eigenschaften, „wie ein aus sich seiendes Wesen (ein ens a se) zu sein, absolute UnendlichkeitUnendlichkeit, Allwissenheit, AllmachtAllmacht, Allgegenwärtigkeit, anfanglose EwigkeitEwigkeit, höchste Verkörperung des Sittlichen und höchster Richter zu sein“17.

Die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten sind die einzige Möglichkeit, objektive Eigenschaften des vollkommenen Wesens zu benennen und sich nicht in blossen AnthropomorphismenAnthropomorphismen zu ergehen. Sie geben deutlich zu erkennen, dass das vollkommene WesenWesen weder innerlich unmöglich noch widersprüchlich, sondern vielmehr unerfindbar-notwendig ist. Inwiefern trägt dies nun aber bei zur ErkenntnisErkenntnis des Sachverhalts der notwendigen ExistenzExistenz des vollkommenen Wesens? Ausgangspunkt war ja der Gedankengang: Weil das Wesen Gottes alle Vollkommenheiten in sich vereinigt, ist seine Realexistenz eine VollkommenheitVollkommenheit, und weil die reale Existenz im Falle des vollkommenen Wesens eine Vollkommenheit ist, darum existiert es auch mit NotwendigkeiNotwendigkeitsubjektivet. Betrachtet man dahingegen die Dinge dieser Welt, so lässt sich mit Thomas von AquinThomas von Aquin feststellen, wie die wirkliche Existenz zum jeweiligen Wesen von aussen hinzukommt.18 Wie aber steht es mit dem Wesen, über das hinaus nichts Grösseres und nichts Besseres gedacht werden kann? Kommt auch dem vollkommenen Wesen die Existenz von aussen zu? Ist das nicht widersprüchlich? Schliesst das vollkommene Wesen nicht gerade aufgrund seines Wesens die notwendige Existenz ein? Es ist evident, dass der ständig drohende Verlust der Existenz nur dem zukommen kann, was unvollkommen ist. Beim vollkommenen Wesen dagegen sind Sein und Wesen identisch, ja müssen identisch sein, denn vollkommen ist eben nur das WesenWesen, das den Grund seiner Existenz in sich selber hat. Hätte das vollkommene Wesen seine Existenz nicht aus sich selber, sondern wäre stetig in Gefahr, seine Existenz wieder einzubüssen, so wäre es mit Sicherheit nicht das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann. Eine tatsächliche oder auch nur eine als möglich gedachte Nichtexistenz widerspricht dem Wesen Gottes.

Wer vermeint, dieses WesenWesen könne auch nicht sein, legt Zeugnis ab von seinem Nichtverstehen dieser einzigartigen WesensnotwendigkeitWesensnotwendigkeit. Dies war bei GauniloGaunilo der Fall, der gegen AnselmAnselmvon Canterbury den absurden Einwand vorbrachte, dass die vollkommenste Insel notwendigerweise existiere, da eine wirklich seiende Insel vollkommener sei als eine bloss gedachte. Indessen übersah er mit vielen anderen Philosophen jedoch, dass die vollkommenste Insel – trotz aller begrifflichen NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive – die notwendige reale ExistenzExistenz aufgrund ihres Wesens nicht nur nicht einschliesst, sondern gerade strikt ausschliesst. „So bleibt kein ZweifelZweifel daran“, wie Josef SeifertSeifertJosef feststellt, der sich seit seinen frühen Jugendjahren mit dem ontologischen ArgumentArgument beschäftigt und ihm mit GottGott als GottesbeweisGottesbeweis schliesslich eine überzeugende Schrift gewidmet hat, „dass in der Tat zur göttlichen, und nur zur göttlichen Wesenheit, die reale und absolut notwendige Existenz, das absolute Nicht-nicht-sein-Können gehört.“19

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