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Arbeit am Frieden

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Das zwanzigste Jahrhundert ist kein konsequentes Zeugnis für Frieden in Europa und durch Europa; das heißt jedoch nicht, dass „Friede“ aufhört, ein europäischer Wert zu sein, ist doch die Arbeit an der politischen Architektur im Nachkriegseuropa Ausdruck eines Ringens um Frieden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde vom französischen Juristen René Cassin entworfen17, der den Begriff der Menschenwürde prominent im ersten Artikel (und nicht bloß in der Präambel!) positionieren wollte. Denn die Menschenwürde war mit Füßen getreten worden. Die Arbeit am Frieden war echte Arbeit, Arbeit an Kooperationen und Allianzen18, Arbeit an der Vergangenheitsbewirtschaftung. Und diese Arbeit trug für Europa Früchte.

Am 10. Dezember 2012 wurde – nicht ohne begleitenden Ausdruck von Skeptizismus und Reserve19 – der Friedensnobelpreis an die Europäische Union verliehen; Hermann Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, und José Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, nahmen den Preis entgegen. In seinen Dankesworten erinnerte Van Rompuy, der sich als Nachkriegskind in Belgien mit Sehnsucht nach ruhigem Alltag vorstellte, an den „ureigensten Zweck der Europäischen Union: die Brüderlichkeit zwischen den europäischen Nationen jetzt und in Zukunft zu stärken.“ Er führte bewegende symbolische Gesten an, die die Arbeit am Frieden ausdrückten und konsolidierten (der Kniefall Willy Brandts in Warschau; Kohl und Mitterrand Hand in Hand in Verdun, eine Menschenkette von zwei Millionen Menschen im Jahr 1989 von Tallinn über Riga bis Vilnius) – heilende und friedensstärkende Momente.

Die Arbeit am Aufbau des Friedens wird zur Arbeit am Erhalt des Friedens. Wenn Van Rompuy formuliert: „Unser Kontinent, der nach 1945 aus der Asche auferstanden ist und 1989 wieder zusammengefunden hat, besitzt enorme Fähigkeiten, sich neu zu erfinden“, so drückt er eine Einsicht aus, die sich in der europäischen Geschichtsschreibung immer wieder findet: Die Fähigkeit Europas zum Neuanfang. Diese Fähigkeit ist auch für den Bau am Frieden entscheidend. Präsident Barroso betont in seiner Rede, dass Friede von gutem Wille, einer Rechtsordnung und von gemeinsamen Interessen durch die Zugehörigkeit zu einer Interessengemeinschaft getragen werde – Friede wird in dieser Lesart gesichert durch eine Staatengemeinschaft und nicht mehr durch Nationalstaaten, durch ein Denken, das über nationalstaatliche Souveränität hinausgeht. Und dieses Denken weist sich der Geschichte verpflichtet: „Das konkrete Engagement der Europäischen Union für das Geschehen in der Welt ist nachhaltig geprägt von den tragischen Erfahrungen unseres Kontinents mit extremem Nationalismus, mit Krieg und dem furchtbaren Unheil der Shoah. Es wird von unserem Wunsch getragen, in Zukunft diese Fehler zu vermeiden.“

Hier wird Frieden zu dem, was man einen „Sehnsuchtsbegriff“ nennen könnte, ein Begriff, der eine Ausrichtung angibt, die vielleicht nicht im Erleben eingeholt werden kann, aber doch Orientierung bietet. José Barroso hat in seiner Friedensnobelpreisrede Spinozas Wort „Pax enim non belli privatio, sed virtus est“ zitiert; das Wort entstammt Spinozas Politischem Traktat (V, 4) und bezeichnet den Frieden als eine Haltung, als eine Tugend, die einer Stärke des Charakters entspringt („quae ex animi fortitudine oretur“). Frieden ist damit eingeordnet in eine Welt von Haltungen, von Innerlichkeit. Politischer Frieden und spirituelle Friedfertigkeit rücken näher zusammen. Dieser Gedanke ist in der Geistesgeschichte wohl verankert.

Friede als Lebensform schließt eine Geisteshaltung ein; Augustinus hält in Buch 19, Kapitel 13 des „Gottesstaates“ fest, dass Friede als geordnete Zusammenstimmung der einzelnen Teile verstanden werden könne, innerhalb der Seele, zwischen Leib und Seele, zwischen den Menschen wie auch zwischen Mensch und Gott. „Geordnete Eintracht“ („ordinata concordia“) wird ebenso zum Schlüsselbegriff wie „Ruhe der Ordnung“ („tranquillitas ordinis“). Hier kommen äußere Aspekte wie Rahmenbedingungen mit inneren Aspekten wie Seelenfrieden zusammen. Und das bedeutet auch eine Begegnung von Politik und Religion. Nach dem 11. September ist es in der Weltöffentlichkeit deutlich geworden, dass Frieden ohne Berücksichtigung der religiösen Dimension unrealistisch sei. In seiner „Regensburger Vorlesung“ vom 12. September 2006 hat Papst Benedict XVI, zurückgekehrt an seine letzte akademische Wirkstätte, an die Bedeutung der Harmonie von Vernunft und Glauben für den Frieden erinnert. Dabei sind auch spirituelle Quellen von Bedeutung, die Frieden vor allem auch als „Sehnsuchtsbegriff“ zeigen; die christliche Tradition bietet bedeutsame Aussagen über den Frieden an, etwa im vierzehnten Kapitel des Johannesevangeliums – Jesus werden in Joh 14:27 die Sätze in den Mund gelegt „Frieden hinterlasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch. Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich Euch.“ Auffallend an dieser Stelle ist zumindest, dass der Zuspruch des Friedens ein Trostwort ist, das mit der Verheißung der Sendung des Heiligen Geistes in Zusammenhang steht: Der Geist wiederum wird nicht unbedingt mit Ruhe, Stille, Stabilität in Verbindung gebracht, sondern mit Feuer, Unruhe und Bewegung. Der Friede, den Jesus nahelegt, ist nicht ein Friede der „Windstille“, sondern ein Friede des Sturms. Dazu kommt, dass diese Stelle den Anspruch erhebt, einen Frieden finden zu können, wie ihn die Welt nicht geben kann – ein Friede, der nicht auf „Vertrag“, sondern auf „Bund“ beruht. Arbeit am Frieden ist auch Arbeit an den geistlichen Quellen. Solche spirituellen Quellen sind in der Friedensarbeit nicht zu unterschätzen. Denn Friede ist ein Wert, der mit allen verfügbaren Mitteln gestützt werden will.

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