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Just Policing – eine Alternative zur militärischen Intervention?

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Intention der Kirchen ist es, mit dem Leitbild des gerechten Friedens über die Kontroverse „gerechter Krieg versus Pazifismus“ hinauszugehen und die Spannungen zwischen den beiden großen christlichen Friedenstraditionen, die wesentlich die letzten Jahrzehnte geprägt haben, aufzulösen.59 Ein Vorschlag zur Überwindung dieser beiden, sich letztlich antagonistisch gegenüberstehenden Standpunkte findet sich in der ökumenischen Erklärung zur Schutzpflicht. Als Alternative schlägt der ÖRK internationale Polizeikräfte vor:

Gewaltanwendung zu humanitären Zwecken muss in ein breites Spektrum wirtschaftlicher, sozialer, politischer und diplomatischer Anstrengungen eingebettet sein, die die direkten wie langfristigen Ursachen der Krise in den Blick nehmen. Auf lange Sicht sollten für diese Aufgaben internationale Polizeikräfte ausgebildet werden, die an das Völkerrecht gebunden sind.60

Er ruft die internationale Gemeinschaft und die einzelnen Staaten auf, „die Entwicklung von Strategien für den Einsatz von Polizeikräften in Situationen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen“.61

Solche Polizeieinsätze sollten „von streng von ihnen getrennten humanitären Hilfsmaßnahmen“ begleitet sein und mit der Bereitschaft und den notwendigen Mitteln einhergehen, „der bedrohten Bevölkerung beizustehen, bis die Grundlagen der Ordnung und öffentlichen Sicherheit wiederhergestellt sind“.62 In diesem Kontext differenziert die Erklärung zur Schutzpflicht auch zwischen Gewalt, die zu humanitären Zwecken eingesetzt wird, deren ausschließliche Aufgabe der Schutz der bedrohten Bevölkerung darstellt und die „einer das Recht achtenden Polizeitätigkeit“ nahekommt, und Gewalt, die Zielen einer Kriegsführung dient, „um eine Auseinandersetzung zu gewinnen oder ein Regime zu besiegen“.63

Hinter diesem Vorschlag steht – ohne dies in der ökumenischen Erklärung konkret zu benennen oder näher zu entfalten – der Ansatz des Just Policing,64 verstanden als „gerechtes polizeiliches Handeln“.65 Im Fokus dieses Konzeptes steht das Ziel der Gewaltdeeskalation und Gewaltminimierung. So würden sich Polizeieinheiten aufgrund ihres Aufgabenprofils und ihrer Ausstattung deutlich vom Militär unterscheiden. Angestrebt werde nicht – so Fernando Enns – ein „Sieg über andere“, vielmehr gehe es darum, „gerechte win-win-Lösungen zu ermöglichen“, und diese mit geringstmöglicher Zwangsausübung.66

Die Idee des Just Policing geht auf einen fünfjährigen mennonitisch-katholischen Dialog zurück, der von 1998 bis 2003 geführt wurde.67 Dabei wurden Gemeinsamkeiten festgestellt wie das christliche Friedenszeugnis oder auch die enge Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit, aber auch Divergenzen benannt. Dazu zählt insbesondere der Dissens über Gewaltfreiheit und gerechtem Krieg. Ziel war es daher, ein Konzept zu entwickeln, das die verschiedenen Positionen widerspiegeln könne.

Mit dieser Intention entwarfen Gerald W. Schlabach und Ivan J. Kauffman ein erstes inoffizielles Hintergrundpapier, das im Rahmen eines mennonitisch-katholischen Colloquiums 2002 erstmalig diskutiert und in den Folgejahren wesentlich unter der Federführung von Schlabach weiterentwickelt wurde. Das folgende Zitat skizziert die zentrale Grundidee dieses Ansatzes:

Würden die besten Intentionen der Theoretiker des gerechten Krieges in die Praxis umgesetzt, dann würden sie nur ein gerechtes polizeiliches Handeln legitimieren, auf keinen Fall jedoch Krieg. Und wenn christliche Pazifisten in irgendeiner Weise Operationen, die begrenzte, aber potentiell tödliche Gewalt mit sich bringen, unterstützen, sich daran beteiligen oder sich zumindest nicht völlig dagegen aussprechen, dann gilt das für ein gerechtes polizeiliches Vorgehen. Just Policing – und nur ein gerechtes polizeiliches Handeln.68

Das heißt, während Just Policing aus erster Perspektive als eine eng begrenzte Anwendung des gerechten Krieges angesehen werden könne, sei im zweiten Falle eine pazifistische Lesart – beispielsweise im Sinne eines Rechtspazifismus – denkbar. Genau diese Konstellation ermögliche Schlabach zufolge die angestrebte Konvergenz beider Standpunkte.

Dahingestellt bleibe, inwieweit es gelingen kann, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ein Just Policing auf internationaler Ebene zu etablieren, und auch, angesichts von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ethnischen Säuberungen Militär durch Polizei zu ersetzen. Zumindest aber bietet dieser Vorschlag die Chance, einen neuen Ansatz im internationalen Umgang mit Konflikten zu etablieren und neue Perspektiven in der Konfliktprävention eröffnen, womit sich im Sinne der Prozesshaftigkeit des Friedens auch die Schwelle der militärischen Ultima Ratio verschieben ließe.

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