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Frieden und Gerechtigkeit – ein immanentes Spannungsverhältnis?
ОглавлениеDer gerechte Frieden geht mit seinem weiten und mehrdimensionalen Friedensverständnis über die auf Kriegsbegrenzung angelegte bellum iustum-Lehre deutlich hinaus, gilt es vor allem, die „Bedingungen des Friedens“27 zu bestimmen und herzustellen. Dabei bietet die inhaltliche Verknüpfung von Frieden und Gerechtigkeit den Ausgangspunkt für eine Kritik an bestehenden Gewaltverhältnissen, auch struktureller Art: „Soziale Gerechtigkeit tritt Privilegierungen entgegen, wirtschaftliche Gerechtigkeit dem Reichtum, ökologische Gerechtigkeit dem Konsum und politische Gerechtigkeit Macht an sich.“28
Dieser Perspektivwechsel impliziert zugleich eine prinzipielle, dem Konzept inhärente friedenspolitische Spannung. Denn „good things do not always go together“.29 Gehören normativ Frieden und Gerechtigkeit unauflösbar zusammen, können sie in der politischen Realität auseinanderfallen: wenn Gewaltanwendung zum Schutz elementarer Menschenrechte alternativlos erscheint oder die Aufrechterhaltung des Friedens mit zentralen Gerechtigkeitsforderungen kollidiert. So grenzt sich der gerechte Frieden nicht nur vom gerechten Krieg ab, sondern auch von einem „ungerechten Frieden“. Und genau dieser bietet – so Lothar Brock – „einen moralisch attraktiven Grund für Rebellion und Krieg und andere Formen kollektiver Gewalt“.30
Diese Debatte wird seit den 1970er Jahren auch in Auseinandersetzung mit Johan Galtungs positivem Friedensbegriff geführt: Definiert als Abwesenheit struktureller Gewalt (worunter all jene Arten von Gewalt gefasst werden, die aus systemischen Strukturen resultieren wie Repression und Ausbeutung) und verstanden als soziale Gerechtigkeit31 hat auch der positive Frieden seine Entgegensetzung nicht im Krieg, sondern im Unfrieden. Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit können in Widerspruch zueinander treten. Dieser Gefahr ist sich auch Galtung bewusst:
Anstrengungen, sowohl personale als auch strukturelle Gewalt zu vermeiden, können leicht dazu führen, eine von beiden oder gar beide zu akzeptieren. Wenn man also die Wahl zwischen der Korrektur eines sozialen Übels mit Hilfe personaler Gewalt und dem Nichtstun hat, kann letzteres in der Tat bedeuten, daß man die Kräfte unterstützt, die für die Ungerechtigkeit verantwortlich sind. Und umgekehrt: der Gebrauch personaler Gewalt kann leicht dazu führen, daß man weder langfristige Abwesenheit von Gewalt noch Gerechtigkeit erreicht.32
Dieses Dilemma führt bei Galtung aber nicht zur Verwerfung des positiven Friedensbegriffs, sein Plädoyer lautet vielmehr, beide Ziele in gleicher Weise zu verfolgen, alles andere sei „eine Art intellektueller und moralischer Kapitulation“.33
In diesem Sinne lässt sich auch der gerechte Frieden lesen. Dabei kann er – und in diesem Punkt unterscheiden sich beide Friedensbegriffe – die Unbedingtheit der ethischen Verpflichtung christologisch begründen: Der gerechte Frieden verweist auf das kommende Reich. Die Stiftung des Friedens und das Streben nach Gerechtigkeit sind Inhalt eschatologischer Verheißung. In diesem Sinne bleibt der Friede zwar „eine die Grenzen des Machbaren transzendierende Gabe“34 und dem menschlichen Friedenshandeln entzogen. Zugleich aber ist die christliche Gemeinschaft gefordert, „innerhalb der herrschenden Ordnung Vorgriffe auf den messianischen Frieden zu wagen und auf diese Weise die Welt vernünftiger und menschlicher zu gestalten“35. Gefordert sind folglich Strategien, die in der Lage sind, die Spannung zwischen Frieden und Gerechtigkeit, wenn diese auch nicht aufgehoben werden kann, doch zumindest abzumildern.