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Jean-Christophe Merle Friede und Gerechtigkeit 1. Einleitung
ОглавлениеWer nicht wünscht, dass Friede und Gerechtigkeit weltweit herrschen, der ist sicherlich ein unmoralischer Mensch. Manche bekennen sich ausdrücklich zu dieser Immoralität, so beispielsweise Nietzsche, der sowohl den Frieden als auch die Gerechtigkeit als Werte radikal ablehnt.1 Dabei wird zu Recht von der Vereinbarkeit beider miteinander ausgegangen. Mehr noch: Oft will man zeigen, dass die Herrschaft des Friedens und die Herrschaft der Gerechtigkeit einander unterstützen, und zwar so sehr, dass die Kombination beider die Errichtung eines Weltfriedens und einer globalen Gerechtigkeit ermöglichen könnte, die unter gewissen Umständen für die Erfüllung der Voraussetzungen ihrer eigenen dauerhaften Stabilität sorgen würden. Diese Voraussetzungen sind institutioneller Art, wie die einzelnen Entwürfe eines ewigen Friedens – allen voran Kants Zum ewigen Frieden – es immer wieder betont haben.2 Heutzutage werden solche Entwürfe für einen ewigen Frieden oft als ein Schritt betrachtet, der weiter geht als die gewöhnlichen Friedensverträge, jedoch nicht als etwas radikal anderes. Der ewige Friede gilt als Vervollkommnung und Verstärkung der gewöhnlichen Friedensverträge. Nun folgen die gewöhnlichen Friedensverträge und der Weg zu ihnen den Grundsätzen der Lehren des gerechten Krieges, welche zu einer anderen Perspektive und zu einer anderen Tradition als die Entwürfe für einen ewigen Frieden gehören. Unsere heutige Auffassung eines immerwährenden Weltfriedens und des geeigneten Weges dorthin kombiniert also Elemente miteinander, die zu zwei verschiedenen Arten von Entwürfen und Theorien gehören.
Diese Kombination, die ich zunächst darstellen werde, ist deswegen attraktiv, weil sie bezüglich des Weltfriedens und der globalen Gerechtigkeit ein Modell anbietet, das dem modernen Modell des gerechten und stabilen innerstaatlichen Friedens und des Weges dorthin ähnelt. Außerdem bietet diese Kombination einige Vorteile im Vergleich mit dem kantischen Modell des ewigen Friedens sowie mit den traditionellen Lehren des gerechten Krieges.
Im Folgenden werde ich zu zeigen versuchen, dass diese Kombination den erwünschten gerechten und ewigen Frieden dennoch nicht erzielen kann. Außerdem verleitet eine solche Erwartung dazu, Kants Friedensschrift mit einer Utopie zu verwechseln. Nicht zuletzt würden auch Utopien nicht dem Modell eines auf Gerechtigkeit gebauten ewigen Friedens entsprechen; vielmehr stellen Utopien eine grundverschiedene Art von Frieden dar.