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Ökumenische Stationen auf dem Weg zum gerechten Frieden9
ОглавлениеAngesichts der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges negierte der Ökumenische Rat der Kirchen bei seiner Gründung 1948 Krieg als Mittel der Politik: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, er sei „Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des Menschen“10. 35 Jahre später, auf der Vollversammlung des ÖRK in Vancouver 1983, zu einer Zeit hitziger Debatten um den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung nuklearer Marschflugkörper in Westeuropa, schlug die Delegation der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein gesamtchristliches Friedenskonzil vor, so wie es Dietrich Bonhoeffer 1934 im dänischen Fanø bei der Tagung des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum gefordert hatte. Da die Einberufung eines ökumenischen Konzils nicht absehbar war, einigte man sich auf einen „konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“.11 Die Ökumenische Weltkonvokation 1990 in Seoul machte dann unter „III. Bundesschluss“, Punkt 5 deutlich, dass Frieden als ein umfassender Prozess der Überwindung von Gewalt in sozialer, ökonomischer und ökologischer Dimension verstanden werden muss.12
In den Jahren 1988 und 1989 versammelten sich Christinnen und Christen aus der DDR zu ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Dresden und Magdeburg. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit, zum Schalom als dem Frieden der Völker zurückzukehren:
Mit der notwendigen Überwindung der Institution des Krieges kommt auch die Lehre vom gerechten Krieg, durch welche die Kirchen den Krieg zu humanisieren hofften, an ein Ende. Daher muß schon jetzt eine Lehre vom gerechten Frieden entwickelt werden, die zugleich theologisch begründet und dialogoffen auf allgemein-menschliche Werte bezogen ist. Dies im Dialog mit Andersglaubenden und Nichtglaubenden zu erarbeiten, ist eine langfristige ökumenische Aufgabe der Kirchen.13
Leitend war die Einsicht, dass unter den Bedingungen der bipolaren Konstellation des Kalten Krieges, verbunden mit der atomaren Abschreckungspolitik, das im Rahmen der Lehre vom gerechten Krieg entwickelte ius in bello14 nicht mehr einzuhalten sei. Mit dieser Forderung nach einem Ende der Lehre vom gerechten Krieg und einem Perspektivwechsel hin zur Entwicklung einer Lehre vom gerechten Frieden hat die Ökumenische Versammlung in der DDR die weitere friedensethische Diskussion im ÖRK maßgeblich geprägt. So verabschiedete der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen 1994 in Johannesburg einen Programmvorschlag, in dem er zum ersten Mal den Begriff des gerechten Friedens15 aufnahm:
Angesichts der Notwendigkeit, ‚dem Geist, der Logik und der Praxis des Krieges‘ entgegenzutreten und sie zu überwinden und neue theologische Ansätze zu entwickeln, die den Lehren Christi entsprechen – welche nicht vom Krieg ausgehen, um zum Frieden zu gelangen, sondern bei der Notwendigkeit von Gerechtigkeit ansetzen – mag es in der Tat an der Zeit sein, dass die Kirchen gemeinsam die Herausforderung annehmen, auf jede theologische Rechtfertigung des Einsatzes militärischer Gewalt zu verzichten und eine Koinonia zu werden, die sich für einen gerechten Frieden einsetzt.16
Einen Meilenstein auf dem Weg zum gerechten Frieden bildete die 8. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Harare/Simbabwe im Jahre 1998. Dort wurde – parallel zur Dekade der Vereinten Nationen für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt – eine „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ ausgerufen.17 Damit sollte „die Friedensschaffung vom Rand in das Zentrum des Lebens und Zeugnisses der Kirche“18 gebracht werden. Der Zentralausschuss des ÖRK formulierte für die Dekade folgende Ziele: Sie sollte
– sich ganzheitlich mit dem breiten Spektrum von direkter wie auch struktureller Gewalt zu Hause, in Gemeinschaften und auf internationaler Ebene auseinandersetzen;
– Geist, Logik und Ausübung von Gewalt überwinden, auf jede theologische Rechtfertigung von Gewalt verzichten und stattdessen die Spiritualität von Versöhnung und aktiver Gewaltlosigkeit bekräftigen;
– ein Verständnis von Sicherheit entwickeln, das von Zusammenarbeit und Gemeinschaft statt von Herrschaft und Konkurrenz bestimmt ist;
– bei der Suche nach Frieden mit Gemeinschaften Andersgläubiger zusammenarbeiten, von ihnen lernen und sich mit dem Missbrauch religiöser Identität auseinandersetzen sowie
– gegen die zunehmende Militarisierung, insbesondere gegen die Verbreitung von Feuer- und Handfeuerwaffen, protestieren.
Am Ende der Dekade zur Überwindung von Gewalt fand in Kingston/Jamaika eine Friedenskonvokation statt, in deren Mittelpunkt der ökumenische Aufruf zum gerechten Frieden stand. Dieser definiert gerechten Frieden als:
(…) einen kollektiven und dynamischen, doch zugleich fest verankerten Prozess (…), der darauf ausgerichtet ist, dass Menschen frei von Angst und Not leben können, dass sie Feindschaft, Diskriminierung und Unterdrückung überwinden und die Voraussetzungen schaffen können für gerechte Beziehungen, die den Erfahrungen der am stärksten Gefährdeten Vorrang einräumen und die Integrität der Schöpfung achten.19
Der Aufruf zeigt vier große Kontexte auf, die einen gerechten Frieden ausmachen:
– Frieden in der Gemeinschaft („damit alle frei von Angst leben können“), denn viele Gemeinschaften sind gespalten (nach Klasse, Rasse, Hautfarbe, Kaste, Religion, Geschlecht);
– Frieden mit der Erde („damit das Leben erhalten wird“), nachdem Habgier, Egoismus und der Glaube an grenzenloses Wachstum Ausbeutung und Zerstörung gebracht haben und der Klimawandel als Folge menschlicher Lebensstile zu einer weltweiten Gefährdung geworden ist;
– Frieden in der Wirtschaft („damit alle in Würde leben können“) in einer Welt, die durch Armut, die Ausweitung der sozioökonomischen Kluft (in und zwischen Nationen) sowie globale Wirtschafts- und Finanzkrisen geprägt ist, sowie
– Frieden zwischen den Völkern („damit Menschenleben geschützt werden“), so sind Fremdenfeindlichkeit, Gewalt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Kriegsverbrechen und Völkermord weiterhin präsent und werden „verstärkt durch den skrupellosen Einsatz von Wissenschaft, Technik und Kapital“.Mit dieser Dimensionierung folgt der ökumenische Aufruf einem weiten Friedensverständnis. Dabei ist die thematische Anlehnung des Aufrufs an den konziliaren Prozess „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ ebenso unübersehbar wie die Erweiterung der Trias durch den Aspekt der ökonomischen Gerechtigkeit, der seit 2003 über den Prozess der Alternativen Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde (Alternative Globalization Addressing People and Earth, AGAPE) immer drängender geworden war.
Auch die 10. Vollversammlung des ÖRK 2013 in Busan/Südkorea setzte den konziliaren Prozess in Anschluss an das Leitbild des gerechten Friedens konsequent fort und konstatiert: „Der Weg des gerechten Friedens ist ein grundlegender Bezugsrahmen für kohärente ökumenische Reflexion, Spiritualität, Engagement und die aktive Friedensarbeit.“20 Am Ende der Vollversammlung beschlossen die Kirchen einen ökumenischen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“:
Wir wollen den Weg gemeinsam fortsetzen. Herausgefordert durch unsere Erfahrungen in Busan rufen wir alle Menschen guten Willens dazu auf, ihre von Gott gegebenen Gaben für Handlungen einzusetzen, die verwandeln. Diese Vollversammlung ruft euch auf, euch unserem Pilgerweg anzuschließen. Mögen die Kirchen Gemeinschaften der Heilung und des Mitgefühls sein, und mögen wir die gute Nachricht aussäen, damit Gerechtigkeit gedeihen kann und Gottes tiefer Frieden auf der Welt bleibe.21
Damit konnten bestehende Kontroversen zwischen den Kirchen im ÖRK umgangen werden. Statt „konfrontativer Auseinandersetzungen über das notwendige Gleichgewicht zwischen vertikalen und horizontalen, theologischen und gesellschaftspolitischen Anliegen“ werde mit dem Pilgerweg ein neuer Weg des ökumenischen Zusammenseins beschritten, „ein Wechsel vom Statischen hin zum Dynamischen, von einer auf soliden theologischen Vereinbarungen gegründeten Status-quo-Stabilität hin zu einer gemeinsamen, nach vorne gerichteten Bewegung“.22 Das ermögliche – so Ioan Sauca23 – nicht mehr so lange warten zu müssen, bis eine Übereinstimmung erreicht sei, „vielmehr werden wir unsere Einheit entdecken, indem wir gemeinsam Seite an Seite gehen“.24 Zugleich hebe die Metapher des Pilgerweges die spirituelle Bedeutung und tiefgreifenden theologischen Implikationen des gemeinsamen ökumenischen Weges hervor25 und beuge einer Reduktion des gerechten Friedens auf ein gesellschaftspolitisches Ziel vor.26
Der gerechte Frieden – das haben die Ausführungen zur Entwicklung dieses Konzeptes auf ökumenischer Ebene deutlich machen können – hat sich als Neuansatz in der christlichen Friedensethik etablieren können. Unbeantwortet geblieben ist bislang aber noch der Umgang mit dem ethischen Dilemma militärischer Gewaltanwendung.