Читать книгу Der Engel mit der Peitsche - Contessa Juliette - Страница 12

5. CoraX

Оглавление

Zehn Tage später kam ich wieder nach München und fand die Wohnung perfekt aufgeräumt vor. Am Spätnachmittag kam Björn von der Arbeit und verschleppte mich sofort in die Stadt. Ich sollte ein paar Leute kennen lernen, die er getroffen hatte, und mit denen er mich nun unbedingt bekannt machen wollte.

Kaum setzen in München ein paar Sonnenstrahlen am Straßenpflaster auf, stellen die Kellner der Cafés Tische und Stühle vors Lokal, und die Verdecke der Cabriolets surren nach hinten. Ich genoss den lauen Spätnachmittag und den Weg zum Lenbachplatz, wo wir an einem der Tische des Mövenpick bereits zwei Frauen winken sahen. „Juliette, ich möchte dich mit Verena und Cora bekannt machen“, stellte Björn uns einander vor. Verena war eine schlanke, großgewachsene Mittdreißigerin mit langem, schwarzem Haar und toller Figur, die durch einen schwarzen Lederrock, hohe Stiefel und einen schwarzen, engen Rollkragenpulli unter einer todschicken Lederjacke noch betont wurde. Ihre Freundin war das blonde Pendant: mittelgroß, platinblondes, schulterlanges Haar, blitzblaue Augen, schlank mit auffallend großem Busen. CoraX, wie ich sie von Beginn an nannte, musste ebenfalls um die Mitte Dreißig sein. Ein leuchtend blaues Stretchkleid betonte ihre Figur, sie trug hochhackige Stiefel bis zum Knie und einen Webpelzmantel. Beide Damen sahen umwerfend aus.

In einem eleganten beigen Hosenanzug, der mich als Geschäftsfrau auswies, passte ich so gar nicht zu diesen sexy Frauen. Aus ihrer Kleidung und ihrem Auftreten schloss ich sofort, dass sie dominant veranlagt waren. Ich fragte gar nicht lange, woher Björn sie kannte, wir unterhielten uns gleich blendend. Schon bald kam das Gespräch auf S/M und CoraX erzählte von einem Domina-Studio, in dem es manchmal Vorführungen gab. „Ich helfe dort gelegentlich aus“, sagte sie offen. „Übermorgen ist wieder so ein Abend. Willst du kommen, Juliette?“ Es gäbe einen fixen Preis pro Person, und die Studio-Dominas würden vor den Gästen ihre Sklaven erziehen. Ich war begeistert. Bis dahin hatte ich meine Vorlieben im privaten Schlafzimmer ausgelebt und mir keine weiteren Gedanken gemacht, wo der Horizont für dominante Spiele lag. Nun wollte ich es wissen. „Da möchte ich unbedingt hin!“ rief ich also und drehte mich zu Björn: „Willst du auch?“ – „Sehr gern!“, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Zu dieser Veranstaltung wollte ich passend gekleidet erscheinen. Ich fragte also Verena und CoraX, wo ich hier etwas Schönes bekäme. „Wir zeigen dir in Schwabing ein paar tolle Läden“, erklärten die zwei und wir brachen auf. Unser erstes Ziel war ein Schuhgeschäft in der Hohenstaufenstraße, in dem ich schwarze, spitze Lederpumps mit Plateausohle und extrem hohen Absätzen erstand. Dann entdeckte ich ein Paar schwarze Lederschnürstiefel. Ich forderte Björn auf, niederzuknien, mir die Stiefel anzuziehen und zu schnüren. Er sträubte sich zuerst. CoraX meinte: „Sonst bist du nicht so schüchtern.“ Noch bevor ich nachhaken konnte, kniete er sich eilig hin und nestelte an meinen Stiefeln. Ich war entzückt und vergaß völlig auf meine Frage, worauf CoraX denn da anspielte.

Als nächstes schleppten uns die beiden Mädels zu einem Trachtenmodengeschäft in der Nähe.

„Hier?“ fragte ich ungläubig. „Das ist der tollste Lederschneider von München“, erklärte Verena, „Er näht für die Schickeria und die gesamte S/M-Szene.“ Und schon kam der Besitzer angeschwänzelt und begrüßte CoraX.

„Darf ich dich mit Juliette aus Wien bekannt machen?“, begann sie. „Sie braucht für übermorgen etwas Schickes in schwarzem Leder.“

„Unmöglich“, erklärte der Herr bedauernd, „Wir haben nichts fertig, und die Anfertigung dauert zwei bis drei Wochen.“ „Egal, dann bestelle ich etwas“, meinte ich und wählte einen Minirock, dessen Vorder- und Rückenteil mit durchgehenden Reißverschlüssen verbunden sein sollte, das Leder gesmokt, als ob es aus Stoff wäre. So etwas herzustellen bedeutet echtes Kunsthandwerk. Ein Lederslip mit durchgehendem Reißverschluss und breiter Gummipasse sollte das Ensemble ergänzen. Ich war ganz aufgeregt, solch schöne Stücke hatte ich bisher noch nirgendwo gesehen. Es sollte eine Anprobe geben und beim übernächsten Besuch die Abholung.

Aber für den Besuch der Vorführung hatte ich außer meinen neuen Schuhen nichts. Also gingen wir weiter. Im Fachgeschäft Domination wurde ich schließlich fündig. Ich kaufte ein eng anliegendes Lackkleid, das an beiden Seiten nur von Schnallen zusammengehalten wurde, sodass man viel Haut sah. Halterlose Netzstrümpfe dazu, Höschen weg – und schon wurde aus der seriösen Geschäftsfrau eine aufregende, verruchte Erscheinung.

Am Abend der Vorführung legte ich starkes Make-up auf und zog einen Nerzmantel über mein Outfit. Prüfend betrachtete ich mich im Vorzimmerspiegel. Ja, so konnte mein erster Auftritt in der S/M-Szene über die Bühne gehen! Björn trug eine schwarze Lederhose und ein schwarzes Netz-T-Shirt, dazu hatten wir noch ein Halsband mit Öse besorgt. Dieses Accessoire, an das man eine Hundeleine hängen kann, wenn man will, weist den Devoten, den Sklaven aus. Eine Domina dagegen trägt ein stets ein schlichtes oder höchstens mit Stacheln besetztes Halsband. Solche Codes ziehen sich durch die gesamte SM-Szene, die Outfits sind ein klares Erkennungsmerkmal. Wer sich auskennt, sieht am Kostüm, ob es sich um einen Dom, also einen dominanten, oder um einen Sub, einen submissiven, unterwürfigen Part handelt, welche Vorlieben er oder sie hat und ob er - im Falle eines Sklaven etwa – bereits jemandem „gehört“. Auch ist erkennbar, worauf die betreffende Person Wert legt und was ihre Lieblingsmaterialien und -behandlungen sind. All das sollte ich in den kommenden Monaten und Jahren „am lebenden Objekt“ studieren.

Wir fuhren ins Sperrgebiet, in dem das Studio Bizarradies lag. Es war das größte, eleganteste und schönste Studio zu dieser Zeit und berühmt für seine exklusiven Vorführungen. Die Hausherrin, Lady Claudette, stand am Eingang und begrüßte jeden Gast persönlich. Verena war bereits da, ihren Freund an ihrer Seite, und auch CoraX ging bereits herum und begrüßte Studiogäste und Freunde. Verena musterte Björn und fragte dann amüsiert: „Heute nicht im Babydoll?“ Björn wurde knallrot und gab mit zusammengepressten Lippen wilde Signale mit seinen Augenbrauen. Ich machte mir eine Gedankennotiz – „Herausfinden, was Björn in deiner Abwesenheit so treibt“ – , tat nach außen hin jedoch völlig gelassen und meinte nur: „Oh, bist du auch gern mal Transvestit? Das liebe ich!“ Damit nahm ich der Situation die Peinlichkeit. Björn wirkte sehr erleichtert, aber bevor wir weiter reden konnten, wurden die Gäste bereits weitergebeten.

Wir betraten einen unregelmäßig geschnittenen Raum. Die Wände waren dunkelgrau, den Boden bedeckte ein schwarz-weißer Fliesenboden. Ein roter Gynäkologenstuhl stand an einer Seite, von der Decke hingen Spreizstangen an Ketten – was aber unsere Aufmerksamkeit fesselte, war ein hoher, kaum schulterbreiter Käfig. Die Seiten waren geschlossen, nur vorne sahen wir eng aneinandergesetzte Gitterstäbe und dahinter, mit verbundenen Augen, einen nackten Mann. Er war um die fünfzig Jahre alt und hatte einen untersetzten Körper mit einem kleinen Bäuchlein. Rundliches Gesicht, Bürstenfrisur, den Intimbereich glatt rasiert, was damals fast nur S/M-praktizierende Männer und Pornodarsteller hatten. Inzwischen rasieren sich glücklicherweise schon Hinz und Kunz die Eier.

Wir alle waren schweigend in den Raum gekommen, man hatte höchstens das Klacken der Absätze von Damenschuhen auf den Fliesen gehört. Der Mann im Käfig schien uns nicht wahrzunehmen, er wirkte vollkommen versunken. Er stand – wie wir von flüsternd weitergetragenen Sätzen erfuhren – schon länger als eine Stunde im Käfig.

CoraX, an diesem Abend in einem enganliegenden schwarzen Latexkleid und schwarzen, hohen Lackschuhen, zündete dicke, weiße Kerzen an, die das Bild in sanftes Licht tauchten. Dann ging sie zum Käfig, öffnete die Tür, hängte eine Kette an das Halsband des Mannes und half ihm, aus dem Käfig zu steigen. Er schwankte, und CoraX legte ihre Hand auf seinen Rücken, um ihm Sicherheit zu geben. Sie führte ihn in die Mitte des Raumes, wo eine Streckbank stand. „Leg dich hin“, befahl sie. Unsicher tastete der Sklave, die Augenbinde noch um den Kopf, nach der Kante, stieg hinauf und legte sich folgsam hin. CoraX fixierte seine Arme über dem Kopf, band ihm mit wenigen, geübten Handgriffen die Hoden ab und ließ Spreizstangen an einem Flaschenzug herab. Björn und ich sahen uns fragend an. Was jetzt wohl kam? CoraX, die Herrin, befestigte die Fußfesseln des Sklaven an den Karabinern der Spreizstange und zog die Beine hoch. Höher und höher wurden die Beine gezogen, bis auch der Unterkörper in der Luft hing und die glatt rasierten, hervorquellenden Hoden gut sichtbar waren. CoraX umkreiste die Streckbank, berührte oder zwickte den ihr Ausgelieferten und holte dann aus einer Ecke ein Paddle, ein flaches Schlaginstrument aus festem Leder. Dieses Paddle ließ sie nun immer wieder auf seinen Hintern sausen. Der Mann konnte sich weder wehren noch ausweichen. Seine Herrin schlug mal auf die eine, dann wieder auf die andere Pobacke, bis beide rot leuchteten. Zwischendurch steckte sie dem Sklaven den Finger in den Mund, an dem er gierig sog.

Als nächstes kamen Klammern aus dem Baumarkt ins Spiel. CoraX setzte einige an seine Brustwarzen, dann holte sie Wäscheklammern hervor, die sie an seinen Brustkorb, die Hoden, die Leistengegend setzte. Schließlich ließ sie sich eine Reitgerte reichen und schlug jede einzelne Klammer mit einem satten Schnalzen von seinem Körper. Sie flogen Stück für Stück in hohem Bogen durch den Raum und landeten zerbrochen auf dem Fliesenboden.

In den Kerzen hatte sich inzwischen viel flüssiges Wachs angesammelt. CoraX nahm eine davon vorsichtig in die Hand, stellte sich neben den Sklaven, hob den Arm und – schüttete in einem Schwung das heiße Wachs auf seinen Schamhügel. Der Mann schrie gellend auf, etwas von dem Wachs war auch auf seinen steifen Penis getropft. CoraX streichelte seinen Brustkorb, ging aber ungerührt die nächste Kerze holen. Das Stöhnen des Mannes wurde leiser. Beim nächsten Guss warnte ihn CoraX vor: „Jetzt koche ich deine Eier hart!“ Ich bohrte meine Fingernägel in Björns Arm, während sie das ganze Wachs auf seine prallen, abgebundenen Hoden goss. Wieder schrie der Mann, hörte jedoch nicht mehr auf. Mir wurde schlecht. „Um Gottes willen, die verursacht da gerade Verbrennungen dritten Grades“, flüsterte ich den Umstehenden zu. „Der mag das“, sagte mir eine stattliche Blondine mit Dirndlbusen, die links von mir stand. Sie und ihr Mann, so erfuhr ich später, kamen oft hierher, entweder zu Vorführungen oder Partys. Der Vorführsklave war ein Stammgast und seine Vorliebe für Schmerzen bekannt. Ich starrte ungläubig auf das zappelnde Etwas, das schrie und schrie, während CoraX die nächste Kerze holte. Das soll man mögen? Björn, dessen Arm weh tat, weil sich meine Nägel darin vergraben hatten, flüsterte mir zu: „Der ist ein Schmerzerotiker.“ – „Woher weißt du das, kennst du ihn?“, schnappte ich. „Nein, nein, aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die starke Schmerzen brauchen, um Lust zu empfinden“, tuschelte er mir zu. Mir war das zu heftig. CoraX lieferte eine bühnenreife Show, aber ich konnte das nicht länger mit ansehen, schlich mich in den Nebenraum und bestellte beim Barmann ein Glas Wein.

Wenn jemand so vor Schmerzen schreit, empfindet er also Lust? Der würde doch am nächsten Tag nicht sitzen können, die Haut voller Brandblasen. Drinnen ging die Behandlung weiter, immer wieder hörte ich Stöhnen, das Geräusch der Reitgerte – offenbar wurde das Wachs, das den Schwanz und die Eier des Sklaven wie Zuckerguss überzogen hatte, stückchenweise wieder abgeschlagen. Nein danke, ohne mich. Ich blieb an der Bar, bis die anderen kamen, und entfachte eine Diskussion.“Ich kann das einfach nicht verstehen“, beharrte ich auf meinem Standpunkt.“ Schließlich kam CoraX mit dem Vorführsklaven im Schlepptau dazu. „Ist der Mann nicht verletzt, braucht er keinen Arzt?“, fuhr ich sie an. Sie sah mich verständnisvoll an. „Ich gieße das Wachs von hoch oben und verwende nur Kerzen aus reinem Paraffin“, erklärte sie, „Das ist zwar heiß, verursacht aber üblicherweise keine Verbrennungen. Bienenwachs dagegen wäre sehr gefährlich, das hat einen höheren Schmelzpunkt.“

Der Sklave stand daneben, einen glücklichen Ausdruck im runden Gesicht. Vergessen schienen der Schmerz und das Geschrei. „Ich danke Ihnen noch einmal ausdrücklich, Madame Cora“, sagte er, und zum ersten Mal hörte ich seine Stimme – er sprach in leicht bayrischem Dialekt. Ein ganz normaler, unauffälliger Typ, wie man ihn in irgendeinem Biergarten treffen kann.

Der Sklave begrüßte die Runde. Ich nutzte die Gelegenheit, um ihn auszufragen, denn jetzt war ich neugierig geworden. Wieso er bei den ihm zugefügten Schmerzen doch noch in der Lage sei, Lust zu empfinden, wollte ich wissen. „Das war nicht von Anfang an so“ erzählte er, und alle hörten aufmerksam zu. „Obwohl ich schon früh den Wunsch hatte „hart“ angefasst zu werden. Schläge haben mich nie gestört, das Gefühl, dass das Brennen der Haut verursachte, erregte mich eher. Im Laufe der Jahre konnte ich mehr und mehr aushalten.“ In seine Augen trat ein seltsamer Glanz. „Es ist wie ein Rausch, der sich meiner bemächtigt. Der Schmerz verursacht mir Lust. Ich denke, das hat mit der Ausschüttung von Endorphinen zu tun – um es medizinisch auszudrücken.“

Später sollte ich selbst Gäste behandeln, die ausschließlich auf Schmerz und nicht auf Demütigung Wert legten. Eine Extremsklavin, Saskia, sollte mir Fotos zeigen, die zeigten, wie ihre Brustwarzen mit Nägeln an ein Brett geschlagen wurden. „Schön, nicht?“, würde sie sagen, und ich würde mir zwar meinen Teil denken, aber kein Entsetzen mehr spüren. Damals jedoch, an meinem ersten Abend in einem Dominastudio, war ich doch etwas mitgenommen. Obwohl – wollen wir doch mal ausprobieren, was Björn so drauf hat! Genussvoll zog ich an seinen Brustwarzen und nahm zwei Klammern, die in einer Schale bereit lagen. „Sehen wir doch mal, was du so aushältst“, sagte ich und ließ die Klammern an seiner Brust festschnappen. Er stand ganz still, Hände auf dem Rücken. Nur ein Zucken am Mundwinkel verriet, dass es ihm ziemlich wehtun musste. Doch das vor allen zeigen – das wollte er wohl nicht. Ich spielte ein bisschen mit den Klammern. „Sollen wir uns ein paar für zu Hause mitnehmen?“, fragte ich, doch da wurde unser Spiel unterbrochen. Lady Claudette, die Hausherrin, wollte eine Klinikbehandlung zeigen.

Sie war eine elegante Erscheinung: Anfang dreißig, dunkelbraune Haare, nicht groß, jedoch mit einer ruhigen, kraftvollen Ausstrahlung. Sie sprach meist mit leiser Stimme, aber deutlich, ohne Dialekt, so dass ihre Befehle klar verständlich waren. Ihr Körper war schlank, das enge Kleid betonte ihren Busen, ihre makellose Haut schimmerte im Licht. Ihr großes Extra waren ihre Augen: undefinierbar in der Farbe, besaß ihr Blick etwas Unergründliches, Strenges, sie konnte liebevoll und unerbittlich zugleich wirken. Trotz ihrer Jugend unterhielt sie das erste Studio am Platz, mit toller Ausstattung, eigenem Klinikbereich, mehreren Mitarbeiterinnen und war bereits weit über München hinaus bekannt. Rund um die Uhr kümmerte sie sich um das Geschäft und pflegte mit den Gästen einen sehr niveauvollen Umgang. Etwas ganz Besonderes war der Umstand, dass viele Paare zu den Besuchern und Show-Gästen zählten. Dieser natürliche Umgang mit S/M hinterließ bei mir einen bleibenden Eindruck: Als ich später in Wien meine Tätigkeit als Domina aufnahm, hatte ich das Niveau und die Klientel des Bizarradies vor Augen. Genauso wollte ich es haben.

Für ihren Auftritt an diesem Abend hatte Claudette sich umgezogen und trug ein stilisiertes Ärztinnenkostüm: weißes, kurzes Latexkleid mit roten Seitenstreifen, weiße halterlose Strümpfe, hochhackige, weiße Lackschuhe mit Plateausohle. Ihr Patient lag schon im Gynostuhl, als sie den Klinikraum trat. Er war glattrasiert, man sah einen leichten Bauchansatz und brünettes, sich lichtendes Haar. Seine Augen waren nicht verbunden und er begrüßte Lady Claudette höflich, als sie eintrat. „Guten Abend, Frau Doktor. Danke, dass Sie mich heute behandeln.“ Ich bewunderte den Mut dieses Mannes, sich vor fremden Menschen derart zu entblößen. Verena musste meine Gedanken gelesen haben, denn sie beugte sich herüber und flüsterte mir ins Ohr: „Was hier passiert, dringt nicht nach draußen. Das ist ein eingeschworener Kreis.“ Lady Claudette zog sich Latexhandschuhe an, während eine großgewachsene, schlanke Dame an ihre Seite trat. Auch sie im weißen Ärztekittel, mit roten Lackschuhen und brünetten, glatten Haaren, die ihr bis zur Taille fielen. Sie war mindestens eins achtzig groß. Neben ihr merkte man deutlich, wie zierlich Lady Claudette eigentlich war. Die zweite Dame war Herrin Salina, wie mir jemand ins Ohr tuschelte. Eine junge Domina, unter dreißig, aber sehr versiert. So sehr, dass sie später meine Karriere entscheidend beeinflusste.

Die beiden „Ärztinnen“ behandelten ihren „Patienten“ mit Injektionsnadeln, die sie ihm in die Brustwarzen stachen. Ein paar Klammern folgten, begleitet von „Schön brav sein“ und „Brav ist er.“ Schließlich setzten die beiden ihm mit geübten Handgriffen und unter peinlich genauer Hygiene sogar einen Katheter. Bis auf den hoch aufgerichteten Schwanz des „Patienten“ hätte die Situation durchaus in einem Krankenhaus stattfinden können. Das Demütigende für den Mann war seine völlige Hilflosigkeit. Er war den beiden Damen ausgeliefert, konnte nicht einmal seinen Harn selbst kontrollieren. Die Herrin bestimmte über seinen Körper, ob er Schmerz oder Lust spürte. Später sollte ich aus eigener Erfahrung lernen, dass diese Momente eine enge Bindung zwischen Herrin und Sklaven knüpfen. Ich sah fasziniert zu. Die vielen Krankenschwesternwitze, die Cartoons mit Bildern von vollbusigen, sexy Ärztinnen, die dem Patienten Befehle erteilen, ihm Schmerzen zufügen, er sie jedoch immer noch dankbar, sehnsüchtig und geil anschmachtet – an diesem Abend im Münchner Sperrgebiet fügte sich ein wichtiger Puzzlestein in mein Bild davon, wie Männer funktionieren, die sich im Liebesspiel gerne unterordnen – und nicht zuletzt davon, wie S/M funktioniert und welch komplexe Prozesse da zwischen Dom und Sub ablaufen.

Später, als ich selbst Sklaven hatte und Vorführungen machte, verstand ich auch erst, dass der Sklave wohl seine Geilheit genießt, es aber auch darum geht, Außenstehenden zu beweisen, wie gehorsam er ist und was er alles für seine Herrin auszuhalten bereit ist.

Nach der zweiten Vorführung unterhielt ich mich mit den anderen Gästen. Fast alle schwärmten von der S/M-Szene in Wien: „Bei euch ist viel mehr los als in München!“, hieß es allgemein. Mir war diese Welt fremd. Ich hatte ein paar Mal von bizarren privaten Burgpartys gehört, mich aber nicht weiter dafür interessiert. Doch nach Lady Claudettes Show und meiner Unterhaltung mit CoraX‘s Sklaven war meine Neugier geweckt: Hier wartete eine ganze Welt darauf, entdeckt zu werden. Eine Welt, die neben der für uns sichtbaren existierte und aus Peitschenhieben, Schmerzensschreien und geheimen Sehnsüchten gesponnen war. Die geheimen Codes, die breite Palette an Spielarten, die hohe psychologische Kompetenz der führenden Dominas, ihre Ausstrahlung und nicht zuletzt die offensichtlich große Zahl an Männern, die davon träumten, beherrscht, gebraucht und benutzt zu werden – all das faszinierte mich. Ich nahm mir vor, die Wiener S/M-Szene so schnell wie möglich zu erkunden und sammelte Tipps und Kontakte. Mit Herrin Salina unterhielt ich mich besonders angeregt. „Ich möchte lernen, wie Sie das machen“, sagte ich, und Salina versprach, mir alles beizubringen, was eine Domina wissen und können muss.

Auch CoraX wurde zur großen Hilfe: Sie brachte mir nahe, was in der Szene ablief und wer mit wem verbandelt war. Sie war es auch, die mir meine ersten Latex-Outfits gab und die aufwändige Pflege dieser Stücke erklärte. Und sie wurde zu einer wirklich guten Freundin, mit der ich später sogar in Urlaub fuhr. Mit jedem Besuch in München wurde ich neugieriger und experimentierfreudiger, bis ich irgendwann nicht mehr nur meinen Partner unterwerfen wollte. Jetzt konnte ich mir auch vorstellen, völlig Fremde zu beherrschen. Bis dahin sollte es jedoch noch ein bisschen dauern.


Der Engel mit der Peitsche

Подняться наверх