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6. Contessa Juliette

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Ich hatte in München ein paar Kontakte geknüpft, die mir den Weg in die Wiener Szene öffnen sollten. Als ich von einem S/M-Treffen hörte, das vielversprechend klang, wusste ich sofort, mit wem ich dort hingehen wollte: Cathrin. Nach unserem Treffen mit Le Loup und unserem sexuellen Abenteuer zu dritt hatten wir Kontakt gehalten und uns immer wieder getroffen. Als ich ihr von der Einladung erzählte, war sie gleich begeistert: „Endlich mal was Neues!“ rief sie ins Telefon, „Ups, ich habe gar keine S/M-Klamotten. Na, stoppel ich mir halt etwas zusammen!“ Und ging an die Planung ihres Outfits.

Es sollte unser erstes Erscheinen in der Wiener S/M-Szene werden. Ich wählte für den großen Auftritt meinen schicken, kurzen Rock aus gesmoktem Leder, der inzwischen fertig geworden war, dazu die kniehohen, geschnürten, schwarzen Stiefel und ein ledernes Oberteil. Zu dieser Zeit trug ich mein Haar schulterlang mit Pony. Wenn ich die Augen dunkel schminkte und tiefroten Lippenstift auftrug, sah ich fast wie eine ägyptische Königin aus.

Cathrin war zu mir gekommen und probierte ein paar Teile aus ihrem Fundus an. Schließlich wählte sie einen wadenlangen, engen schwarzen Stoffrock mit hohem Schlitz vorne, dazu ein Korsett aus schwarzer Spitze, helle Strümpfe an Strapsen und Plateauschuhe mit hohem Absatz. Ihre blonden Haare trug sie offen, legte wenig Make-up auf, nur ihren Mund betonte sie wie immer mit einem knallroten Lippenstift. Wir waren voller Vorfreude und ein klein wenig aufgeregt.

Während wir uns herrichteten, tranken wir – auch, um uns ein bisschen Mut zu machen – ein Gläschen Sekt. Schließlich sollten wir uns zum ersten Mal öffentlich in S/M-Bekleidung zeigen. „Wie sollen wir uns nennen?“, fragte Cathrin plötzlich. „Ich würde einfach nur unsere Vornamen verwenden“, schlug ich vor, „aber wir brauchen noch ein Präfix, irgend etwas Elegantes.“ Cathrin, die Frankophile, setzte spontan ein „Madame“ vor ihren Namen. „Madame Cathrin, klingt doch gut, oder?“ Ich nickte, trat vor den Spiegel, begutachtete meine Erscheinung und überlegte. Und da fiel mir der einzige Titel ein, der für mich passte. Eine Geschichte aus meiner Familie entfaltete sich vor meinem geistigen Auge und entführte mich aus meinem Vorzimmer zurück ins Wien der 1920er Jahre.

Es war eine zerrissene Zeit – die einen trauerten der Monarchie nach und hielten die alten Regeln der Gesellschaft hoch. Die anderen forderten „Krieg den Palästen“, und am Horizont braute sich die dunkelste Wolke der Geschichte über Europa zusammen.

Meine Großmutter gehörte zu den schönsten Mädchen von Bratislava, der Hauptstadt der heutigen Slowakei, in der man als Erbe der Ungarisch-Österreichischen Monarchie noch immer ungarisch, deutsch und slowakisch sprach. Diese liebliche Rosa mit den pechschwarzen Haaren hatte den jungen Grafen J. in ihren Bann gezogen. Der Erbe eines Firmenimperiums und eines klangvollen Titels, der auch zwanzig Jahre nach dem Ende der Monarchie selbstverständlich Verwendung fand, liebte dieses schöne, elegante, bürgerliche Mädchen. Heiraten durfte er sie jedoch nicht. Es war eine jener großen Liebesgeschichten mit tragischem Ausgang, wie man sie heute kaum noch findet, weil die Klassenschranken, die das große Glück meiner Großmutter und des Grafen verhinderten, heute nicht mehr existieren. Auch sind heute die Familiengesetze nicht mehr so streng. Heute darf sogar ein Habsburger eine Industriebaroness heiraten. Damals jedoch waren die gesellschaftlichen Grenzen mit Stacheldraht gesichert, und gegen seine Eltern lehnte man sich sowieso nicht auf. J. musste auf Geheiß seiner Familie eine passende Partie finden – und das bedeutete in erster Linie ein „von“ vor dem Nachnamen.

Der junge Graf heiratete also eine Adelige, sagte ihr gleich zu Beginn seiner Ehe klipp und klar, dass er sie nicht liebe, immerhin aber achten werde, und trauerte meiner Großmutter nach. J.s Gattin, eine wahrhaft tapfere Frau, erzählte erst am Totenbett ihren inzwischen erwachsenen Kindern, dass ihr Vater eine andere Frau geliebt – und mit ihr eine Tochter hatte. Erst da wurde den jungen Leuten klar, dass die wunderschöne junge Frau, die sie manchmal zu Hause gesehen hatten, ihre Halbschwester war – meine Mutter.

Und so beschloss ich an diesem Abend, vor meinem ersten Auftritt in der S/M-Szene, mich „Gräfin Juliette“ zu nennen – als Erinnerung an meine starke Großmutter, die trotz der Demütigung, die ihr zugefügt worden war, mit Stolz und Eleganz das Leben gemeistert hatte. Als Würdigung des Status, den man ihr verwehrt hatte, wollte ich den Titel tragen und als Erinnerung für mich selbst, wer meine Vorfahren waren. Und weil es, seien wir ehrlich, schlicht und einfach super klang. Gräfin Juliette. Ich drehte mich zu Cathrin.

„Was meinst du, soll ich Gräfin Juliette oder Contessa Juliette sagen?“ Sie nickte begeistert. „Beides klingt gut, kannst die beiden Wörter ja abwechselnd verwenden.“ Und genau das tat ich dann auch.


Der Engel mit der Peitsche

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