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2. Die Geliebte des O.

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Le Loup hatte in diesen Tagen eine Affäre mit einer verheirateten Frau – einer sehr großen, sehr gut aussehenden Dame, um einiges älter als er, äußerst intelligent und gebildet. Deren Ehemann wiederum war deutlich älter als sie, sehr bekannt, sehr seriös und sehr reich. Ich begegnete ihr ein paar Mal, sie blieb jedoch auf Abstand. Ich glaube, sie war etwas eifersüchtig auf mich. Dazu gab es aber keinen Grund, denn zum einen studierte ich ja immer noch in Paris, war also selten in Wien. Zum anderen traf ich Le Loup nach meiner aufregenden Bestrafung nur noch, um in Künstlerkreisen zu diskutieren.

Mein Studium hatte mir das nötige Rüstzeug für derlei Gespräche verliehen, und in meiner Familie hatte man immer schon die Kunst geliebt. Mein Stiefvater besaß eine große Sammlung von Zeichnungen lebender deutscher und österreichischer Künstler. Ich genoss Le Loups Bekanntschaft also schon aus rein künstlerischen Gründen. Mehr ergab sich nicht mehr zwischen uns, und das war mir ganz recht.

„Willst du mich zu einem Kollegen von mir begleiten?“, fragte er mich eines Tages. Der Zeichner und Graphiker O. war damals schon sehr bekannt und hatte den Ruf eines jungen Wilden und Frauenverführers. Den wollte ich mir gerne aus der Nähe ansehen! Und vielleicht eines seiner Werke erstehen, wer weiß? Wir fuhren also mit meinem Auto in einen Wiener Außenbezirk, wo wir vor einem Haus aus der Jahrhundertwende hielten, einem typischen Vorstadt-Mietshaus ohne Aufzug, in dem sich auf jedem Stockwerk viele Wohnungen drängten, zu denen man nur zu Fuß gelangte. Ausgetretene Stufen führten uns in den dritten Stock. Eine bildhübsche Frau öffnete, eine richtige Naturblondine mit langem Haar. „Bitte, kommt doch herein“, sagte sie in jenem leicht nasalen Ton, den manche Wiener bemühen, um vornehm zu wirken. Sie hieß Cathrin, wie wir erfuhren, war groß, mindestens eins fünfundsiebzig, und besaß einen schlanken, sehr wohlgeformten Körper, der in ihrem lässigen Strickkleid wunderbar zur Geltung kam.

„Wir freuen uns sehr über euren Besuch“, strahlte Cathrin. Sie war eine sympathische Erscheinung, offen und freundlich. Die Wohnung, durch die sie uns führte, war voll mit Bildern: An den Wänden hingen eigene Werke O.s, Zeichnungen und Gemälde anderer Künstler, an sämtlichen Wänden lehnten leere Rahmen. Als wir ins Wohnzimmer traten, stand ein dunkelhaariger, etwas untersetzter Mann auf. „Grüß Gott, Grüß Gott, willkommen, nur hereinspaziert!“, bat er uns mit tiefer, lauter Stimme herein. Sein festes Haar stand ihm wirr vom Kopf und umrahmte ein kantiges, unrasiertes Gesicht mit buschigen Brauen über lebhaften grau-grünen Augen. Er hatte einen festen Händedruck. Seine Hände hätten auch einem Arbeiter gehören können, der fest zuzupacken weiß. Wenn ich nur die Hände gesehen hätte und nichts gewusst hätte, außer dass er ist Künstler ist– ich hätte auf Bildhauer getippt.

O. aber war für feine, dynamische Tuschzeichnungen bekannt. Obwohl er kein Riese war, kam ich mir mit meinen eins fünfundsechzig neben ihm klein vor. Le Loup begrüßte ihn mit einer Umarmung. Dann stellte er mich mit seiner leisen Stimme vor, die in starkem Gegensatz zu O.s polterndem Organ stand, und erzählte von meinem Studium in Paris, meiner großen Begeisterung für moderne Kunst und von der Sammlung meines Stiefvaters. Spätestens jetzt war O.s Interesse an mir geweckt. Er zeigte mir seine Mappen und erklärte, wo und wann die Zeichnungen entstanden waren. Rahmen um Rahmen holte er hervor und breitete seine Werke vor mir aus. „Du studierst in Paris?“, fragte Cathrin entzückt. „Ich habe früher selbst viel Zeit dort verbracht, ich arbeite als Dolmetsch und Übersetzerin für Französisch!“ Wir beschlossen an Ort und Stelle, in Kontakt zu bleiben, und die Herren grinsten amüsiert.

O. war ein „junger Wilder“, wie er im Buche steht. „Das Bürgertum ist der Tod der Kreativität und der Untergang der Kunst!“, schleuderte er mir, der behüteten Bürgerstochter, entgegen und seine Blicke bohrten sich in meine schreckgeweiteten Augen. Während des Nachmittags spürte ich immer mehr, dass O. sich mehr für mich als für meine Kaufkraft interessierte. Dieser intensive Mensch verunsicherte mich: Einerseits zog mich seine kraftvolle Art an, und ich ertappte mich dabei, wie ich überlegte, was so ein Mensch wohl mit mir im Bett anstellen würde. Andererseits war ich mit jemandem, der so anarchistische Ideen vertrat und alles, was ich als großes Privileg empfand, ablehnte, überfordert und ein bisschen verschreckt. Ich lächelte schüchtern, versprach, mir den Kauf des einen oder anderen Werks zu überlegen – und beließ es bei dem einen Treffen mit ihm. Mit Cathrin dagegen wollte ich wie versprochen in Verbindung bleiben, sie wollte mich sogar in Paris besuchen.

Doch wie so oft kam das Leben dazwischen. Ich war wieder nach Wien zurückgekehrt, arbeitete auf Wunsch meiner Mutter in unserem Unternehmen und studierte nebenbei an der hiesigen Universität weiter. Dann, plötzlich und völlig unerwartet starb meine Mutter. Wir hatten eine sehr enge Beziehung gehabt, sie war meine Vertraute und ich hatte mir ein Leben und meine Zukunft ohne sie nie vorgestellt. Ich war wie betäubt. Und dann die Firma! Keine Sekunde kam mir in den Sinn, das Geschäft nicht zu übernehmen. Schon nach wenigen Tagen übernahm ich gemeinsam mit meinem Bruder die Leitung des Unternehmens. Meine Trauer betäubte ich mit Arbeit, eine zuverlässige Droge gegen jede Art von Kummer, wie ich feststellen sollte. Nicht einmal Zeit zu weinen, gab ich mir. Den Verlust meiner Mutter verarbeitete ich erst Jahre später, und konnte mich dann endlich von ihr verabschieden.

Cathrin und ich verloren uns völlig aus den Augen. Zwar besuchte ich in Wien Vorlesungen auf der Universität, doch nur noch nebenbei, soweit es meine Arbeit im Unternehmen, das viele Auslandsreisen mit sich brachte, eben erlaubte.

Ich schloss mein Studium nie ab. Mein Bedauern darüber verarbeitete ich auf meine Art: Fortan kaufte ich selbst Kunst und besuchte mit Leidenschaft Ausstellungen. Zu Le Loup hatte sich eine schöne Freundschaft entwickelt, und er begleitete mich immer wieder zu Vernissagen. Eines Abends, Jahre nach jenem Nachmittag in O.s Wohnzimmer, kam es in einer der vielen Wiener Galerien zu einem unverhofften Wiedersehen mit Cathrin, an das vor allem Le Loup sich noch lange erinnern sollte.


Der Engel mit der Peitsche

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