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IV. Eine Frage des Stils

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Viele Menschen haben mich geprägt und beeinflusst. Doch wer den tiefsten Eindruck bei mir hinterließ, war meine Großmutter. Ich sehe sie heute noch vor mir, in ihrer weißen, gestärkten Spitzenbluse und dem schwarzen, engen Rock. Ihr taillenlanges, schwarzes Haar, das sie streng aus dem Gesicht gekämmt und zu einem Knoten gedreht trug. Ihre aufrechte Haltung, die von den trägerlosen Fischbeinkorsetts noch unterstützt wurde. Die hohen Absätze, die sie größer als ihre ein Meter sechzig erscheinen ließen und die sie am Ende des Tages mit einem Stöhnen von den Füßen schleuderte.

Großmama lebte bei uns im Haus. Mein Vater, der meine Mutter liebte und verehrte, hatte die Schwiegermutter in den Haushalt mit aufgenommen, wie es früher durchaus üblich war. Er sprach sie mit „Mutter“ und „Sie“ an, und ich glaube, er hatte einen Mordsrespekt vor ihr. Sie regierte das Hauspersonal mit eiserner Hand und überwachte unsere Erziehung. Sie war streng, dann wieder überschwänglich in ihrer Liebe zu uns. Auf mich wirkte sie wie eine Herrscherin, und ich begegnete ihr abwechselnd mit Ehrfurcht und Aufbegehren. Der Widerspruch einer Sechsjährigen war jedoch zwecklos: Ihre Hand saß sehr locker. Oft bekam ich für mein vorlautes Benehmen eine Ohrfeige verpasst, doch das vermochte mich nicht zu zügeln. Ich war schon als Kind ein Freigeist.

Trotzdem hat meine Großmutter mich sehr geprägt, in ihrem Auftreten wie in ihrer Kleidung. Auch ich liebe den eleganten Auftritt in engen Röcken, halte mich gerade und kann stundenlang auf hohen Absätzen balancieren, ohne zu mucksen (Und auch ich schleudere abends meine Schuhe mit einem Stöhnen von den Füßen).

Erst viel später sollte ich Großmutters Geschichte erfahren und erkennen, dass ihre Haltung auch ihre Art war, ihren Stolz zu bewahren – nach außen und vor ihrem Spiegelbild. Dass (sich) zu Beherrschen eine Frage der persönlichen Entscheidung ist und dich im Leben weiter zu tragen vermag, als jedes ärztliche Rezept. Und dass sich die Wirren unserer persönlichen Geschichte besser ertragen lassen, wenn man ihnen stilvoll begegnet.

Als Teenager bemerkte ich, wie sie Männer immer noch in ihren Bann zog. Doch sie, die Kriegswitwe, wollte keine neue Bindung eingehen. Und dann war da noch ihr Geheimnis, von dem ich erst viel später erfuhr, und das mich in meinem Leben noch sehr beeinflussen sollte.

Für mich gelten Großmutters Vorschriften und Grundsätze seit Jahrzehnten: Eine Dame geht nicht ohne Taschentuch aus dem Haus. Eine Dame trägt immer Strümpfe. Eine Dame trägt Handschuhe. Eine Dame raucht nicht in der Öffentlichkeit. Eine Dame lässt den Herrn dies oder jenes für sich tun. Manchmal sehe ich die heutigen Sitten, die Moden, die einander im Wochentakt ablösen und junge Frauen mehr verwirren als voranbringen und frage mich, ob ein Frauenleben in den alten Zeiten möglicherweise härter, dafür aber um ein Vielfaches einfacher war.


Der Engel mit der Peitsche

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