Читать книгу Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben - Cornelia Eyssen - Страница 10

ANFANG MAI 2012 Ähem, ja, also,
weißt du ...
ich habe Krebs ...

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In der Nacht nach der Ultraschalluntersuchung und dem CT weine ich ins Kissen. Allein. Ich habe schreckliche Angst. Und ich würde es nicht ertragen, wenn mein Mann mich jetzt in den Arm nehmen würde. Ich weiß, dass er es sehr gern tun würde – um mir zu zeigen, dass er mich liebt, er bei mir ist, mich beschützen wird, ich mich auf ihn verlassen kann. Aber dann, so glaube ich, würde ich nicht mehr aufhören können zu weinen.

Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. ICH WILL NICHT STERBEN. Wie ein Mantra flüstere ich diesen Satz immer wieder vor mich hin, bis ich endlich einschlafe.

Einen Tag später. Was tut man, wenn einem am Vortag gesagt wurde, dass man Krebs hat? Mein Mann und ich warten zu Hause auf den Anruf des Internisten, der gestern Ultraschall und CT gemacht hat. Er will für mich einen Termin in einer Münchner Klinik machen. Eine Biopsie ist notwendig. »Von Kollege zu Kollege geht das viel schneller, als wenn man sich als Patient selbst kümmern muss«, hat der Internist gestern gesagt.

Mein Mann und ich überlegen: Sollen wir es der Familie sagen oder nicht, dass ich Krebs habe? Und erzählen wir es nur engen Freunden oder gehen wir ganz offen mit dieser Geschichte um? Überfordern wir möglicherweise die Menschen um uns herum, wenn wir sagen »Ähm, ja, also, weißt du ... ich habe Krebs.«?

Ich argumentiere, dass wir es – zumindest erst einmal – verschweigen sollten. Aus Rücksicht auf die Familie, auf die Verwandten und Freunde. Denn den meisten Menschen ist so eine Situation doch schrecklich unangenehm, sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Die Stimme senken, ein betroffenes Gesicht machen und ein »Oh, das tut mir schrecklich leid« murmeln? Die Augen aufreißen und rufen »Das kann doch nicht sein! Bist du sicher?«. Den Kranken umarmen und ein paar Tränen verdrücken? All das wäre mir unangenehm. Und wie soll ich auf diese Reaktionen reagieren? Selbst heulen? Tapfer lächeln? Das Thema wechseln oder in allen Details vom Krebs erzählen, von dem ich ja selbst noch so gut wie gar nichts weiß?

Meine wahren Beweggründe sind: Ich habe keine verdammte Ahnung, wie ich jemandem sagen soll, dass ich diese Scheißkrankheit habe, ohne dass ich in Weinkrämpfe ausbreche. Außerdem fürchte ich, irgendwie von einem Augenblick zum anderen stigmatisiert zu sein. »Die hat Krebs, die kannst du abschreiben, die lebt sowieso nicht mehr lange.« Oder: »Sie hat Krebs – damit wollen wir nichts zu tun haben. Oh nein, bitte keine Probleme!«

Ein weiterer wichtiger Punkt: Ich will KEIN Mitleid.

Mein Mann beschwichtigt meine unausgesprochenen Befürchtungen, die er erahnt. Er kennt mich zu gut, um sich von meinen Argumenten täuschen zu lassen. »Man muss den Menschen, die dich lieben und sich Sorgen um dich machen, doch die Gelegenheit geben, ihre Anteilnahme auszudrücken. Natürlich können wir deine Krankheit verschweigen. Aber wie lange? Und wie erklären wir später die Geheimnistuerei?«

»Also gut, wir werden ganz offen über meine Krankheit reden.«

»Wir« – von wegen. Nein, mein Mann muss es der Familie und auch den Freunden mitteilen. Ich schaffe es an den ersten zwei Tagen einfach nicht, mit jemandem außer ihm über den Krebs, die sicherlich bevorstehenden Operationen, die Therapien und meine Angst vor dem Sterben zu sprechen.

Aber am dritten Tag geht es dann doch. Natürlich will die Familie, wollen die Verwandten und Freunde nicht nur mit meinem Mann, sondern ebenso mit der Betroffenen sprechen. Den Originalton hören sozusagen. Sie wollen Mut machen, Anteilnahme zeigen, mir beweisen, dass sie an mich denken, an mich glauben und mich wissen lassen, wie lieb sie mich haben. Und das tut mir gut. Das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte angenommen, dass mir diese Gespräche unangenehm sein würden, weil sie so emotionsgeladen sind. Und man den anderen so nah an seine Ängste, an sein Herz heranlassen muss. Aber mir wird jedes Mal ganz warm ums Herz.

Und es tut merkwürdigerweise auch verdammt gut, eine neue, offenbar bisher verborgene Stärke in mir zu entdecken. Auch wenn sie manchmal nur aufgesetzt sein mag. Denn ich will bei den Telefonaten mit meiner Schwiegermutter Ruth, meiner Schwägerin Gaby, meinem Bruder und besorgten Freunden nicht herumjammern oder heulen. Ich will sie nicht noch trauriger machen, als sie eh schon sind. Deshalb hole ich vor jedem Telefonat erst einmal tief Luft. So klingt meine Stimme halbwegs kräftig und zuversichtlich: »Ja, klar, die Operation und so, das schaffe ich schon. Ich bin doch ein zäher Hund. Mich haut so leicht nichts um. Da hat sich der Krebs die Falsche ausgesucht. An mir wird er sich die Zähne ausbeißen.«

Und dieser Optimismus steckt mich mehr und mehr an. Setzt sich mehr und mehr in meinem Kopf und meinem Herzen fest. Ich werde es schaffen! Ich WILL leben und ich WERDE leben!

Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben

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