Читать книгу Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben - Cornelia Eyssen - Страница 6
Vorwort
ОглавлениеMeine Freundin Elke sagt von sich: »Ich bin bekennende Apokalyptikerin und stehe auch dazu.« Sie möchte zum Beispiel seit Jahren wirklich gern nach Istanbul reisen. »Weil ich die Stadt und die Kultur so aufregend und interessant finde.«
Aber Elke bleibt in München. Nicht, weil ihr das Geld fehlt, sie keine Zeit oder kein passendes Hotel oder noch keinen Reiseführer gefunden hätte, der ihren Ansprüchen genügt. Nein. Die Wahrheit ist: »Ich habe mal gelesen, dass man in Istanbul jederzeit mit schweren Erdbeben rechnen muss.«
»Bitte?«
»Ja. Wissenschaftler haben 2012 bei Ausgrabungen im Westen Istanbuls Hinweise auf ein katastrophales Erdbeben im elften Jahrhundert gefunden und damit bewiesen, dass es im Stadtgebiet bereits früher extreme Erdstöße gegeben hat.«
»Elftes Jahrhundert? Hmm ... Nicht gerade aktuell ...«
»Aber natürlich! Denn für die nächsten Jahre besteht die Gefahr von Erdbeben, weil fast die gesamte Naht an der Nordanatolischen Verwerfung gerissen ist, da, wo zwei Erdplatten aufeinanderstoßen«, so Elke. Einzig im Westen, genau dort, wo Istanbul liegt, verharre die Spannung der Erdplatten. »Und wenn sich diese Spannung in einem Erdbeben entlädt, wovor die Forscher warnen, möchte ICH NICHT in Istanbul sein.«
Ich auch nicht. Aber: Wie hoch ist denn realistisch gesehen das Risiko, dass in absehbarer Zeit und ausgerechnet dann, wenn Elke in der Stadt ist, in Istanbul ein Erdbeben ausbrechen wird?
Abgesehen davon, dass einem ja überall auf der Welt etwas passieren kann – man wird in Miami an einer Straßenkreuzung Opfer eines Raubüberfalls. Man holt sich in Paris eine ordentliche Fischvergiftung. Oder in New York eine fette Erkältung mit anschließender Bronchitis.Ich hab mir Krebs geholt. Zu Hause. In München.
Wäre ich – wie Elke – eine überzeugte Apokalyptikerin, wäre ich auch nie nach Istanbul gefahren. Hiiiilfe! Erdbeben! (Was schade gewesen wäre, denn die Stadt ist hinreißend und beeindruckend.) Ich wäre nie ohne Mundschutz auf die Straße gegangen. Ich sage nur: Abgase, Feinstaub. Und bevor ich eine neue Wohnung gemietet hätte, wäre vor meinem Einzug eine Untersuchung auf Asbest und sonstige gefährliche Ausdünstungen Bedingung gewesen. Und ich hätte bestimmt nie, nie, nie eine Zigarette angefasst. Aber so bin ich nicht.
Es trifft immer nur die anderen – dazu zählt(e) für mich auch Krebs. Diese Krankheit, deren Name schon so abschreckend und unnachgiebig klingt. So niederringend, so endgültig. Allein der Klang des Wortes »Krebs« lässt einen schon zusammenzucken. Dieses barsche »K« am Anfang. Das »r« dahinter, das klingt, als ob es sich hinten an der Zungenwurzel festkrallt und nicht raus möchte. Das »e«, das sich so hämisch anhört. Das »b« versöhnt ein bisschen, aber dann folgt gleich dieses scharfe »s«, das zischend und nach Unheil klingt.
Wenn ich früher von Menschen hörte, die sich mit der Krankheit Krebs und den damit verbundenen Therapien, Schmerzen und Ängsten von scheinbar unfassbaren Ausmaßen quälen, dann meldete sich bei mir im Hinterkopf augenblicklich eine wispernde Stimme: »Bin ich froh, dass es mich nicht erwischt hat ...« Und ich bin mir sicher, dass es ganz, ganz vielen anderen Menschen ebenso geht. Das ist ja irgendwie auch menschlich und verständlich.
Dann hat er mich doch gepackt, der Krebs. Zwei Tumore in der Lunge, jeder so groß wie ein Babykopf. Synchronkrebs. Das ist eine ziemlich seltene Krankheitsangelegenheit. Die Ärzte gaben mir noch ein halbes Jahr. »Eher weniger.«
Es war aber mehr, denn sonst hätte ich eineinhalb Jahre später nicht den Gehirntumor (eine Metastase vom Lungenkrebs, so groß wie ein Golfball) bekommen können. Da meinten die Ärzte: »Vielleicht noch zwei bis drei Monate, Frau Eyssen.«
Aber was sind schon Prognosen?