Читать книгу Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben - Cornelia Eyssen - Страница 9
MEIN DERMATOLOGE THOMAS KALIEBE: »Ich wusste,
dass im Fall von Frau Eyssen
unbedingt Eile
geboten war.«
ОглавлениеAls Arzt ist man ja ständig mit unterschiedlichen Ausprägungen von Krankheiten und auch mit dem Tod konfrontiert. Wenn man so lange im Beruf ist wie ich, glaubt man, so ziemlich alle menschlichen Verhaltensmuster zu kennen – die einen reagieren mit Tränen und Jammern auf schlechte Nachrichten, andere spielen den Helden, einige Patienten gehen sofort in die Offensive und wollen aktiv etwas gegen ihre Krankheit tun.
Ich finde es äußerst befriedigend, Menschen helfen zu können, es erfüllt mich unverändert mit einem großen Glücksgefühl. Der Patient ist häufig geheilt und kehrt zurück in sein normales Leben – und ich höre erst wieder etwas von ihm, wenn es ihm wieder schlechter geht, was hoffentlich auch weiterhin nur ganz selten der Fall sein wird.
Als Frau Eyssen mir von ihren Problemen erzählte, der Müdigkeit, der Atemnot und dem Gewichtsverlust, war mir sofort klar, dass es sich um eine sehr beunruhigende Krankheit handeln musste. All ihre Symptome deuteten auf Krebs hin. Frau Eyssen ist schon lange meine Patientin und ich weiß, dass sie zu den Menschen gehört, die immer arg untertreiben, wenn es um Schmerzen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen irgendwelcher Art geht. Ich wollte nicht, dass sie noch lange mit der Ultraschalluntersuchung und dem CT wartete. Wenn jemand schon diese Symptome zeigt wie sie, ist unbedingt Eile geboten. Deshalb habe ich ihr den Termin sozusagen aufgenötigt und alles gleich für sie arrangiert.
Als Frau Eyssen die Praxis verließ, habe ich ihr nachdenklich nachgeschaut. Würde sich meine Meinung bestätigen? Ich habe mir wirklich große Sorgen um sie gemacht.
Wenn meine Mitarbeiterin mich mitten in einer Behandlung aus meinem Zimmer und an den Empfang ans Telefon bittet, dann muss es sich um etwas wirklich Wichtiges handeln. Um etwas, das sie nicht allein entscheiden kann. Etwas, das sie nicht ohne meine Hilfe erledigen kann. Oder etwas, das sie nicht notieren kann, damit ich später zurückrufe. Denn ich mag es nicht, wenn ich die Behandlung eines Patienten unterbrechen muss. Es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Jeder Patient hat das Anrecht, dass ich mir für ihn Zeit nehme. Aber an diesem Tag trat genau das ein. Ich untersuchte in meinem Zimmer gerade einen Mann mit Neurodermitis, er war also kein Notfallpatient. Aber auch, wenn es kein Notfall war – grundsätzlich mag ich es einfach nicht, wenn ich von einem Patienten weggeholt werde.
Der Anruf kam von Frau Eyssen. Sie sagte, sie käme gerade von der Untersuchung. Ultraschall und CT. Ihre Stimme klang ganz anders als sonst – so ein bisschen hektisch, kurzatmig und seltsam verletzlich. Ich brauchte sie gar nicht erst nach dem Ergebnis zu fragen, sie erzählte gleich von sich aus, es sei Krebs. »Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich werde kämpfen. Ich bin stärker, als viele glauben.« Und dann kamen die Sätze, die mich umhauten, bei denen mir Tränen in die Augen stiegen: »Ich habe eigentlich nur angerufen, um Ihnen zu danken – denn ohne Sie wäre ich nicht zu diesen Untersuchungen gegangen. Sie haben mir das Leben gerettet. Danke.«
Das war mir zuvor noch nie passiert und dieser Anruf hat mich unsagbar beeindruckt. Dass jemand, der gerade erfahren hat, dass er Krebs hat – und zwar in einem fortgeschrittenen Stadium –, dem Menschen dankt, der ihn auf die Krankheit aufmerksam gemacht hat. In so einer Situation denkt verständlicherweise jeder nur an sich, an seine Krankheit und daran, ob und wie er wieder gesund werden kann. Dieser Anruf ist mir mitten ins Herz gegangen.