Читать книгу Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben - Cornelia Eyssen - Страница 20

ANFANG JUNI 2012 Warum sind die Kittel
der Ärzte bitte blau?
Und nicht grün?

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Seit mein Mann und ich beschlossen haben, offensiv mit der Krankheit umzugehen und offen darüber zu reden, verliert sie mehr und mehr an Schrecken, an Dramatik für uns. Weil der Krebs inzwischen zu unserem Alltag gehört. Wir machen sogar unsere Scherze: »Krebs? Hatten wir eigentlich nicht bestellt. Nein, nein, wir wollten FLUSSKREBSE.« Oder wenn ich keine Lust auf einen Spaziergang habe, sagt mein Mann: »Jetzt sei doch nicht so ein lahmer Krebs.« Und wenn mein Mann gedankenverloren mitten auf dem Fußweg stehen bleibt, um eine SMS zu lesen oder zu schreiben, fordere ich ihn auf: »Jetzt komm schon. Musst du denn immer so rumkrebsen?«

Wir lachen über so etwas. Ist das makaber? Das denken bestimmt viele Leute. Uns hilft es aber, nicht dauernd in Angst und Schrecken, in Panik und Depression zu versinken.

Der Tag, als ich in die Asklepios Klinik zur Operation muss.

Morgens lackiere ich mir die Fußnägel. Ich finde meine Füße nicht besonders schön, aber mit Nagellack sind sie etwas ansehnlicher. Und im Sommer trage ich fast immer Nagellack. Sieht einfach besser aus, finde ich. Ich nehme an diesem Tag ein glänzendes Grün, ein bisschen wie eine Echse, die in einen Platzregen gekommen ist und deren Schuppen nun im Sonnenlicht glitzern. Warum diese Farbe? Nun, im Fernsehen tragen die Ärzte doch immer grüne OP-Kittel. Und auch die OP-Tücher sind grün. Meine Fußnägel sollen farblich in den OP passen. Mich amüsieren solche Ideen.

Meine Schwägerin Gaby aus Frankfurt ruft an, als ich gerade den Überlack auftrage. Sie ist entsetzt. »Waaas? Lackierte Fußnägel? Die hatte ich auch bei meiner Fuß-OP, und als ich dann in den OP kam, hat so ein Assistenzarzt den Lack mit einem Mittel weggeätzt, mit dem man meterdicke Lackschichten hätte lösen können. Das hat entsetzlich gebrannt. Mach den bloß wieder runter.«

Nein, nun ist der Lack drauf. Jetzt bleibt er auch drauf.

Vormittags. Ich stehe in unserem Schlafzimmer und weiß nicht, was ich einpacken soll. Ich werde so etwa zehn Tage bleiben müssen, hat Professor Hatz gemeint. Was nimmt man mit ins Krankenhaus? Ich habe keine Ahnung. Sozusagen Modeneuland für mich. In den einschlägigen Modezeitschriften finden solche Themen nicht statt. :-)

Na gut, daran werde ich ja nun wirklich nicht scheitern. Weißes T-Shirt und Jeans – das sieht immer gut aus. Eine Strickjacke, falls es kühl wird, ein Paar Flip-Flops, meine Ballerinas mit Glitzernieten, ein Nachthemd, Unterwäsche und alles, was ich an Beautysachen brauche. Dazu die »Buddenbrooks« von Thomas Mann. Das Buch habe ich zuletzt in der Schule gelesen und ich will meine Erinnerung auffrischen. Oben drauf in den Koffer kommt unser Hochzeitsfoto im Silberrahmen. Das muss mit.

Am Nachmittag fährt mich mein Mann ins Krankenhaus. Eine freundliche Schwester zeigt mir das Zimmer, es ist überraschend schön – und erinnert eher an ein Hotelzimmer: zweisitzige Couch und zwei passende Sessel in sanftem Sonnenuntergangsorange, davor ein kleiner Glastisch, im Erker ein Schreibtisch mit Stuhl, daneben ein kleiner Balkon mit Blick in den wunderschönen Park mit knorrigen Bäumen und sattgrünen Rasenflächen. Außerdem gibt es einen geräumigen Einbauschrank und das typische Krankenhausbett mit Galgen. Im großen Badezimmer liegt ein Bademantel bereit. Außerdem ein Notfall-Kit mit Zahnbürste und Zahnpasta sowie anderem Brauchtman-unbedingt-Kram für alle Patienten, die Kosmetikartikel zu Hause vergessen haben oder nichts einpacken konnten.

Mein Mann und ich umarmen uns. Er muss jetzt gehen. Wozu den Abschied lange rauszögern? Nachher fange ich noch an zu weinen. Oder er. Und dann stehen wir beide heulend hier im Zimmer. Bloß das nicht.

Ich packe aus. Die Schminksachen und der Vergrößerungsspiegel kommen auf den Schreibtisch im Erker, da habe ich beim Schminken Tageslicht. Den Rest aus meinem Beauty-Case und dem Koffer verteile ich im Badezimmer beziehungsweise im Schrank. Das Hochzeitsfoto platziere ich im Regal, direkt unter der Schachtel mit den Gummi-Einmal-Handschuhen und dem Desinfektionsspray, dem unverzichtbaren Ausrüstungszeug für die Schwestern und Ärzte, das zu jeder Sekunde greifbar sein muss.

Um kurz nach 17 Uhr gibt es Abendessen. Unter der orangefarbenen Abdeckhaube auf dem Tablett entdecke ich Schwarzbrot, Honiggurken, eine Tomate, drei verschiedene Sorten Käseecken auf zwei Salatblättern, einen Apfel, einen Joghurt. Okay. Das Thema Krankenhäuser und Essen scheint insgesamt ein eher trauriges Kapitel zu sein.

Um 18 Uhr bringt mir eine freundliche Schwester zwei Tabletten. Eine soll ich bitte in einer halben Stunde nehmen, die andere, wenn ich schlafen gehe. Die Bald-Tablette ist ein Abführmittel. Alles soll ordentlich leer sein morgen bei der Operation. Ich frage mich, warum man mir erst etwas zu essen und dann ein Abführmittel gibt. Aber ich muss ja auch nicht alles verstehen.

Laufend piepst mein Handy. SMS von der Familie, allen Verwandten, Freunden und Kollegen. »Wir sind in Gedanken bei dir!« – »Du rockst das! :-)« – »Haben dich lieb!« – »Alles wird gut!« – »Umarmen dich.« – »Love and Kisses!« Die letzte ist von meinem Mann.

Langsam wird es dunkel. Angst schleicht sich wie eine siebenköpfige Schlange in meinen Körper. Ich versuche, mich abzulenken. Meine Freundin Annette hat mir geraten: Visualisieren hilft. »Stell dir vor, du steckst einen Schlauch in den Tumor, der innen flüssig ist, und führst den Schlauch von da nach unten in den Boden. Wie der Schlauch aussieht und wie dick er ist, das kannst du ganz allein bestimmen. Ein Gartenschlauch, ein dicker Feuerwehrschlauch oder so einer wie bei einer Dunstabzugshaube, die alles nach draußen bläst«, hat sie gesagt. (Annette ist trotz esomäßiger Begeisterung echt auch erfreulich bodenständig.) »Du lässt mit der Kraft deiner Gedanken diese schlechte Flüssigkeit aus dir raus und in die Erde fließen.«

Das hörte sich für mich zuerst schon sehr merkwürdig an. Ich bin eigentlich nicht der Typ für so etwas. Aber schaden kann es nicht. Und ich habe im Moment eh nichts anderes zu tun. Ich liege also auf der rechten Seite, visualisiere den babykopfgroßen Tumor in meinem unteren rechten Lungenlappen und mein Schlauch ist ein dicker, schwarzer Gartenschlauch.

Ich habe zuerst noch kurz hin und her überlegt, wie mein Schlauch aussehen soll, welcher der beste ist. Ein Fahrradschlauch? Nein. Hässlich. Und ich brauche kein Modell mit Profil. Ein durchsichtiger Schlauch, wie man ihn im Krankenhaus für Infusionen benutzt? Nein. Viel zu dünn. Ein Gartenschlauch! Das ist die perfekte Lösung. So nach dem Gardena-Prinzip: reinstecken, drehen, fertig. Es soll aber kein normaler Gartenschlauch in Grün oder Rot sein. Meiner soll schwarz sein. Und etwas dicker als normal. Das erscheint mir sicherer. Und aus dem fließt eine dunkle Brühe aus mir raus – durch den Boden unter meinem Bett runter ins Erdgeschoss und weiter in die Erde. Ganz tief nach unten.

Ich hoffe, dass ich den Schlauch richtig angesetzt habe. Meine Anatomiekenntnisse sind nicht die besten. Wenn er nun an die Leber oder die Gallenblase angeschlossen ist? Nicht auszudenken!

Ich nehme die zweite Tablette, ein ziemlich starkes Beruhigungsmittel, und schlafe halbwegs beruhigt ein.

Morgens um 7 Uhr stehen die Krankenschwestern Camelya und Melanie in meinem Zimmer. Ich bin schon um 6 Uhr aufgestanden. Gesicht waschen. Duschen. Haare waschen. Eincremen. Zähne putzen. Haare föhnen und stylen. Etwas Rouge auf die Wangen und einen Hauch Puder aufs Gesicht.*

Der Morgen vor der Operation. Jetzt kommen die Stützstrümpfe dran. Die müssen sein, wegen der Thrombosegefahr. Ich liege bewegungslos auf dem Bett, während sich die Schwestern Camelya und Melanie mit einem lampenschirmförmigen Gestell abmühen, die knallengen Strümpfe über meine Füße und die Beine bis zu den Oberschenkeln zu ziehen. Weiß mit schmalen gelben Streifen rund um die Knöchel sind die Stützstrümpfe. Sehen gar nicht so schlecht aus zu meinen grünen Fußnägeln. Dann das Flügelhemd. Die nächsten zwei Beruhigungstabletten. Ich bin schon ganz beduselt. Allerdings auch aufgeregt, richtig fröhlich. Irgendwie erwartungsfroh. Weil ich weiß: JETZT ENDLICH kommt der Tumor raus. Der Krebs ist NICHT länger in mir drin! Ich bin ihn los! Jawohl! Eine Vorstellung, die mich total happy macht.

Vielleicht sind es aber auch nur die Tabletten?

Vor dem OP. Eine Schwester zieht mir eine hellblaue Plastikhaube mit Gummizug über die Haare. Keine Strähne darf vorgucken. Mist. Dafür habe ich fast eine Viertelstunde die Haare geföhnt. Und mein Pony wird nachher abstehen, als sei ich ein Punk. Vielleicht bin ich übergeschnappt, dass mir solche Gedanken in den Kopf kommen. Aber sie sind da. Und sie sind mir lieber als Horrorvorstellungen von offenen Wunden, Blut, Skalpellen, Tupfern und Schmerzen.

Im OP. Den hatte ich mir irgendwie größer vorgestellt. Und wieso ist hier alles Blau? Die Kittel der Schwestern und Ärzte und die Laken??? Warum nicht Grün? Und nun ich hier mittendrin mit meinen glitzerechsengrünen Fußnägeln!

Alles wirkt so unheimlich. So technisch. All die Geräte. Die großen OP-Lampen. Wenigstens sehen die genauso aus wie in den Filmen. Wieso sind so viele Leute hier drin? Was machen die alle hier? Und warum haben die mich nicht schon vor dem OP-Raum schlafen gelegt? Warum muss ich das alles hier mit den Geräten und so sehen? Das macht einem doch Angst.

Der Anästhesist kommt. Ich habe mich für einen Periduralkatheter – PDK – entschieden, der etwas unterhalb der Schulterblätter zwischen zwei Dornfortsätzen in die Wirbelsäule eingeführt wird. Allerdings bin ich dem Rat des Anästhesisten nur unter der Bedingung gefolgt, dass eine OP-Schwester mich tröstend an den Händen hält, während er die Nadel einsticht. Kindisch? Das ist mir so was von egal. Meine Angst ist größer als mein Schamgefühl. Als ich also mit gekrümmtem Rücken vornübergebeugt am Rand des OP-Tisches sitze, stehen tatsächlich gleich zwei Schwestern vor mir, jede umarmt mich mit einer Hand und hält mit der anderen tröstend meine Hand. Mein Kopf ruht am Busen der einen Schwester. Ein Gefühl von Geborgenheit. »Alles wird gut. Sie müssen keine Angst haben. Sie werden kaum etwas spüren. Sie sind sehr tapfer. Gut machen Sie das, Frau Eyssen.« Die beiden sind so lieb. Ich meine, die haben ja eigentlich auch Wichtigeres zu tun, als einer ängstlichen Patientin die Hand zu halten.

Trotz des feinfühligen Zuspruchs der Schwestern wummert mein Herz. Die Vorstellung, dass jemand gerade eine Nadel in meine Wirbelsäule bohrt, lässt mich den Atem anhalten. Wenn er sie zu tief setzt? Kann ich dann gelähmt bleiben? Mein Atem will nicht so, wie ich will. Dann ist es auch schon vorbei. Kurze Zeit später falle ich ins Dunkle. Professor Hatz operiert. Rechter unterer Lungenlappen raus und mehrere Lymphknoten. Die sind ebenfalls befallen.

PS: Und? Habe ich etwas gespürt von dem PDK? Ja. Schon. Einen Druck. Muss ich schon sagen. Angenehm war es nicht.

Acht Stunden später auf der Intensivstation. Mein Mann ist da, hält meine Hand. Ich bin in einem Zwischenreich, halb Narkose, halb im Hier und Jetzt. Mir hängt eine Haarsträhne ins Gesicht. Sie kitzelt an meiner Nase. Ich will sie nach hinten schieben. Aber mein linker Arm gehorcht mir nicht. Ich kann ihn nicht bewegen. Panik überfällt mich wie ein Tornado. Es ist etwas schiefgegangen mit dem PDK oder bei der Operation. Ich will sagen: »Meine Hand. Mein Arm. Was ist damit? Ich kann ihn nicht bewegen.« Kann aber nur unverständliche Buchstabenfetzen von mir geben. Endlich gelingt es mir, etwas in die Richtung zu nuscheln wie: »Mei ... Arm ... me ... and. Nich ... be... w...gen ...« Mein Mann versteht sofort und bittet eine Schwester, den Anästhesisten zu rufen. Der steht schon eine halbe Minute später an meinem Bett. Ein kurzer Blick, ein paar Fragen an meinen Mann, dann fragt er in meine Richtung: »Können Sie sich im Bett aufsetzen, Frau Eyssen? Nur ganz kurz?«

Ich? Aufsetzen? Der Typ kann nicht bei Trost sein.

Mein Mann reagiert innerhalb von zwei Sekunden. »Das geht schon. Komm, mein Schatz, ich helfe dir, dann ist es ganz einfach.« Er greift vorsichtig unter meine Achseln, dreht meinen Körper leicht in Richtung Bettkante und setzt mich halb auf. Es geht tatsächlich.

»Es tut auch nicht weh, keine Angst«, murmelt der wirklich schrecklich nette und einfühlsame Anästhesist.

Mein Mann hält mich so sorgsam, als könne ich wie Sand zwischen seinen Fingern zerfließen. Der Anästhesist zieht mit seinen schmalen, zarten Fingern die Nadel in meinem Rücken ein paar Millimeter heraus. »Alles in Ordnung«, sagt er zufrieden. Mein Mann legt mich vorsichtig wieder zurück in die Kissen. Ja, ich kann den Arm wieder bewegen. Doch nicht gelähmt. Ich sinke in den Schlaf.

* An dieser Stelle hat mich meine Lektorin Kathrin ungläubig gefragt: »Sag mal, Conny, hast du dich wirklich vor der OP geschminkt?« Ja, das habe ich. Bin ich verrückt? Nun, ich fand mich nie besonders hübsch. Augen zu klein, Nase zu groß und zu breit. Mund zu klein. Und diese Sommersprossen! In der Schule haben sie mich wegen der Sommersprossen dauernd gehänselt. »Guck mal, die hat lauter Fliegenscheiße im Gesicht!« Das findet man nicht lustig, wenn man ein klapperdürres Schulmädchen ist, das auch noch kurzsichtig ist, eine Brille tragen muss (»Brillenschlange!«) und mit Familiennamen Waldbüßer heißt (»Waldspießer!« war noch die harmloseste Abwandlung). Und weil ich mich eben nicht hübsch fühlte, schminke ich mich seit Teenagerzeiten. Damals habe ich noch zu viel Make-up benutzt. Das hat sich inzwischen geändert. Gott sei Dank. Und ich habe mich auch gut an mein Gesicht gewöhnt, wir mögen uns inzwischen. Außerdem darf man nicht vergessen: Von der stellvertretenden Chefredakeurin erfolgreicher Frauenmagazine erwarten alle, dass sie jederzeit gut und gepflegt aussieht, das gilt für Make-up, Haare und Bekleidung. Das habe ich in all den Jahren in den Chefredaktionen eben auch stark verinnerlicht.

Wenn ich das Schicksal treffe, kann es was erleben

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