Читать книгу Gesunde Ernährung heute und morgen - Dr. med. Jörn Klasen - Страница 7
Die Grenzen von Ernährungsstudien
ОглавлениеAllerdings hat dieser Ansatz Grenzen. Denn bei einem so komplexen Thema wie der Ernährung wird es nur selten gelingen, alle relevanten Variablen zu erfassen. Außerdem muss ein Forscher immer abwägen, wie viele Fragen er den Studienteilnehmern zumuten kann. Diese Herausforderungen in der Ernährungsforschung können zu falschen oder verzerrten Ergebnissen führen – das ist in der Vergangenheit auch immer wieder passiert. So dachte man zum Beispiel lange, dass Kaffee zu chronischen Krankheiten führen würde. Dann stellte man fest, dass die höhere Erkrankungsrate durch das Rauchen erklärt wird und nichts mit dem Kaffee zu tun hat. Weil Raucher oft mehr Kaffee trinken, war zunächst der Kaffee verdächtigt worden. Heute gilt er sogar als gesund. Es ist also ein bisschen wie in der Kriminalistik: Über die Zeit werden die meisten Fälle aufgedeckt, aber zwischendurch muss man auch falsche Fährten verfolgen.
Eine weitere Herausforderung ist, dass Lebensmittel so komplex sind. Sie bestehen oft aus Hunderten Komponenten wie verschiedenen Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen, von denen viele noch nicht einmal umfassend definiert und beschrieben sind. Diese Stoffe wirken einzeln und interagieren miteinander. Solche komplexen Wirkmechanismen sind schwer zu beforschen. Dazu kommt die Tatsache, dass sich viele ernährungsmitbedingte chronische Krankheiten meistens über Jahre, oft über Jahrzehnte entwickeln, sodass man die Studienteilnehmer über viele Jahre immer wieder untersuchen müsste, um sagen zu können, welche Ernährungsweise welche Erkrankungen mitbedingt hat. Solche Studien sind sehr teuer und werden nur selten finanziert.
Wenn Sie sich also zu Recht fragen, warum sich Studien zum selben Thema so oft widersprechen, so liegt es an den zuvor beschriebenen Herausforderungen. Für einen Wissenschaftler sind widersprüchliche Studien übrigens etwas völlig Normales und gehören zum wissenschaftlichen Fortschritt dazu. In der Wissenschaft geht es oft über Jahre für jeden Schritt vorwärts mindestens einen halben wieder zurück, bevor es irgendwann zu einem Durchbruch kommt. Zum Beispiel berichtet eine Studie einen Zusammenhang zwischen gesättigten Fettsäuren und Herzerkrankungen. Wenig später wird eine andere Studie veröffentlicht, die nachweist, dass dieser Zusammenhang nur unter bestimmten Bedingungen gilt oder sie widerlegt ihn sogar.12 Erst wenn mehrere Studien, die unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen von verschiedenen Forschern durchgeführt wurden, die gleichen Ergebnisse produzieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein wahres Ergebnis handelt. Das bedeutet auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisprozesse häufig langsam sind. Sorgfältige Ernährungsforschung ist also mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Trotzdem liefert sie durch ihre systematische Herangehensweise die besten Informationen. Winston Churchills viel zitierter Spruch über die Demokratie lässt sich auch auf die Wissenschaft übertragen: Die Wissenschaft ist die schlechteste aller Informationsquellen – abgesehen von allen anderen.
In der medizinischen Literaturdatenbank PubMed erscheinen jede Woche allein im Bereich Ernährung ungefähr 1000 neue wissenschaftliche Artikel. Die meisten Menschen lesen verständlicherweise keine Originalarbeiten, denn dies erfordert Übung, Wissen zu Forschungsmethodik und Kenntnis des Fachjargons. Außerdem sind die Artikel häufig in englischer Sprache verfasst. Wir haben uns für dieses Buch sehr bemüht, die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse aus Tausenden Fachartikeln in eine allgemein verständliche Sprache zu übertragen, ohne Fremdworte zu benutzen und ohne komplizierte statistische oder methodische Ausführungen. Die Originalquellen finden Sie im Literaturverzeichnis (► Seite 266).
Wissen ist erwiesenermaßen eine gute Voraussetzung, um langfristig auf eine gesunde Ernährung umzustellen. Verstehen, was eine gesunde Ernährung ausmacht, ist auch der beste Schutz und Filter gegen die Flut von widersprüchlichen Ernährungsbotschaften, die ständig und überall um unsere Aufmerksamkeit buhlen.