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c) Unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag (§ 1 Abs. 3 EStG)

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Fall 12:

Die natürliche Person Z aus Fall 10 (Rn 149) ist bei gleichem Sachverhalt zusätzlich an der inländischen X-GmbH beteiligt. Die X-GmbH schüttet im Veranlagungszeitraum 2011 eine Bruttodividende von 3000,– Euro aus. Die X-GmbH behält darauf nach den §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr 1, 43a Abs. 1 Nr 1 EStG Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% ein. Nach Art 10 Abs. 2 DBA Dänemark ist der Quellensteuerabzug indes in der Höhe auf 15% begrenzt. Der Veranlagungsbeamte B fragt sich, inwieweit die Dividendeneinkünfte in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen sind. Lösung Rn 197

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Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG vor[149], ist der Steuerpflichtige nicht etwa ohne weiteres als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln. Die Rechtsfolge der Vorschrift besteht allein in der Berechtigung des Steuerpflichtigen, einen Antrag auf Behandlung als unbeschränkt Steuerpflichtiger stellen zu können. Der Antrag ist nicht form- und nicht fristgebunden. Zudem ist er jederzeit und ohne Angaben von Gründen widerrufbar[150]. Das Finanzamt darf den Antrag nicht abschlägig bescheiden, sofern die materiellen Voraussetzungen für die Antragstellung gegeben sind. Wird der Antrag gestellt, bezieht er sich auf alle Einkunftsarten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG. Eine Beschränkung ist nicht statthaft. Der Antrag ist streng personenbezogen[151]. Er betrifft nur die Besteuerung desjenigen Steuerpflichtigen, der den Tatbestand des § 1 Abs. 3 EStG erfüllt. Insbesondere auf Angehörige des Steuerpflichtigen wird die Rechtsfolge der unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag nicht erstreckt (hier gilt § 1a EStG).

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Aus dem HS 2 von § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG wird deutlich („… soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.“), dass sich die auf den Antrag hin eintretende unbeschränkte Steuerpflicht ausschließlich auf die inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG bezieht. Das Welteinkommensprinzip findet damit bei der unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag keine Anwendung. Andere Einkünfte als inländische Einkünfte werden nur über den sog. Progressionsvorbehalt[152] des § 32b Abs. 1 Nr 5 HS 2 EStG nF berücksichtigt.

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Bezogen auf im In- und im Ausland erzielte Einkünfte besagt der Progressionsvorbehalt (für DBA vgl § 32b Abs. 1 Nr 3 EStG), dass bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes für die im Inland steuerbaren und steuerpflichtigen Einkünfte die im Ausland erzielten, aber im Inland steuerfreien Einkünfte mit berücksichtigt werden. Der Progressionsvorbehalt findet grundsätzlich (Ausnahme: beschränkt Steuerpflichtige, auf die § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr 4 EStG Anwendung findet, vgl HS 1 von § 32b Abs. 1 EStG) nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen Anwendung (§ 1 Abs. 1–3 EStG) und kann einen nennenswerten Effekt nur entfalten, wenn der Steuerpflichtige kein hohes zu versteuerndes Einkommen hat und sein durchschnittlicher Einkommensteuersatz nicht bereits nahe am Spitzensteuersatz liegt. Bei Personengesellschaften wird für die Anwendung des Progressionsvorbehalts die Ebene des jeweiligen Gesellschafters betrachtet (zur Berücksichtigung im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung vgl § 180 Abs. 5 Nr 1 AO), für Organschaftsfälle enthält § 32b Abs. 1a EStG eine besondere Regelung. Sie führt dazu, dass beispielsweise steuerfreie Betriebsstättengewinne einer Organgesellschaft bei unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen, die an einer Personengesellschaft als Organträger beteiligt sind, dem Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 Nr 3 EStG unterliegen[153].

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Die Ermittlung des Steuersatzes aufgrund des Progressionsvorbehalts setzt regelmäßig voraus, dass trotz der Steuerfreistellung für die im Ausland erzielten Einkünfte eine Art „Schattenveranlagung“ durchgeführt werden muss, bei der diese Einkünfte nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften neu berechnet werden (ggf unter Umrechnung in Euro). Je nach der anwendbaren Gewinnermittlungsart bedingt dies eine doppelte Buchführung (im In- und Ausland)[154].

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Der Progressionsvorbehalt kann in zweifacher Hinsicht wirken. Sowohl ein positiver, die Steuerlast erhöhender Progressionseffekt ist denkbar (nämlich bei im Ausland erzielten positiven Einkünften), ebenso wie auch ein negativer Progressionseffekt[155] denkbar ist, der zu einer Steuerentlastung führen kann (nämlich bei im Ausland erzielten negativen Einkünften). Die Wirkungsweise des negativen Progressionsvorbehalts verdeutlicht folgendes Beispiel: Wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger inländische steuerpflichtige Einkünfte von 1 000 000,– Euro und zusätzlich in gleicher Höhe nach einem DBA freigestellte ausländische negative Einkünfte erzielt, beträgt das steuerpflichtige Einkommen für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes Null. Die sich ergebende Steuerbelastung ist stets dann endgültig erlangt, wenn die Berücksichtigung positiver Einkünfte im Ausland über den Progressionsvorbehalt wegen der Höhe der inländischen Einkünfte weitgehend ohne Wirkung bleibt. Ein negativer Progressionsvorbehalt ist jedoch nur insoweit zu berücksichtigen, als keine anderen Verlustnutzungs- bzw Verlustverrechnungsbeschränkungen einschlägig sind, wie dies zB bei den §§ 2a,[156] 15a EStG[157] oder 15b EStG[158] der Fall ist.

Zu beachten sind indes die jüngsten Änderungen im nationalen Steuerrecht Deutschlands, die weit reichende Auswirkungen auf die Besteuerungspraxis im internationalen Kontext zeitigen werden: Der deutsche Gesetzgeber hat im JStG 2009 die Vorschrift des § 32b EStG aufgrund europarechtlicher Bedenken einer teilweisen Revision unterzogen. Durch die Neuregelung werden der negative und der positive Progressionsvorbehalt bei bestimmten, innerhalb der Mitgliedstaaten der EU bzw des EWR-Abkommens verwirklichten Tatbeständen, in denen Einkünfte nach einem DBA freigestellt sind, ausgeschlossen. Der Regelung liegt dabei die Annahme zugrunde, dass der Ausschluss von Auslandsverlusten für Zwecke des negativen Progressionsvorbehalts dann nicht gegen die EU-Grundfreiheiten verstößt, wenn im Gegenzug auch positive Auslandseinkünfte nicht im Rahmen eines positiven Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden müssen. Entsprechend ist die Neuregelung im Zusammenhang mit § 2a EStG nF zu sehen.

Im Einzelnen ist der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG nF ausgeschlossen bei Einkünften

1. aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen land- und forstwirtschaftlichen Betriebsstätte,
2. aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 erfüllt,
3. aus der Vermietung oder der Verpachtung von unbeweglichem Vermögen oder von Sachinbegriffen, wenn diese in einem anderen Staat als in einem Drittstaat belegen sind, oder
4. aus der entgeltlichen Überlassung von Schiffen, sofern diese ausschließlich oder fast ausschließlich in einem anderen als einem Drittstaat eingesetzt worden sind, es sei denn, es handelt sich um Handelsschiffe, die a) von einem Vercharterer ausgerüstet überlassen oder b) an in einem anderen als in einem Drittstaat ansässige Ausrüster, die die Voraussetzungen des § 510 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs erfüllen, überlassen oder c) insgesamt nur vorübergehend an in einem Drittstaat ansässige Ausrüster, die die Voraussetzungen des § 510 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs erfüllen, überlassen worden sind, oder
5. aus dem Ansatz des niedrigeren Teilwerts oder der Übertragung eines zu einem Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsguts im Sinne der Nummern 3 und 4.

Die genannten Einschränkungen beziehen sich indes nur auf § 32b Abs. 1 Nr 3 EStG, also auf nach einem DBA freigestellte Einkünfte.

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Wie bei den übrigen Alternativen des § 32b EStG ist bei der Besteuerung der auf Antrag unbeschränkt Steuerpflichtigen die Anwendung des sog. negativen Progressionsvorbehalts jetzt nicht mehr ausgeschlossen[159] (vgl aber § 32b Abs. 1 Nr 5 HS 2 EStG aF). Bei ihnen ist daher der negative und der positive Progressionsvorbehalt anzuwenden.

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Bis auf die sachliche Beschränkung des Steuerobjekts (nur inländische Einkünfte) bestehen bei der materiellen Besteuerung im Übrigen keine Unterschiede gegenüber der unbeschränkten Steuerpflicht des § 1 Abs. 1 EStG. Was hingegen das Verfahrensrecht und damit namentlich das sog. Steuererhebungsverfahren[160] anbelangt, würde diese Feststellung daher eine Steuererhebung im Wege des Veranlagungsverfahrens (§§ 2 Abs. 7, 25 ff EStG) bedeuten. Dieses ist das regelmäßige Erhebungsverfahren bei nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt Steuerpflichtigen, soweit das Gesetz selbst nicht ausdrücklich Ausnahmen vorsieht[161].

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Eine solche Ausnahme bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 6 EStG. Danach ist ungeachtet der unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag gleichwohl ein Steuerabzug nach § 50a EStG vorzunehmen, also nach einer Vorschrift, die eigentlich nur für beschränkt Steuerpflichtige gilt. Bei bestimmten Einkünften (zB Vergütungen für eine Aufsichtsratstätigkeit bei inländischen Aktiengesellschaften) wird die Steuer des auf Antrag unbeschränkt Steuerpflichtigen daher als Quellensteuer erhoben. Dabei handelt es sich indes nur um eine verfahrensrechtliche Benachteiligung des auf Antrag unbeschränkt Steuerpflichtigen[162]. Eine materielle Benachteiligung tritt dadurch nicht ein, weil die sog. Abgeltungswirkung des Steuerabzugs nach § 50 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 HS 1 EStG nur beschränkt, nicht aber (nach § 1 Abs. 1 bis 3 EStG) unbeschränkt Steuerpflichtige erfasst[163].

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Lösung Fall 12 (Rn 188):

B kann sich glücklich schätzen. Seit dem Veranlagungszeitraum 2009 hat B die Möglichkeit, die Dividenden in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen. Nach § 32b Abs. 1 Nr 3 HS 2 EStG aF wurden Einkünfte, die einem der Höhe nach begrenzten Steuerabzug unterlagen, nicht im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt, obwohl unstreitig eine erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen gegeben war. Nunmehr erhöhen wegen § 32b Abs. 1 Nr 5 EStG auch diejenigen Einkünfte das Steuersatzeinkommen, die nur einem Steuerabzug unterliegen. Der Ausschluss des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG nF gilt nicht, weil sich die Vorschrift ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts nur auf nach einem DBA freigestellte Einkünfte bezieht.

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