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dd) Regelbeispiele

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§ 12 Satz 2 Nr 1 AO erklärt die Stätte der Geschäftsleitung zu einer Betriebsstätte. Damit wird Bezug genommen auf § 10 AO. Am Ort der Geschäftsleitung besteht also stets eine Betriebsstätte im steuerrechtlichen Sinne (sog. Geschäftsleitungsbetriebsstätte), während der statutarische Sitz (§ 11 AO) nicht per se betriebsstättenbegründend wirkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist für eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte weder eine feste Geschäftseinrichtung noch eine im Betriebsvermögen befindliche Geschäftseinrichtung erforderlich[206].

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§ 12 Satz 2 Nr 2 AO bestimmt, dass Zweigniederlassungen als Betriebsstätten anzusehen sind. Der Begriff ist grundsätzlich im Lichte der §§ 13 ff HGB zu verstehen, jedoch hat auch eine Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister nur eine widerlegliche Vermutung im Rahmen der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Betriebsstätte zur Folge[207]. Ist umgekehrt ein Unternehmensteil aufgrund seiner partiellen Selbstständigkeit gegenüber der Hauptniederlassung objektiv als Zweigniederlassung anzusehen, kommt es folgerichtig nach einer in der Literatur umstrittenen, aber zutreffenden Ansicht auf die Eintragung in das Handelsregister nicht an und es handelt sich gleichwohl aus steuerlicher Sicht um eine Betriebsstätte[208].

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§ 12 Satz 2 Nr 3 AO erhebt sog. Geschäftsstellen in den Rang einer steuerlichen Betriebsstätte. In einem sehr weiten Verständnis zählt der Bundesfinanzhof hierzu alle Einrichtungen, in denen unternehmensbezogene Tätigkeiten ausgeübt werden[209]. Anders als bei den Zweigniederlassungen ist eine organisatorische und wirtschaftliche Selbstständigkeit gegenüber der Hauptniederlassung nicht erforderlich, sondern es ist jede Art von betrieblicher Nutzung ausreichend. Auf eine bestimmte Geschäftsausstattung kommt es ebenfalls nicht an.

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§ 12 Satz 2 Nr 4 AO zählt Fabrikations- und Werkstätten zu Betriebsstätten. Gemeint sind Einrichtungen, in denen Sachen im Sinne des § 90 BGB hergestellt, be- oder verarbeitet werden[210]. Weder die betriebswirtschaftliche Produktionsstufe noch der Produktionsumfang sind entscheidend.

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§ 12 Satz 2 Nr 5 AO spricht die sog. Warenlager an. Damit sind beispielsweise Auslieferungslager oder Tankanlagen gemeint. Letztlich geht es um jede Art von Lager, in dem Waren sämtlicher Produktionsstufen sowie Rohstoffe aufbewahrt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Unternehmer über das Warenlager frei verfügen können muss, was grundsätzlich die Weisungsgebundenheit des eingesetzten Personals bedingt. Wird ein Warenlager von dritten, selbstständigen Unternehmern geführt, fehlt es daher regelmäßig an der freien Verfügungsmacht des Unternehmers[211].

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§ 12 Satz 2 Nr 6 AO ordnet auch Ein- und Verkaufsstellen den Betriebsstätten zu. Wie im Fall der Warenlager ist es erforderlich, dass der Unternehmer den Ein- und Verkauf selbst bzw durch weisungsabhängiges Personal vornimmt. Die Art der angekauften bzw verkauften Waren ist irrelevant.

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Lösung Fall 13 (Rn 202):

Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist der Gewerbesteuermessbetrag zu zerlegen, wenn im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden unterhalten wurden. Was eine Betriebsstätte im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist, ergibt sich aus § 12 AO. § 12 Satz 1 AO definiert die Betriebsstätte als feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Satz 2 der Norm enthält eine – nicht abschließende Aufzählung von Geschäftseinrichtungen und Tätigkeiten, die als Betriebsstätten anzusehen sind. Demnach sind insbesondere auch Verkaufsstellen Betriebsstätten (§ 12 Satz 2 Nr 6 AO). Aus dem den Worten Geschäftseinrichtung und Anlage in § 12 Satz 1 AO beigefügten Adjektiv „fest“ ergibt sich, dass eine Geschäftseinrichtung oder Anlage örtliche, zeitliche und rechtliche Kriterien erfüllen muss, um gemäß § 12 Satz 1 AO eine Betriebsstätte zu sein. In örtlicher und zeitlicher Hinsicht ist eine Geschäftseinrichtung oder Anlage fest im Sinne der Norm, wenn sie einen Bezug zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche aufweisen und dieser von einer gewissen Dauer, also nicht nur vorübergehend, ist. Auch eine Verkaufsstelle (§ 12 Satz 2 Nr 6 AO) ist nur dann eine Betriebsstätte, wenn sie eine im Sinne des § 12 Satz 1 AO „feste Geschäftseinrichtung oder Anlage“ ist. § 12 Satz 2 AO erweitert zwar die Definition der Betriebsstätte um Einrichtungen, die nicht notwendig die Voraussetzungen des Satzes 1 der Norm erfüllen müssen, und um bestimmte Tätigkeiten. Hinsichtlich der Verkaufsstellen enthält § 12 Satz 2 AO aber keine Definitionserweiterung im Sinne eines Verzichts auf das einschränkende Tatbestandsmerkmal der „festen Geschäftseinrichtung oder Anlage“. Es reicht deshalb zur Begründung einer Betriebsstätte nicht aus, dass ein Unternehmen an einem Ort eine auf den Verkauf von Wirtschaftsgütern gerichtete Tätigkeit (Verkaufstätigkeit) ausübt. Durch Verkaufstätigkeiten wird gemäß § 12 Satz 2 Nr 6 AO nur an den Orten eine Betriebsstätte begründet, an denen Verkaufsstellen des Unternehmens bestehen. Das sind Geschäftseinrichtungen oder Anlagen, in denen das Unternehmen seine Verkaufstätigkeit ausübt. Durch Verwendung des Begriffs „Verkaufsstelle“ knüpft § 12 Satz 2 Nr 6 AO zudem an die gesamte Definition in Satz 1 der Norm an, nicht nur auf die Definitionsmerkmale „Geschäftseinrichtung“ und „Anlagen“. Der Verkaufsstand, den die T-GmbH in den Streitjahren auf dem Weihnachtsmarkt in H unterhielt, war keine feste Geschäftseinrichtung iS des § 12 Satz 1 AO. Ihm fehlte ein ausreichend dauerhafter Bezug zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche. Der Verkaufsstand hatte daher einen geringeren zeitlichen Bezug zur Erdoberfläche als zB die Verkaufsstände auf Wochenmärkten. Diese können zwar Betriebsstätten sein, aber nur dann, wenn sich die jeweilige Marktveranstaltung mehrmals im Jahr und meist auch an der gleichen Stelle wiederholen[212].

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§ 12 Satz 2 Nr 7 AO bezeichnet auch Bergwerke, Steinbrüche oder andere stehende, örtlich fortschreitende oder schwimmende Stätten der Gewinnung von Bodenschätzen als Betriebsstätten. Es gilt für die Bodenschätze die Definition des § 3 Abs. 1 BBergG. Die Gewinnung von Bodenschätzen muss den Hauptzweck der unternehmerischen Tätigkeit bilden[213].

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§ 12 Satz 2 Nr 8 AO schließlich bezieht sich auf Bauausführungen und Montagen. Die im HS 2 der Norm enthaltene 6-Monats-Frist ist (bezogen auf eine einzelne Bauausführung oder Montage nach Buchstabe a bzw bezogen auf eine in den Buchstaben b und c enthaltene Kombination mehrerer Arbeiten) konstitutiv für das Vorliegen einer Betriebsstätte. Eine Betriebsstätte liegt auch dann vor, wenn ein bestimmtes Projekt für eine kürzere Zeitdauer angesetzt war und die 6-Monats-Frist entgegen der ursprünglichen Vorstellung des Unternehmers überschritten wird[214]. Kurzfristige Unterbrechungen der Bauausführung oder Montage sind unbeachtlich. Die Buchstaben b und c des § 12 Satz 2 Nr 8 AO sind im Einzelfall besonders sorgfältig zu prüfen: Bauausführungen und Montagen eines Unternehmers werden auch dann zeitlich zusammengerechnet, wenn sie an entfernt voneinander liegenden Orten von verschiedenen Arbeitnehmern aufgrund unterschiedlicher Verträge erbracht werden[215].

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Lösung Fall 14 (Rn 203):

Die Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen gemäß § 8 Nr 7 GewStG entfällt nach Satz 2 dieser Vorschrift, soweit die Miet- oder Pachtzinsen beim Vermieter oder Verpächter zur Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag heranzuziehen sind, es sei denn, dass ein Betrieb oder ein Teilbetrieb vermietet oder verpachtet wird und der Jahresbetrag der Miet- oder Pachtzinsen 125 000,– Euro übersteigt. Maßgebend ist jeweils der Jahresbetrag, den der Mieter oder Pächter für die Benutzung der zu den Betriebsstätten eines Gemeindebezirks gehörigen fremden Wirtschaftsgüter an einen Vermieter oder Verpächter zu zahlen hat (§ 8 Nr 7 Satz 3 GewStG). Vorliegend ist von einer Betriebsverpachtung im Ganzen auszugehen, weil die X-GmbH die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Bauunternehmens ihres Gesellschafter-Geschäftsführers gepachtet hat. Zutreffend vermutet Betriebsprüfer P auch, dass gepachtete Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bei Anwendung des § 8 Nr 7 Satz 3 GewStG nur dann dem Gemeindebezirk der Hauptbetriebsstätte zuzuordnen sind, wenn sie nicht bei Bauausführungen im Sinne des § 12 Satz 2 Nr 8 AO eingesetzt werden. Jedoch irrt P, wenn er die von der X-GmbH getätigten, örtlich fortschreitenden Bauausführungen nicht als mehrere Betriebsstätten im Sinne des § 12 Satz 2 Nr 8 AO behandelt. Es geht vorliegend also konkret um die Frage, unter welchen Umständen eine Betriebsstätte im Sinne von § 8 Nr 7 Satz 3 GewStG iVm § 12 Satz 2 Nr 8 AO bei mehreren Bauausführungen anzunehmen ist, die sich zwar zeitlich überschneidend insgesamt über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinziehen, von denen dieser Zeitrahmen aber bei keiner der jeweiligen einzelnen Bauausführungen erreicht wird. Diese Frage wird gesetzlich nicht ausdrücklich beantwortet. § 12 Satz 2 Nr 8 AO regelt lediglich die Fälle, in denen entweder einzelne Bauausführungen länger als sechs Monate dauern (§ 12 Satz 2 Nr 8 Buchstabe a AO) oder aber dieser Zeitrahmen von einer Bauausführung von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen überschritten wird (§ 12 Satz 2 Nr 8 Buchstabe b AO), und die Fälle mehrerer ununterbrochen aufeinander folgender Bauausführungen, die sich insgesamt über den Zeitraum von mehr als sechs Monaten erstrecken (§ 12 Satz 2 Nr 8 Buchstabe c AO). Unter diesen Umständen sollen jeweils Betriebsstätten vorliegen. Jedoch können auch mehrere, sich zeitlich überschneidende Bauausführungen Betriebsstätten sein. Es wäre schwerlich einzusehen, weshalb bei parallel verlaufenden Bauausführungen etwas anderes anzunehmen sein sollte als bei mehreren ununterbrochen aufeinander folgenden Bauausführungen, vorausgesetzt, der Sechs-Monats-Zeitraum wird überschritten. In beiden Fällen besteht gleichermaßen eine Verstetigung der jeweiligen Bauausführungen, die es im Einklang mit § 12 AO rechtfertigt, diese als Betriebsstätte anzusehen. Die positiv-gesetzlichen Regelungen in § 12 Satz 2 Nr 8 AO widersprechen dem nicht. Die präpositionale Ergänzung „insbesondere“ im Eingangssatz von § 12 Satz 2 AO verdeutlicht, dass diese Regelungen nicht abschließend sind. Der beispielhaft aufgelistete Katalog für das Vorliegen von Betriebsstätten (Regelbeispiele) kann sonach um entsprechend vergleichbare Varianten ergänzt werden[216]. Hinweis: Der Fall ist nach neuer Rechtslage nach der Unternehmenssteuerreform 2008 anders zu lösen, weil für die Hinzurechnung jetzt § 8 Nr 1 Buchstaben d und e GewStG und zudem der Freibetrag von (betriebsbezogen) 100 000 Euro gelten würde. Die alte Rechtslage illustriert aber sehr anschaulich die Bedeutung des Betriebsstättenbegriffs.

§ 2 Die unbeschränkte Steuerpflicht im Ertragsteuerrecht › B. Sachliche Steuerpflicht › II. Die einzelnen Einkunftsarten bei der unbeschränkten Steuerpflicht

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